Prototypen- und Kleinserienfertigung durch einstellbare Kavitäten wirtschaftlich

Die Kavität wird durch Positionierung motorisch verschiebbarer Nadeln erzeugt. Prozessrelevante Werkzeugelemente sind integrierbar. Eine spanende Nachbearbeitung der eingestellten Kavität verbessert das Abformen bei Freiformflächen.

Ein enger Dialog zwischen Industrie und Forschungseinrichtungen ist eine Grundvoraussetzung für marktgerechte Innovationen. Sie gilt in besonderer Weise für die traditionell geprägte Branche des Werkzeug- und Formenbaus, die sich in ihrer Wettbewerbsfähigkeit aufgrund von hochwertigen Produkten aus asiatischen Schwellenländern und der angestrebten Kostenführerschaft dieser Regionen insbesondere seit dem letzten Jahrzehnt bedroht sieht [1].

Der Forschungsverbund „Flexible Werkzeugsysteme – For-Werkzeug“ hat deshalb in den vergangenen drei Jahren das Ziel verfolgt, durch Innovationen den geänderten Anforderungen im Werkzeug- und Formenbau hinsichtlich Flexibilität und Herstellungskosten zu begegnen und so dem internationalen Wettbewerb im technologischen Sinn gerecht zu werden [2]. Flexible Werkzeugsysteme müssen es zukünftig produzierenden Unternehmen ermöglichen, der erhöhten Anzahl an Produktvarianten und der damit einhergehenden Reduzierung der Stückzahlen durch einen modularen, wiederverwendbaren Aufbau zu begegnen.

Weitere Aspekte im Forschungsverbund waren die Reduzierung von Durchlaufzeiten, ein erhöhter Automatisierungsgrad sowie intelligente Methoden und Strategien zur Auslegung und Simulation von Werkzeugen und Fertigungsprozessen.

Speziell der Projektbereich B „Herstellung von Werkzeugen und Formeinsätzen“ fokussierte sich auf die Entwicklung neuer Verfahren, mit deren Hilfe beispielsweise flexible Werkzeugsysteme darstellbar sind. Unter dem Aspekt der Spezifizierung und des korrelierenden Trends reduzierter Stückzahlen pro Werkzeugvariante zeigte insbesondere die effiziente Nutzung von Formflexibilität ein umfassendes Potenzial zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit bei Anwendungen im Spritzgieß- und Druckgießbereich

Hohe Formflexibilität mit sehr wenig Aufwand
Konventionelle Möglichkeiten, um diese Flexibilität durch Modularisierung oder Standardisierung von Werkzeugsegmenten zu erreichen, führen nur zu einer eingeschränkten Wiederverwendbarkeit [3]. Dagegen ermöglicht das Konzept der Formflexibilität, ein Werkzeug für unterschiedliche Formteilgeometrien zu nutzen und dabei keinen oder höchstens einen sehr geringen Aufwand für die eigentliche Werkzeugformgenerierung zu verursachen.

Dadurch können beispielsweise sehr spät im Produktentwicklungsprozess auftretende Änderungen aufwandsarm und zu jeder Zeit berücksichtigt werden. Aber auch die Anforderung nach schneller Herstellung von Prototypenwerkzeugen wird durch das entwickelte Werkzeugsystem erfüllt.

Die am IWB Anwenderzentrum Augsburg im Rahmen des Forschungsverbunds For-Werkzeug vorgenommenen Arbeiten beschäftigten sich grundlegend mit der Entwicklung formflexibler Werkzeuge für das Spritzgießen, um verschiedene Teilegeometrien mit nur einem Werkzeug abzuformen.

Einen viel versprechenden Ansatz eines solchen formflexiblen Werkzeugs stellt das Prinzip des Nadelkissens dar. Dieses Kissen besteht aus einer Vielzahl an Nadeln mit quadratischen Querschnitten, die gegeneinander verschiebbar gelagert sind. Zum Einprägen der Kavität über die Nadelpositionen wird bei diesem Werkzeugsystem eine Einstellspitze verwendet, die mittels linearer Aktoren jede einzelne Nadel verschieben kann.

