Fünfachs-Simultan-Hartfräsen im Werkzeug- und Formenbau

Unternehmen müssen heute einem wachsenden Wettbewerbsdruck durch schnelle und flexible Fertigungsverfahren begegnen. In den meisten Fällen ist es nicht die Bearbeitungszeit, die durch den Einsatz moderner Maschinen- und Fräswerkzeugtechnik reduziert wird. Vielmehr sind es vor- und zwischengelagerte Prozesse wie das Härten, die einen enormen Zeit-, vor allem aber Logistikbedarf verursachen und auf diese Weise die Durchlaufzeiten bei der Herstellung unnötig verlängern.

Das Hartfräsen bietet ein großes Potenzial, um konventionelle Prozessketten im Werkzeugbau zu ergänzen und in einigen Fällen sogar zu ersetzen. Allerdings gilt gerade für die Hartfräsbearbeitung: Nicht alles, was „machbar“ ist oder erscheint, besteht auch bei der Frage nach der Wirtschaftlichkeit. Auch heute noch hat die verfügbare Prozesstechnologie Grenzen, wenn es um die Bearbeitung hochharter Sondermaterialien, filigraner oder kleinster Bauteile oder äußerst komplexer Geometrien geht.

Neue Hartstoffschichten steigern Produktivität

Einen wesentlichen Faktor bei der Erschließung von Produktivitätspotenzialen in der Hartfräsbearbeitung hat die rasante Weiterentwicklung von Hartstoffschichten, die erst eine Bearbeitung von Werkstoffen jenseits von 50 und heute bis zu 67 HRC ermöglicht haben. Hier kommen heute typischerweise TiAlN-PVD-Beschichtungen zum Einsatz, die durch Veränderungen der Schichtstruktur und zunehmend die Zulegierung weiterer Elemente optimiert werden. Daneben tragen zunehmend auch die CAM-Technik einerseits und die Maschinentechnik andererseits dazu bei, die Prozessleistungsfähigkeit zu verbessern. Dabei steht vor allem die simultane Fünfachsbearbeitung im Zentrum vieler Bestrebungen, weil sie eine ganze Reihe von Vorteilen bietet.

Die vielen Vorteile der Bearbeitung von Formkavitäten mit fünf simultan angesteuerten Maschinenachsen wurden bereits Anfang der neunziger Jahre erkannt und beschrieben. Dazu gehören in erster Linie eine größere Zeilenbreite, kürzer auskragende und damit stabilere Fräswerkzeuge, die Erreichbarkeit nahezu beliebiger Formgeometrien und eine deutlich stabilere und werkzeugschonendere Prozessführung.

Verdichterläufer aus dem Vollen fertigen

Ein Blick über den Tellerrand eröffnet hier interessante Perspektiven: aktuelle Entwicklungen für die Fertigung von Turbinenschaufeln, insbesondere aber so genannter Blisks (Blade Integrated Disks), also ganzer Verdichterläufer aus einem Teil, haben häufig ähnliche Randbedingungen wie die Hartbearbeitung im Werkzeugbau. Insbesondere die dort verwendeten Werkstoffe (Titan- und Nickelbasislegierungen) stellen hohe Prozessanforderungen, die Analogien zur Hartbearbeitung aufweisen. Ausnahme ist meist die Losgröße der gefertigten Produkte, doch darauf soll später noch eingegangen werden.

Bei der Bahnplanung für die Fünfachs-Hartbearbeitung von typischen Werkzeugbauteilen kann die Schnittaufteilung anders erfolgen als unter den Randbedingungen der Dreiachsbearbeitung. Dort kommen ebenso andere Werkzeugarten zum Einsatz, weil die Eingriffssituation über zwei weitere Achsen im Prozess beeinflusst werden kann.

Fünfachsbearbeitung bietet bessere Prozessbedingungen für Vorschlichten und Schlichten

Dadurch können die Bauteilkonturen bereits beim Schruppen ohne große Restmaterialstufen angenähert werden. Dies bedeutet für die Nachfolgeprozesse Vorschlichten und Schlichten stark verbesserte Prozessbedingungen, da gleichmäßige Aufmaßverhältnisse herrschen. Dadurch lassen sich gerade das Vorschlichten stark verkürzen, der Werkzeugverschleiß reduzieren und die Prozesssicherheit steigern.

