Musiktausch oder Zukunftsmusik? Bei Peer-to-Peer denken alle nur an das eine

Dass hinter P2P weit mehr steckt als Musik- und Filmtausch im Netz wissen nur wenige: „Ich scheue mich nicht, zu behaupten, dass P2P die Kommunikation im Internet revolutionieren kann!“, erklärt Prof. Dr. Ralf Steinmetz vom Fachgebiet Multimedia Kommunikation der TU Darmstadt.


Wenn von Peer-to-Peer (P2P) die Rede ist, schrillen besonders bei Musik- und Filmverlagen die Alarmglocken: Diese neue Internettechnologie sorgt bislang nur in meist dubiosen Anwendungsfeldern wie illegalen Musiktauschbörsen für Furore. Der Industrie entstehen durch schwarz getauschte Filme und Songs, für die beim Händler teures Geld bezahlt werden müsste, Milliardenverluste. Das hinter P2P weit mehr steckt als Musik- und Filmtausch im Netz wissen aber nur die wenigstens: P2P steht ganz allgemein für eine selbstorganisierte Vernetzung von Computern — den „Peers“ — und ihren Inhalten. Diese Art der Vernetzung ist derzeit der heißeste Tipp zur Lösung der gestiegenen Herausforderungen des ständig wachsenden und mobiler werdenden Internets. Führende Multimediaexperten wie Ralf Steinmetz vom TU-Fachgebiet für Multimedia Kommunikation (KOM) halten P2P für den kommenden Trend des Internets von morgen: „Ich scheue mich nicht, zu behaupten, dass P2P die Kommunikation im Internet revolutionieren kann! Schon heute ist das Potential dieser Technologie bei alltäglichen Anwendungen erkennbar, etwa beim Telefonieren via Internet – man denke an Skype – der Wartung technischer Systeme, oder dem Datenaustausch zur Verbesserung medizinischer Diagnostik. Nicht zufällig hat der renommierte Feldafinger-Kreis P2P als eines der acht Trends des Internets der nächsten Generation identifiziert.“ erklärt Ralf Steinmetz.

Dies auch nach außen an ein Laienpublikum zu kommunizieren, ist für die Darmstädter Multimediaforscher nicht immer leicht: „Peer-to-Peer hat zur Zeit noch ein Image- und Wahrnehmungsproblem. Bei dem Wort denken alle immer nur an KaZaA, Napster & Co. Wenn über P2P geredet und gestritten wird, dann geht es immer nur um die schwarzen Tauschbörsen. Für uns Multimedia-Forscher ist P2P aber etwas ganz anderes: Eine neue Technologie, die bislang noch kaum erforscht ist, aber jede Menge bietet. Das ist etwa so, wie wenn Sie einen Ferrari in der Garage haben, aber sich nur zum Musikhören reinsetzen“, betont Oliver Heckmann, P2P-Experte am Fachgebiet Multimedia Kommunikation. Schon heute lassen sich zahlreiche Anwendungen mit den traditionellen Client-Server-Ansätzen nur noch mit erheblichem Aufwand realisieren: „Wo ein zentraler Server ist, auf dem alle Daten und Informationen hinterlegt sind, entstehen immer Kosten und Risiken“, erklärt Oliver Heckmann. Demgegenüber können P2P-Systeme praktisch umsonst betrieben werden, da kein zentraler Server angeschafft, administriert und gegebenenfalls erweitert werden muss. Die dezentrale Organisation gewährleistet einen hohen Grad an System-Stabilität: „Da kein zentraler Server vorhanden ist, kann er auch nicht ausfallen, angegriffen oder abgeschaltet werden. Solche Ereignisse sorgen in klassischen Netzen immer für einen Totalausfall des gesamten Systems.“ Außerdem lassen sich P2P-Netze einfach erweitern. Neue Nutzer schließen sich einfach dem bestehenden Netz an.

