Turbokompressoren rechnen sich allein durch Energieersparnis

„Seit den achtziger Jahren haben sich die Produktmengen der hier ansässigen Geschäftsbereiche verdoppelt, in manchen Anlagen sogar verdreifacht“, sagt Heinz Blindert, Planungsingenieur bei Evonik Degussa in Wesseling. So laufe beispielsweise die Produktion der Aminosäure Methionin, einem Futtermittel-Ergänzungsstoff, auf Hochtouren. Ähnlich sei es bei diversen Silicaprodukten, welche unter anderem bei der Reifenherstellung oder in der Produktion von Zahnpasta verwendet werden.

Wo es so brummt, muss auch die Drucklufterzeugung Schritt halten: Vor fünf Jahren wurde der erste ZH-Turbokompressor von Atlas Copco in das Maschinenhaus gesetzt, im Sommer 2006 dann der zweite. In der Zwischenzeit hat Blindert zudem einen betagten Schraubenkompressor, ebenfalls Marke Atlas Copco, gegen einen neuen getauscht.

„Der war schon richtig alt“, betont der Techniker, „er hatte weit über 100 000 Betriebsstunden auf dem Buckel.“ Als dann ein Schaden am Motor aufgetreten sei, habe man die Instandhaltung nicht mehr als sinnvoll erachtet.

Durch regelmäßige Wartung und Pflege hat der vierte Kompressor es inzwischen auf 35 Jahre gebracht, wie ein Blick ins Maschinenhaus zeigt: Neben den inzwischen drei jungen Kompressoren tut ein alter aus dem Baujahr 1973 seinen Dienst, auf dem „Nächste Schmierung bei 178 000 Betriebsstunden“ steht.

Kompressoren arbeiten rund um die Uhr

Die vier Kompressoren sind in Wesseling rund um die Uhr in Betrieb, wie es sich für Anwendungen in der Prozessindustrie gehört. Fast alle Anlagen benötigen Druckluft, sei es zum Messen von Füllständen, zum Ansteuern von Armaturen oder zum Betrieb von Pumpen, beispielsweise in der biologischen Kläranlage. Die mittels Druckluft betriebenen Pumpen fördern das Abwasser in die Phosphatfällung, damit es von dort aus völlig unbelastet in den Rhein geleitet werden darf.

Die Turbokompressoren der ZH-Serie haben in den Augen des Planers Blindert mehrere Vorteile, die ihren höheren Preis gegenüber herkömmlichen Schraubenkompressoren rechtfertigen. „Der Wirkungsgrad ist viel besser“, betont er, „denn ein Turbo verdichtet nur die Menge Luft, die über den Vorleitapparat in die Maschine gelangt.“ Die Steuerung könne den Volumenstrom, der über den Eintrittsleitapparat angesaugt wird, dem Bedarf besser und automatisch anpassen, ohne dass Luft unwirtschaftlich verdichtet und dann wieder abgeblasen werden muss.

Anders verhält es sich bei einem Schraubenkompressor, der nach dem Verdrängungsprinzip arbeitet. Hier sind energetisch teure Leerlaufphasen unvermeidbar. Wird der Turbo dagegen als Grundlastmaschine eingesetzt und die ganze Anlage, wie bei Evonik, über eine übergeordnete Steuerung leistungsabhängig betrieben, lassen sich verlustreiche Abblasesituationen und Leerlaufphasen vollständig vermeiden. „Damit rechnet sich der Turbo schon allein durch die Energieersparnis“, sagt Blindert, auch wenn er den Zeitraum nicht konkretisieren möchte.

Turbokompressoren punkten mit sehr geringem Laufgeräusch

Ein weiterer Vorteil sei das deutlich geringere Laufgeräusch der Turbokompressoren, weil diese „keine Schaltspiele“ hätten. Zwar befinden sich alle Maschinen unter einer Schallschutzhaube des Maschinenhauses, das nur zu Wartungszwecken betreten wird.

Aber Blindert nimmt den Arbeitsschutz ernst, geht nur mit persönlicher Schutzausrüstung über das Gelände und steckt sich ganz selbstverständlich Ohrstöpsel ein, bevor er das Gebäude betritt. „Gegen die Schraubenverdichter sind die Turbokompressoren fast schon Flüstermaschinen“, sagt er.