Bei der Schlichtbearbeitung gilt es, durch die gewonnene Flexibilität in der Orientierungsbewegung die Werkzeuge für höhere Zeilenbreiten zu nutzen. Dadurch kann die Anzahl der Schlichtbahnen stark reduziert werden. Dies bedeutet gegebenenfalls die Reduktion der Schlichtbearbeitungszeit von Stunden auf Minuten, bei gleicher Oberflächengüte.

Programmierung für Fünfachsbearbeitung deutlich aufwendiger

Wenn man sich heute in Werkzeugbaubetrieben umschaut, wird man nur in den seltensten Fällen echt simultan fünfachsige Bearbeitungen zu sehen bekommen. Woran aber liegt es, dass trotz der in vielen Fällen verfügbaren Maschinenausstattung meist dreiachsig oder höchstens mit angestellter vierter oder fünfter Achse bearbeitet wird? Tatsache ist, dass die deutlich aufwändigere Programmierung der Fünfachsbearbeitung sowie das in vielen Fällen nicht ausreichende Know-how die Wirtschaftlichkeit in der Gesamtbetrachtung derart einschränken, dass eine Dreiachs-Bearbeitung dann doch deutlich sinnvoller erscheint.

Zudem existieren bis dato kaum angespasste CAM-Strategien, um den speziellen Anforderungen an Prozessführung und Restmaterialerkennung gerecht zu werden, die gerade aus der Hartfräsbearbeitung resultieren. Dies gilt insbesondere für die Schrupp- und Vorschlichtbearbeitung, bei der konstante Eingriffs- und Belastungsbedingungen für die Werkzeuge von essenzieller Bedeutung sind.

Ruckartige Bahnbewegungen steigern Schneidenbelastung

Ruckartige Bahnbewegungen an der Werkzeugspitze (Tool Tip) oder in der Werkzeugorientierung (Tool Axis) führen zu starken Belastungen von Werkzeug und Schneide. Diese müssen unbedingt vermieden werden. Weiterhin ist eine detaillierte Untersuchung der ausgegebenen NC-Programme in Bezug auf die dynamische Beanspruchung der Werkzeugmaschine sehr oft hilfreich, um die engen Grenzen des Prozessfensters bei der Hartbearbeitung einzuhalten. Verlässt man dieses enge Prozessfenster aufgrund der grenzwertigen Belastung der Achsen durch disharmonische Bahnführung, führt dies zu starkem Werkzeugverschleiß und Konturmarken.

Zum Zweck der NC-Datenanalyse und Optimierung unter Verwendung eines Kinematik- und Steuerungsmodells wurde am Fraunhofer IPT die Software NC-Profiler entwickelt. Diese markiert kritische Bereiche des Werkzeugwegs. Der Nutzer kann synchronisiert NC-Block, Achs-Diagramm und 3D-Werkzeugbahn betrachten. Dadurch gewinnt er einen schnellen Überblick über defekte Bereiche im Werkzeugweg. Verschiedene NC-Profiler-Funktionen erlauben die teilautomatische oder manuelle Optimierung und Verifikation des neuen Werkzeugweges.

Bahninformationen sind maschinenneutral

Bei der Bahnplanung im CAM-System werden die Bahninformationen grundsätzlich maschinenneutral geplant. Somit bleiben die Kinematik der Werkzeugmaschine und deren Einfluss auf die spätere Prozessführung zunächst einmal außen vor.

Bei der konventionellen Dreiachsbearbeitung ist der Einfluss von Maschine und Steuerung in den meisten Fällen weniger kritisch, weil er sich nicht unmittelbar auf dem Bauteil abbildet. Bei der Fünfachsbearbeitung ist dies jedoch anders. Sobald sich fünf Achsen simultan interpoliert bewegen sollen, muss diese Bewegung genau synchronisiert verlaufen, weil es sonst zu starken Konturabweichungen kommen kann.

Je nach Bearbeitungsart (Stirnfräsen oder Flankenfräsen) ist der Einfluss der Orientierungsachsen mehr oder weniger groß. Ist zum Beispiel beim Flankenfräsen die Orientierungsbewegung disharmonisch, bildet sich dies unmittelbar durch Marken auf dem Bauteil ab. Zudem wird dabei auch das Werkzeug stark belastet. Es besteht die Gefahr von Werkzeugbruch.

