RUB-Forscher zum Prozess der Medialisierung: Die Medienabhängigkeit nimmt zu

Das Internet und die digitalen Medien stehen im Mittelpunkt des Buches „Medialisation – Von der Medienabhängigkeit des Menschen“, das PD Dr. Bert te Wildt, Leiter der Ambulanz der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie des LWL-Universitätsklinikums Bochum, jüngst veröffentlicht hat.

Im Buch will er die Frage beantworten, „warum sich der Mensch im Zuge der digitalen Revolution mehr denn je von Medien abhängig macht und wie dies auf sein Leben zurückwirkt.“ Zentrale Aussage ist die Beobachtung, „dass der Mensch dadurch seine Existenz weitestgehend auf eine virtuelle Ebene verlagert“, erklärt der Autor: „Es gibt in Deutschland bereits mehr als eine halbe Millionen Medienabhängige im pathologischen Sinne, deren exzessive Nutzung von Internet und Computerspielen das Leben in der konkret-realen Welt weitgehend verdrängt hat.“

Kritische Dimensionen der Abhängigkeit

Medienabhängige im klinischen Ausmaß sind vor allem junge Leute, die ihr konkret-reales Leben vernachlässigen. „Sie pflegen immer weniger ihre direkten Sozialkontakte, kümmern sich nicht mehr richtig um ihr materielles Auskommen und die Bedürfnisse ihres Körpers“, erklärt der Autor: „Sie haben die Zivilisation gegen die Medialisation eingetauscht. Ich war selbst überrascht, wie viele Betroffene, die sich in der Spezialambulanz für Internet- und Computerspielabhängige vorstellen, lieber in einer Matrix leben wollen.“

Im Gegenteil zu anderen Büchern ist die Betrachtung im Buch sowohl mit der individuellen Abhängigkeit aus der Perspektive von Medienpsychologie und -pädagogik verknüpft, als auch mit den „kollektiven Dimensionen der Medienabhängigkeit, dies vor allem medienhistorisch und -anthropologisch“, sagt te Wildt. Es gehört zum Wesen einer revolutionären Entwicklung, dass sie nicht nur Euphorie hervorruft sondern auch Angst macht.

In diesem Fall springen die einen kritiklos auf jeden digitalen Zug auf, aus Angst irgendetwas zu verpassen und den Anschluss zu verlieren, die anderen verurteilen aus Angst vor einer ungewissen Zukunft die digitalen Medien gleich in Gänze. Dies erklärt, warum die Diskussionen um das Internet so polarisiert geführt werden: „Medialisation“ versucht hier einen im umfassenden Sinne kritischen Ansatz.

Digitale Avantgarde und konservative Skeptiker

Abschließende Urteile über die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Medien sind heikel: Sowohl die digitale Avantgarde als auch die konservativen Skeptiker teilen aber vermutlich die Meinung, „dass Medien auch in der digitalen Zukunft dem Menschen dienen sollten und nicht umgekehrt.“ „Die künstliche Intelligenz“, kommentiert der Autor, „hat mittlerweile ein Niveau erreicht, dass sie uns Menschen in vielem überlegen und zu ersetzen in der Lage ist.“ Da intelligente Software und Apps scheinbar perfekt die Bedürfnisse ihrer Benutzer erfüllen, so te Wildt, ist ihnen nicht mehr bewusst, wie tiefgreifend sie von den Medien abhängig sind. Aber, so fragt sich, sind wir für einander überhaupt noch existent, spüren wir uns überhaupt noch, wenn unmittelbare Kontakte immer seltener werden und wenn sich zwischen quasi jede Begegnung zwischen mir und dem Anderen in der Welt ständig Bildschirme und Kameras schieben. Viele Menschen empfinden das schon heute als störend und entfremdend.“ In letzter Konsequenz wirft te Wildt die Frage auf, wie weit wir uns im Spagat zwischen digitalen und analogen Formen des Menschseins von den leiblichen Bedingungen der Existenz entfernen können, ohne unsere Menschlichkeit zu verlieren. „Und die digitale Revolution hat gerade erst begonnen…“

Titelaufnahme

Bert te Wildt: Medialisation – Von der Medienabhängigkeit des Menschen, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012, ISBN 978-3-525-40460-7

Weitere Informationen

PD Dr. med. Bert Theodor te Wildt, Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotheratie, LWL-Universitätsklinikum Bochum der Ruhr-Universität Bochum, Tel. 0234/5077-3176/3333, bert.tewildt@wkp-lwl.org

Redaktion: Stefania Parnici

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