All dies macht Peer-to-Peer zu einem spannenden Forschungsbereich mit großem, wirtschaftlichen Potential. Vor allem die Industrie beginnt mittlerweile hellhörig zu werden und die Chancen dieser maßlos verkannten Technologie zu erkennen. Viele Unternehmen zeigen hohes Interesse. Sie suchen nach kreativen Lösungsansätzen aus der Wissenschaft, die P2P für sie anwendbar machen. In diesem noch jungen Fachgebiet besteht großer Forschungsbedarf. In Deutschland arbeiten deshalb nicht nur in Darmstadt namhafte Wissenschaftler an diesem Thema. Wie breit das Spektrum der Möglichkeiten ist, das Peer-to-Peer bietet, zeigt ein Blick ins Internetlabor des Fachgebiets Multimedia Komunikation. Hier arbeiten Wissenschaftler und Studierende an den verschiedensten Projekten rund um das Thema P2P-Netze: Ein Anwendungsfeld, das vor allem Globetrotter interessieren dürfte sind P2P-basierte Webkameras, die Live-Bilder von jedem Ort der Welt auf den heimischen Monitor bringen: „Die Zahl der Live-Webcams steigt ständig, die technische Installation mit Hilfe des klassischen Client-Server-Modells ist umständlich. Laien sind hier schnell überfordert. Durch die dezentrale P2P-Vernetzung ist das alles kein Problem mehr. Man schließt sich einfach einem bereits bestehenden Netzwerk an und ist mit seiner Kamera sofort online. Durch P2P kann sich auch jeder unerfahrene Nutzer kinderleicht eine Webcam im Garten installieren“, ist Oliver Heckmann begeistert. Ein weiteres Projekt für das bereits ein Prototyp entwickelt wurde, sind P2P-Spiele. Insbesondere Besitzer von Pocket PCs können sich durch diese Entwicklung unkompliziert weltweit mit anderen Spielefans vernetzen. Vor allem hier sehen die Darmstädter Multimediaforscher im kommenden Jahrzehnt viel wirtschaftliches Potential.

Musiktausch ist also nur ein winziger Bruchteil dessen, was P2P wirklich leisten kann: Überall da, wo große Datenmengen zwischen zwei und mehr Stellen schnell, zuverlässig und transparent ausgetauscht werden müssen, kann P2P in Zukunft als kostengünstige Alternative zum Einsatz kommen.

Bei all dem ist natürlich auch die Stabilität und Güte der Netzverbindung ein großes Thema. Es ist heute oft noch nicht vorhersagbar, wann man in den dezentralen, chaotischen P2P-Netzen beispielsweise eine spezielle Datei bekommt, und woher diese kommt. Auch hiermit setzen sich die Darmstädter P2P-Forscher: Sie konnten durch ihre Arbeiten aufzeigen, dass sich die wesentlichen Qualitätsanforderungen an Netze – Verfügbarkeit, Konsistenz, Skalierbarkeit, Performance, Verlässlichkeit und Sicherheit – auch in Peer-to-Peer-Systemen realisieren lassen. Und zwar ohne traditionelle Hierarchien. In einigen Punkten konnten sogar schon erste praktikable Lösungen präsentiert werden: „Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Peer-to-Peer-Systeme die Qualität und Dienstgüte besitzen, die sie benötigen, um auch in kritischen Umgebungen eingesetzt werden zu können. Spätestens dann werden sie in allen Anwendungsfeldern in ernsthafte Konkurrenz zu etablierten Client-Server-Sytemen treten, und dort ihre deutliche Überlegenheit zeigen.“, ist KOM-Chef Ralf Steimmetz überzeugt. Für das KOM-Team rund um ihren Fachgebietsleiter steht deshalb fest, dass P2P weit mehr ist als Musik- und Videotausch: Eine neue, noch wenig erforschte Internettechnologie mit viel Zukunftsmusik.

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Lars Rosumek idw

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