Die Zukunft der Rundschleiftechnik

MM: Herr Prof. Wegener, wie se-hen die Rahmenbedingungen aus, unter denen sich die Hersteller von Rundschleifmaschinen bewegen?

Wegener: Es gibt technologische, das heißt prozess- und maschinentechnische Rahmenbedingungen und wirtschaftliche. Beide müssen wir betrachten. Technologisch ist zu berücksichtigen, dass das Schleifen eher ein Hartbearbeitungsverfahren ist, spezifische Stärken hat und die Endbearbeitung sicherstellen muss.

Um die Alleinstellungsmerkmale des Schleifens zu sichern, müssen höchste Präzision und Oberflächengüte erreicht werden. Für beide Eigenschaften sollten Rundschleifmaschinenhersteller immer schon die nächste Maschinen-Generation vordenken. Dabei sollten auch größere Abtragsleistungen Ziel sein.

Angesagt ist auch die Fertigbearbeitung. Das Werkstück sollte für die Bearbeitung die Maschine nicht wechseln müssen. Hochleistungsschleifen mit speziellen Werkzeugen, Kombination mit dem Drehen, zumal Hartdrehen, eventuell sogar mit weiteren spanenden Fertigungsverfahren, ist zu überlegen. Während das Hartdrehen sich immer mehr von dem Kuchen der Hartbearbeitung abschneidet, muss die Schleiftechnik sich ebenfalls der Bearbeitung immer härterer Materialien widmen.

MM: Welchen Einfluss hat die Maschinentechnik auf die Weiterentwicklung der Rundschleiftechnik?

Wegener: Was die Maschinentechnik betrifft, gilt es grundsätzlich die Zuverlässigkeit zu erhöhen sowie die Komplexität für den Maschinenbediener zu senken, was immer in eine Komplexitätssteigerung für die Maschine mündet. Beides zusammen erfordert zukünftig kognitive Ansätze, also Zustandserkennung und daraus folgende Maschinenanpassung.

Dabei wäre grundsätzlich mal alles an Sensorik und Zustandserkennung auszunutzen, was Steuerung und Antriebsregelung schon heute bieten, bevor weitere Sensoren spendiert werden. Zuverlässige, hochautomatisierte Lösungen werden sich durchsetzen. Die mannlose Schicht und Mehrmaschinenbedienung sind das Gebot der Stunde gegen Niedriglohn-Länder.

Der Trend geht sicher zu schwingungsreduzierten Maschinen, sei es durch zusätzliche und adaptive Dämpfung, sei es durch größere Steifigkeit. Schließlich wächst die Erkenntnis, dass thermische Effekte auch ein Problem der Maschinenbauart sind. Der Trend geht zu temperaturstabilen beziehungsweise temperaturkompensierten Maschinen. Eine weitere Anforderung, die auf Schleifmaschinenhersteller zukommen wird, ist die Schaffung konstanter Schnittbedingungen, zum Beispiel kontinuierliche Schärf- und Profilierungsvorgänge auf der Maschine.

Darüber hinaus gibt es von der Marktseite her noch folgendes zu bemerken: Schleifmaschinenhersteller genießen zur Zeit noch die fast vollständige Abstinenz japanischer Werkzeugmaschinenhersteller. Festzustellen ist aber auch die Tendenz japanischer Maschinenhersteller, Ultrapräzisionsmaschinen zu entwickeln, vor allem mit kleinen Arbeitsräumen.

MM: In vielen Fällen ist das Hartdrehen eine Alternative zum Rundschleifen. Wird in absehbarer Zeit in der Produktion weniger geschliffen werden als heute?

Wegener: Die Bearbeitung mit geometrisch definierten Schneiden wird versuchen, in Richtung härterer Werkstückstoffe zu gelangen, und so das Alleinstellungsmerkmal der Schleiftechnik ankratzen. Entscheidend sind nachher die Kosten. Interessant ist, dass das in immer geringerem Maße die reinen Prozesskosten sind, sondern das Drumherum. Fertigbearbeitung ist Trumpf, das Einsparen eines Prozessschrittes ist viel wichtiger als die Zerspanzeit. Die Kollegen aus Aachen haben in einem Vergleich sehr schön die Vorteile der beiden Verfahren herausgearbeitet.

Die Vorteile für das Rundschleifen liegen in der Genauigkeit, der Oberflächenqualität, der Zuverlässigkeit und den Eigenspannungen im Werkstück. Vorteile für das Hartdrehen sind Umweltaspekte, Flexibilität, Materialschädigung und Rüstzeit, wenn Sie mir gestatten, dies plakativ zusammenzufassen. Eine Kombination auf einer Maschine ist sicherlich wegen der spezifischen Stärken nicht schlecht.

MM: Gehört solchen multifunktionalen Schleifmaschinen die Zukunft oder eher den hochproduktiven Standardmaschinen?

Wegener: Fertigbearbeitung auf einer Maschine gilt heute als wichtiger Trend, zumal die zu erzeugenden Teile immer komplexer werden. Als Faustregel gilt, dass pro Maschine die Durchlaufzeit um eine Woche zunimmt. Multifunktionale Maschinen erhöhen die Flexibilität und senken die Durchlaufzeit. Aber zurück zu Ihrer Frage, es wird auch zukünftig beides geben müssen. Kombimaschinen erscheinen spektakulärer, weil dort noch viele Überraschungen präsentierbar sind weiter.

MM: Auf welche weiteren Trends in der Fertigung müssen sich Rundschleifmaschinenhersteller in einigen Jahren einstellen?