Durchgängige Lösung von der Bahnplanung bis zur Werkzeugmaschine notwendig

Es gilt also, darauf zu achten, eine durchgängige Lösung von der Bahnplanung im CAM-System über Postprocessor, Simulationslösung bis hin zur Steuerung und Werkzeugmaschine aufzubauen. Neueste Untersuchungen zur Verwendung einer durchgängigen Simulationskette, integriert in Unigraphics NX5, werden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG im Rahmen des Exzellenzclusters „Integrative Produktionstechnik für Hochlohnländer“ (ICD B2.2) gefördert.

Die Zusammenarbeit umfasste ein europaweites Konsortium aus Forschungsinstituten, Maschinen- und CAM-Herstellern, Werkzeug- und Beschichtungsherstellern, Mess- und Spannmittelherstellern sowie Endanwendern aus verschiedenen Bereichen des Werkzeug- und Formenbaus. Dabei wurde neben einer neuartigen, vollhydrostatisch gelagerten Werkzeugmaschine bewusst die gesamte Prozesskette des Hartfräsens betrachtet, weil sich nur so die gesetzten Ziele realisieren lassen.

Einheitliches Schlicht-Aufmaß durch Schruppen erzeugen

Als Beispiel für die simultan fünfachsige Hartbearbeitung wurde unter anderem ein Gesenk zum Präzisionstiefziehen von Weißblechdosen herangezogen. Das Gesenk stellt sehr hohe Anforderungen an den Werkstoff wie auch an die zu erzielende Oberflächenqualität und Genauigkeit, weil die im Tiefziehprozess hergestellten Bauteile höchsten Anforderungen an die Dichtigkeit und damit die Reproduzierbarkeit der Einzelelemente gerecht werden müssen.

Um eine schnelle Herstellung verschiedenster Varianten aus einem einheitlichen Rohling zu ermöglichen, wurde, ausgehend von einer einfachen Startlochbohrung, ein gehärteter Rohling für die Fräsbearbeitung zugrunde gelegt. Der Fokus bei der Auslegung von Schrupp- und Vorschlichtprozessen wurde dann darauf gelegt, in kürzester Zeit bei optimaler Ausnutzung der Fräswerkzeuge zu einem einheitlichen Aufmaß zu gelangen, das dann eine finale Schlichtbearbeitung zur Einstellung von Genauigkeit und Oberflächengüte ermöglicht.

Optimaler Schruppprozess reduziert Schlichtaufwand

Eine geschickte Prozessauslegung konnte in diesem Fall dazu genutzt werden, mit nur einem Schruppprozess ein stufenloses Ausräumen der Kavität zu erzielen. Dies ermöglicht eine deutliche Reduktion des Vorschlichtaufwands und spart somit nicht nur Bearbeitungszeit, sondern zudem auch Programmieraufwand für das Abtragen des bei dreiachsigen Schruppprozessen verbleibenden Restmaterials.

Das Werkzeug wird im Verlauf der Bearbeitung zum einen schrittweise von der runden Startlochbohrung im Zentrum des Bauteils an die Rechteckform der Endgeometrie angepasst. Zum anderen wird in der senkrechten Ebene das Werkzeug so geneigt, dass es im letzten Schnitt die schräge Innenkontur des Bauteils in einem Wälzfräsprozess erzeugt.

Bei dreiachsiger Bewegungsführung werden die Werkzeugschneiden häufig mit geringer Schnitttiefe nur zu einem geringen Teil genutzt. Die vorgestellte Bearbeitungsstrategie ermöglicht die vollständige Ausnutzung der Werkzeugschneide, womit bei entsprechend gedrallten Werkzeugen ein stabiler Prozess sowie eine Verteilung des Werkzeugverschleißes auf den gesamten Schneidenbereich erreicht wird.

Die wirtschaftliche Begutachtung der vorgestellten Strategie zeigt, dass trotz vollständiger Hartbearbeitung ähnliche Bearbeitungszeiten wie bei der konventionellen, kombinierten Weich-, Hart- und EDM-Bearbeitung erreicht werden konnten. Unter Berücksichtigung des deutlich verringerten Logistikaufwands und der verkürzten Durchlaufzeit ergibt sich damit ein deutlicher Vorteil für die fünfachsige Hartbearbeitung.

Prof. Dr.-Ing. Fritz Klocke ist Leiter des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnologie (IPT) in 52074 Aachen; Lothar Glasmacher, Kristian Arntz, Matthias Meinecke sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut; Claus Richterich ist Mitarbeiter der Module Works GmbH in 52072 Aachen.

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