Automatische Einstellung aus den CAD-Daten heraus
Der automatische Einstellprozess basiert auf einer computerunterstützten Anwendung, die mit handelsüblichen CAD-Systemen gekoppelt wird. Aus den CAD-Daten des positiven Bauteils werden über mehrere Rechenoperationen die Geometriedaten der benötigten Kavität (Negativgeometrie) automatisch ermittelt und visualisiert.
Die gewonnenen Informationen dienen daraufhin direkt zur Generierung der Ansteuersignale. Durch entsprechende Schnittstellen kann abschließend ein handelsüblicher Rechner eingesetzt werden, um über die Einstellspitze die Kavität zu erzeugen.

Dabei ist besonders wichtig, bereits eingestellte Nadeln durch die Positionierung benachbarter Nadeln nicht erneut zu verstellen. Ein spezielles pneumatisch-mechanisches Spannprinzip ermöglicht, den gesamten Nadelbereich in definierter Position zu halten, gleichzeitig jedoch gezielt die einzustellende Nadel aus dem Spannverbund zu lösen. Dieser Spannmechanismus arbeitet gekoppelt mit der Einstellspitze. Des Weiteren wird der Spannmechanismus dazu verwendet, die Nadeln während des eigentlichen Spritzvorgangs entsprechend zu fixieren.

Integrierbare Auswerfer werden in Hülsen geführt

Spritzgießrelevante Funktionselemente, wie das sogenannte Auswerferpaket, können in das formflexible Werkzeug integriert werden. Dazu ersetzen im Querschnitt quadratische Führungshülsen entsprechende Bereiche der Nadeln, in denen der Auswerferstift gelagert wird. Beim Einbringen einer neuen Kavität werden die Auswerferhülsen wieder durch Nadelpakete ersetzt und der Einstellvorgang der neuen Kavität kann beginnen. In gleicher Weise besteht die Option zur Integration eines Angusssystems.

Dabei sind Düsen zu verwenden, die einen quadratischen Außenquerschnitt haben. Außerdem müssen Hinterschnitte bei diesem Konzept mit Hilfe konventionell gefertigter Einlegekerne erzeugt werden. Die Kerne können in das Nadelkissen eingesetzt und nach erfolgtem Spritzvorgang gemeinsam mit dem Spritzling entnommen werden. Ist der Einlegekern wieder in den Nadelverbund eingesetzt, kann der Spritzvorgang erneut erfolgen.

Dadurch ist zwar die Zykluszeit länger als bei der Verwendung eines Schiebers, doch spielt dieser Nachteil bei Werkzeugen für die Prototypen- und Kleinserienfertigung nur eine sekundäre Rolle, weil bei diesen Anwendungen vor allem die Werkzeugkosten und weniger die Spritzgießkosten ausschlaggebend sind [4].

Zur Optimierung der Abformgenauigkeit von Freiformflächen wurden zusätzliche Strategien entwickelt. Sie ermöglichen, die Nadelrasterung deutlich zu minimieren. Ein Konzept sieht vor, nach der Kavitätseinstellung einen Fräs- oder Schleifprozess durchzuführen. Die Wiederverwendbarkeit und Flexibilität des Nadelkissens wird dadurch nur minimal beeinträchtigt, weil die abzutragenden Zustelltiefen sehr niedrig sind.

In einem ersten Schritt wird über die automatisierte Einstellaktorik eine Kavität mit einem definierten Aufmaß eingeprägt. Dieses Aufmaß kann in einem nachfolgenden Prozessschritt spanend abgetragen werden. Dadurch erhöht sich die Oberflächenqualität und Maßhaltigkeit des Spritzlings erheblich. Nach erfolgreicher Spritzapplikation können die Nadeln wieder in die neutrale Position verfahren und durch erneutes Abtragen im Gesamten auf ein einheitliches Maß gebracht werden.