Wegener: Bei den zu fertigenden Teilen sind folgende Trends auszumachen: Die Teile haben mehr Wertschöpfung, sie sind komplexer, infolge Miniaturisierung kleiner, müssen präziser gefertigt werden und die Materialien sind schwerer zerspanbar. Die Schleiftechnik kann ihre Position nur behalten, wenn sie diesem Trend der Teile folgen kann.

Ein weiterer Optimierungsparameter ist die Zerspanleistung. Solange sie bescheiden bleibt, wird Schleifen nicht als Königsweg, sondern als kompromissbehaftetes Verfahren wahrgenommen. Deshalb forschen wir zur Steigerung der Zerspanungsleistung in Schleifprozessen. Auf der anderen Seite wird intensiv an der Steigerung von Standzeiten geforscht.

MM: Welche Rolle werden dabei superharte Schleifwerkzeuge spielen?

Wegener: Synthetische Superabrasives wie CBN und Diamant werden günstiger, so dass die heute noch feststellbare ökonomische Reserviertheit gegenüber diesen Abrasivstoffen aufgrund der möglichen Leistungssteigerung und Standzeiterhöhung und der gesamten damit beeinflussbaren Folgekosten weichen wird. Wir glauben fest an die Zukunft dieser Schleifstoffe, und zwar nicht nur in Nischen, sondern auf der ganzen Linie. Sie helfen, die spezifischen Stärken des Schleifens zu entwickeln.

MM: Herr Prof. Wegener, ein Forschungsgebiet Ihres Instituts ist die Optimierung von Werkzeugmaschinenkonzepten. Welche Ziele verfolgen Sie dabei?

Wegener: Uns geht es vor allem darum, dass Maschinen nicht erst gebaut werden müssen, um ihre Eigenschaften und vor allem auch ihre Fehler zu erkennen. Wir entwickeln und propagieren Methoden, die konstruktionsbegleitende Analysen hinsichtlich Dynamik, Thermik und erreichbarer Genauigkeit ermöglichen. Das grundlegende Problem ist, dass die Festlegung von Funktionen und Kosten viel früher erfolgt, als die Konsequenzen offenbar werden. Dies müssen wir verändern, indem wir Erkenntnisse simulativ hervorholen.

Zugegebener Maßen sind Fräsmaschinen erheblich mehr dynamischen Belastungen ausgesetzt, so dass man hier sehr viel Wissen in den vergangenen zehn Jahren gewonnen hat. Die Erkenntnis, dass dies für Rundschleifmaschinen ebenfalls bedeutend ist, beginnt sich durchzusetzen. Die Werkzeugstandzeiten hängen stark vom dynamischen Verhalten der Maschine ab, was es zu verbessern gilt.

MM: Häufig wird beklagt, dass die Umsetzung von Forschungsergebnissen in die Praxis zu lange dauert. Woran liegt das?

Wegener: In der Tat kann es Jahre oder Jahrzehnte dauern, bis manche Forschungsergebnisse breit umgesetzt werden. Dafür gibt es systematische Gründe, die nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Die moderne Forschung setzt mit Erfolg auf die Spezialisierung. Forschungsprojekte und die daran beteiligten Personen sind auf einzelne Aspekte fokussiert. Auf manchen Gebieten sind punktuelle Ergebnisse auch direkt umsetzbar; in industriellen Prozessen ist dies fast nie der Fall, weil die Umsetzung des Einzelresultats Änderungen in der Umgebung bedingt.

In der Innovationsforschung wird von Pfadwirkung gesprochen: So wie ein gut ausgetretener Waldweg befolgt wird, auch wenn er nicht der kürzesten Verbindungslinie folgt, entsprechen viele industrielle Prozesse nicht den heute denkbaren Optima, weil die Umstellungskosten höher sind als der mögliche Gewinn. Erst wenn eine gewisse Schwelle überschritten wird, lohnt sich die Umstellung. Selbstkritisch ist anzumerken, dass auch die Forschung aufgrund des Erfolgsdrucks heute dazu neigt, für ihre Resultate zu werben.

Nach abgeschlossener Forschung ist aber noch viel Arbeit zu leisten, bis etwas industriell umsetzbar ist. Die von mir geleitete Inspire AG hat allerdings einen etwas anderen Auftrag als die reine Forschung, nämlich das klare Ziel, Forschungsergebnisse umsetzbar zu machen und mit Industriepartnern zusammen auch umzusetzen.

MM: Wie kann der Wissenstransfer beflügelt werden?

Wegener: Beide, Industrie und Forschung, müssen aufeinander zugehen, was uns mit der Gründung der Inspire AG als „Stätte der Begegnung“ gelungen ist. Die wirkungsvollste Umsetzung ist der Transfer von Köpfen, wenn also Forschende nach ihrer Dissertation in die Industrie wechseln und dort ihre Kenntnisse umsetzen. Dies ist ein Prozess, der Jahre dauert, aber auch während Jahrzehnten Früchte tragen kann. Unser Ausbildungskonzept für Doktoranden weicht denn auch etwas von dem anderer Institute ab.

Die Diffusion von Wissen in die Industrie braucht einen Antrieb. Der in die Industrie eintretende Forschende muss mit Fingerspitzengefühl das Standing haben, methodisches Vorgehen gegen die herrschende, erfahrungsgetriebene Praxis umzusetzen, ansonsten wird er innerhalb des ersten halben Jahres umgedreht. Ich möchte aber auch noch auf einen anderen Punkt hinweisen. Wenn es in der Industrie gelingt, sich auf langfristige Forschungs- und Entwicklungsziele einzulassen, ohne quartalsweise die ökonomischen Erfolge abzufragen, wäre viel geholfen. Und natürlich stehen Einrichtungen wie wir zur Verfügung.

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Bernhard Kuttkat MM MaschinenMarkt

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