Die Maschinen sind derzeit die effizientesten und komplettesten Turbokompressoren auf dem Markt, versichert Hersteller Atlas Copco. Sie werden mit Luftansaugfilter und Geräuschdämpfer, Nachkühler und Rückschlagventil geliefert, haben eine Kühlwasser-Sammelleitung, Kondensatabscheider und -ableiter nach jedem Kühler sowie Kompensatoren an den Ein- und Austritten für Luft und Wasser. Das Schmiersystem ist komplett integriert, ebenso das Abblaseventil und der Abblaseschalldämpfer. Damit sind die ZH-Verdichter anschlussfertig; zudem können sie ohne besonderes Fundament aufgestellt werden.

Steuerung hält enges Druckband in einer Breite von unter 0,1 bar aufrecht

Derzeit würden auf dem weitläufigen Evonik-Gelände, auf dem ein Druckluft-Leitungsnetz von zwei Mal 13 km installiert sei, im Schnitt pro Stunde zwischen 10000 und 12000 m3 Luft bei 6,2 bar produziert und verteilt, erklärt Blindert. „Dabei sind Lastspitzen von 2000 m3 zusätzlich keine Seltenheit, zum Beispiel, wenn einzelne Betriebe nach dem Stillstand wieder ans Netz gehen oder wenn zu Reinigungszwecken Rohrleitungen mit viel Luft leergedrückt werden.“

Auch diverse Druckluftwerkzeuge benötigten viel Luft, meint Blindert. Die unterschiedlichen Bedarfe würden alle automatisch und intelligent gesteuert. „Das Schöne ist, das wir mehrere Kompressorentypen, zu einem System verknüpft, betreiben können.“ Die übergeordnete Steuerung schaffe es sogar, das Druckband in einer Schwankungsbreite von unter 0,1 bar zu halten, manchmal lägen die Schwankungen sogar unter vier Hundertstel.

Denn die Steuerung sucht aus den vier Kompressoren immer die für den aktuellen Bedarf beste Kombination aus Volumenstrom und spezifischer Leistung heraus. Das vermeidet Leerlaufzeiten und erlaubt einen niedrigeren Druck als früher. Dennoch betreibt Evonik das ganze Netz mit einem gewissen Sicherheitspuffer; denn die Verbraucher benötigen nur etwa 5,6 bar und nicht die erzeugten gut 6 bar. Bei unter 5,4 bar fallen die Ventile übrigens in ihre Sicherheitsstellung.

Alle Kompressoren fördern in zwei verschiedene, parallel angelegte Leitungssysteme. „Erste Priorität hat bei uns die Steuerluft: Wenn das System unter den Mindestdruck abfällt, müssen alle Mess-, Steuer- und Regeleinheiten in Funktion bleiben und die Prozesse im schlimmsten Fall ordnungsgemäß heruntergefahren werden“, sagt Blindert. „Die Schubsender oder Druckluftwerkzeuge, die mit der nachrangigen Arbeitsluft betrieben werden, fallen daher als erstes aus.“

Druckluft zum Verdüsen, Verbrennen, Reinigen und Fördern

Zu den spannendsten Anwendungen der Druckluft zählt bei Degussa das Verdüsen von Stoffen über eigens entwickelte Einsprühdüsen oder -lanzen. Hier werden verschiedene Medien in einer Mischdüse zusammengebracht, wobei Druckluft als Treibmedium dient, um das Produkt in einer bestimmten Form in den Reaktionsraum zu fördern. Dieses erstarrt in Sekundenbruchteilen in der für das weitere Verfahren erforderlichen Korngröße.

Auch zum Verbrennen von Reststoffen – dies sind Stoffe, die nicht aufgearbeitet werden können – wird Druckluft eingesetzt. Über eine Zwei-Stoff-Düse werden diese, in der Regel Flüssigkeiten, in den Verbrennungsraum gefördert, zum Teil mit Treibluft auf die richtige Tröpfchengröße gebracht und stöchiometrisch verbrannt.

Zu den unkritischen Anwendungen mit Arbeitsluft zählt etwa das Reinigen von Filtern: Wenn Feststoffe in die Silos gefördert werden, verlässt die verdrängte Luft den Siloraum über einen Filter, der sich gelegentlich zusetzt. In regelmäßigen Abständen wird dann von außen Abreinigungsluft auf den Filter geblasen. Die Luft löst das Produkt vom Filter und lässt es zurück in den Silo fallen.