Strategien zur Reduktion der Nadelrasterung in Arbeit

Diese Strategie bietet außer der Reduktion der Nadelrasterung den Vorteil, dass aufgrund des nachgeschalteten Fräs- oder Schleifprozesses eine zunächst gröbere Nadelrasterung zum Einsatz kommen kann. Dadurch verringert sich bei gleichzeitiger Erhöhung der Qualität und Lebensdauer des Werkzeugs oder der Nadeln die Einstelldauer für die Kavität. Das reduziert die Kosten erheblich. Weitere Strategien zur Reduktion der Nadelrasterung sind derzeit in Bearbeitung.

Zusammenfassend bietet das formflexible Werkzeugsystem folgende Vorteile beim Spritzgießen von Kleinserien und Prototypen:

-Erstmals kann ein Werkzeug für weitgehend beliebige Produktvarianten verwendet werden.

-Es ist es möglich, die „Time-to-Market“ zu reduzieren.

-Auf geometrische Formteiländerungen kann schnell und kostengünstig reagiert werden.

-Das Spritzgießen von Kleinstserien ist wirtschaftlich.

Außerdem verursacht das formflexible Werkzeugsystem nur wenig Lagerkosten. Es ist nicht mehr notwendig, gesamte Formeinsätze oder auch Werkzeuge nach der Formteilfertigung dauerhaft zu lagern. Es genügt, lediglich die Geometrieinformationen sowie gegebenenfalls die NC-Programme eines nicht mehr in der Produktion befindlichen Werkzeugs in digitaler Form zu speichern. Im Fall eines erneut benötigten Bauteils kann die Kavität mittels dieser Daten einfach und zeitnah in die formflexible Werkzeugoberfläche geprägt und eventuell überfräst werden.

Ein weiterer Vorteil ergibt sich aus der Tatsache, dass die Nadeln zu jeder Zeit aus dem Spannverbund lösbar sind. Bei geometrischen Teiländerungen des Formteils können die entsprechenden Nadeln sehr schnell in die neue Position verfahren werden. Nachdem die Nadeln erneut verspannt sind, wird ein partieller Fräsprozess durchgeführt. Somit sind die Änderungskosten im Vergleich zu anderen Verfahren weitaus geringer.

Großes Anwendungspotenzial infolge hoher Formflexibilität

Die Anwendungsgebiete der Nadelkissentechnik sind aufgrund der hohen Formflexibilität im Allgemeinen zahlreich. So kann es nicht nur beim Spritz- oder Druckgießen, sondern auch in der Umformtechnik oder für Spannsysteme zur Anwendung kommen.

Außerdem ist es beispielsweise vorstellbar, solche Nadelkissenkonzepte im Bereich der Automation und Robotik in Form von flexiblen Greifersystemen zu nutzen. Darüber hinaus gibt es auf weiteren Gebieten der Produktionstechnik ein Anwendungspotenzial, unter anderem beim Formpressen.

Literatur:

[1] Zäh, M. F., F. Hagemann und G. Branner: Chancen und Risiken des Werkzeug- und Formenbaus im globalen Wettbewerb. In: 3D-Erfahrungsforum – Innovation im Werkzeug- und Formenbau. IWB-Seminarberichte 85. München: Herbert Utz Verlag 2007, S. 1-1 bis 1-17.

[2] Hagemann, F.: Formflexible Werkzeuge für den Spritzguss – Lösungsansatz zur wirtschaftlichen Anwendung des Spritzgießens bei kleinen Losgrößen. RTE-Journal – Forum für Rapid Technologie 4/2007.

[3] Zäh, M. F., und F. Hagemann: Individualisierte Produkte durch formflexible Werkzeuge. VDI-Z Integrierte Produktion 3/2006, S. 37–40.

[4] Zäh, M. F., und andere: Entwicklungstrends im Bereich Rapid Manufacturing.
In: Uhlmann: 3D-Erfahrungsforum – Innovation Werkzeug- und Formenbau. Berlin: Universitätsverlag der TU Berlin 2006, S. 263–276.

Prof. Dr.-Ing. Michael F. Zäh ist Leiter des Instituts für Werkzeugmaschinen und Betriebswissenschaften (IWB) der TU München, Dipl.-Ing. Florian Hagemann und Dipl.-Ing. Gregor Branner sind wissenschaftliche Mitarbeiter am IWB Anwenderzentrum Augsburg.

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