Ölfreiheit stellt spezifikationsgerechte Endprodukte sicher

Bei all diesen Verwendungen kommt die Druckluft direkt mit den flüssigen Grundstoffen oder den fertigen Pulvern in Berührung. Daher darf sie kein einziges Tröpfchen Öl enthalten: „Öl könnte kondensieren und sich an das Produkt anlagern“, streicht Heinz Blindert heraus, „das kann zu verschiedenen Problemen führen, die wir nicht dulden können.“ Im weniger schlimmen Fall bilden sich Agglomerationen, die ein nicht spezifikationsgerechtes Endprodukt zur Folge hätten; dieses wäre unverkäuflich, weil es Probleme bei der Weiterverarbeitung machen könnte.

Noch dramatischer wäre eine – eventuell die Tiergesundheit gefährdende – Kontamination von Futtermitteln. „Eine Druckluft mit Aerosolen wäre also für uns nicht tragbar“, fasst Blindert zusammen. Die Aerosole würden auf dem langen Weg vom Kompressor bis zu den Anlagen an den kalten Leitungswänden kondensieren und zum tiefstgelegenen Verbraucher wandern.

Aber: „Was ich vorher bei der Drucklufterzeugung mit ölfreien Kompressoren nicht hineinbringe, muss ich später auch nicht mit viel Aufwand herausholen“, lautet das Credo des Planungsingenieurs der Infrastrukturbetriebe. „Deshalb setzen wir nur absolut ölfreie Kompressoren ein.“ Und zu denen zählen sowohl die ZH-Turbokompressoren als auch die Schraubenverdichter der ZR-Reihe, die in Wesseling ihren Dienst verrichten.

Einfache, aber sichere Drucklufttrocknung

Die Luft übrigens aller Kompressoren wird bei Degussa über MD-Trockner geführt, als auch diejenige der Turbokompressoren. Dabei empfiehlt Anbieter Atlas Copco diese Trockner-Serie standardmäßig nur für seine Schraubenkompressoren. „Denn diese Trockner nutzen als Regenerationsenergie die Abwärme des Kompressors beim Verdichten“, erklärt Reimund Scherff, Business Line Manager Oil-free Air bei der Atlas Copco Kompressoren und Drucklufttechnik in Essen. „Die Regeneration ist temperaturabhängig, die Temperatur darf nicht unter 120 °C fallen.“

Ein Turbokompressor laufe im Schnitt aber mit deutlich niedrigeren Temperaturen als ein Schraubenkompressor, was in Leerlaufphasen für den Trockner nicht mehr ausreiche. „Doch bei Evonik fährt der Turbo mit einem zusätzlichen Heißluftabgang immer eine gewisse Grundlast, und das Netz wird mit einem relativ hohen Druck betrieben“, sagt Scherff. Durch diese sehr konstanten Bedingungen, die zum größten Teil aus den kontinuierlich ablaufenden chemischen Prozessen resultierten, funktioniere das im Falle der Wesselinger einwandfrei.

Für Heinz Blindert sprachen zwei Gründe für die MD-Serie. Zum einen waren schon drei derartige Trockner in Betrieb, „da wollten wir nicht wechseln“. Zum zweiten benötigen diese Geräte eben keine zusätzliche Energie, sondern kommen mit der Verdichtungsenergie der Kompressoren aus. Damit dies auch technisch funktionier, seien die Turbos mit einem zusätzlichen Heißluftabgang ausgeliefert worden. Diese Luft werde immer auf über 120 °C gefahren und zur Regeneration der MD-Trockner genutzt.

Auch sieht eine „herkömmliche“ Trockner-Installation für Turbokompressoren Systeme mit zwei Türmen vor, von denen jeweils im Wechsel einer trocknet und im anderen das Trockenmittel regeneriert wird. Der MD dagegen kommt mit einem Behälter aus und arbeitet kontinuierlich. Ventile und Umschaltung entfallen, die Überwachung ist viel einfacher. Mit welchem System auch immer: Getrocknet werden muss die Luft auf jeden Fall, „denn Wasser können wir in den Rohrleitungen ebenso wenig brauchen wie Öl“, sagt Blindert.

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Thomas Preuß MM MaschinenMarkt

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