Medien-Experten: Die Zeitung der Zukunft ist individueller und kleiner

11. Euroforum Jahrestagung „Zukunftsforum Medien“

  • Layout-Papst Mario Garcia: „Nur 10 Sekunden für die Titelseite!“
  • Internet beeinflusst Inhalt, Gestaltung, Preis und Werbeformen
  • Erste Experimente mit Kleinformaten
  • MAN Roland sieht Weltmarkt für Print-Produkte bei 950 Mrd. Euro

Die Tage der Zeitung als großformatiges Druckmedium für alle Zielgruppen sind gezählt. So die Quintessenz der Vorträge und Debatten auf der Euroforum-Jahrestagung „Zukunftsforum Medien“ am Dienstag und Mittwoch in Köln. Die Verlage werden sich den von Fernsehen und Internet geprägten Seh- und Lesegewohnheiten der Leser anpassen müssen und in Zukunft kleinere und an den Interessen unterschiedlichster Zielgruppen ausgerichtete Zeitungen und Zeitschriften mit größerem Bild- und geringerem Text-Anteil entwickeln müssen.

„Keep it simple and clean“, erteilte beispielsweise der eigens aus USA zum Kongress angereiste Layout-Papst Dr. Mario Garcia, einem aufwändigen Medien-Design die Absage. Eine Vielzahl von Zeitungen und Zeitschriften weltweit trägt bereits die Handschrift des Gründers und CEO der in Kalifornien ansässigen Garcia Media Group Inc. (www.garcia-media.com), so auch die „Zeit Punkte“ der deutschen Wochenzeitung. „Good visual journalism is good business“ lautet das Erfolgsrezept des Mediengestalters. Allerdings müsse man die heutigen Lesegewohnheiten der Käufer zunächst genau kennen, um ihnen die passende Zeitung anbieten zu können.

Die Menschen hätten heute beispielsweise einen engeren Bezug zur Technik und würden mehr und schneller lesen. „Allways connected“ sei mittlerweile häufig die Realität, meint Garcia. Eine eigene Studie habe gezeigt, dass rund 80 Prozent der Konsumenten zwei Medien (Internet und Telefon) oft auch simultan nutzten.

Ohne Zweifel werde auch heute noch viel gelesen. Das beweisen laut Garcia nicht zuletzt die Auflagen-Zahlen eines „Harry Potter“ oder von „The New Yorker“. Die Lesegewohnheit bei Zeitungen habe sich aber radikal gewandelt. Die ausgiebige Lektüre am Morgen gehöre der Vergangenheit an. Der Leser entscheide anhand der Titelseite morgens innerhalb von zehn Sekunden nur kurz, was ihn interessiere. Im Arbeitsalltag werde die traditionelle „Zeitung vom Morgen“ heute tagsüber in mehreren Sessions gelesen – und schwerpunktmäßig auch nicht mehr morgens, sondern erst am Feierabend.

„Lasst mehr die Bilder sprechen“, appellierte Garcia daher in Köln an die Zeitungsmacher. Die große Kunst bei der Umstellung auf ein kleineres Zeitungsformat mit mehr Bildanteil – und damit bestätige der amerikanische „Layout-Guru“ auch die Erfahrung der anderen Zeitungsmacher – bestehe darin, die Redakteure im Verlag von dem teils massiv geringeren Textanteil der Zeitungen und Zeitschriften zu überzeugen. Auch im Internet suche der Leser als Ergänzung zum Printmedium keine vertiefenden Stories, sondern eher Fotos.

Der unschätzbare Vorteil der Zeitung gegenüber dem Internet: Die Lektüre ist abends beendet. Damit das Lesen keinen unbefriedigten Nachgeschmack hinterlasse, müssten Zeitungen genau aus diesem Grunde auch kompakt gemacht sein, zeigte sich Garcia überzeugt.

Zeitungsmarkt im Wandel

Bereits heute hat sich der Zeitungsmarkt radikal verändert. Einen starken Einfluss darauf hatte zweifellos das Internet. „Man kann die Zeitungen vor dem Internet nicht schützen“, erklärte Karlheinz Röthemeier, Sprecher der Geschäftsführung der Verlagsgruppe Rhein-Main GmbH und Vizepräsident im Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e.V. (www.bdzv.de). Das hätten die Zeitungsverlage in den vergangenen Jahren gelernt. Jeder Verlag müsse wohl seinen eigenen Weg finden. Bewährt habe sich beispielsweise eine Vernetzung der regionalen Internet-Strukturen verschiedener Verlage.

Eine starke Tendenz weg von der „Belehrung“ in früheren Zeiten hin zum „Austausch“ hat Eugen Russ, Geschäftsführer des Verlages der österreichischen Vorarlberger Nachrichten ( www.vn.vol.at) für die Zeitung ausgemacht – verursacht unter anderem durch Internet-Angebote wie Ebay und Amazon. Über die Koppelung der gedruckten Seiten mit Online-Inhalten wie Downloads von Ergebnislisten, Formularen, Bauanträgen, Bilanzen oder Liedertexten, hat der Verlag sein Angebot deshalb vertieft. 1.500 Mal sei beispielsweise das Testament des Papstes von den Lesern herunter geladen worden. Damit übernehme die Zeitung quasi die Funktion eines Internet-Browser. Mehr als 1.000 registrierte User verzeichnet das Blatt inzwischen, die nicht nur die Themen für die Lokalausgaben vorgeben, sondern sich darüber hinaus sogar als freie Mitarbeiter aktiv beteiligen.

Insbesondere mit der jüngeren Leserschaft tut sich das Medium Zeitung immer schwerer. Gründe dafür sind laut Axel Dammler, Geschäftsführender Gesellschafter von „iconKids & youth“ (www.iconkids.com), nicht zuletzt die abnehmende Lesebereitschaft und auch Lesefähigkeit bei den Jugendlichen. Der Medientrend „schneller, lauter, greller“ führe dazu, dass auch der den Konsumenten zugemutete Anteil der „Lese-Arbeit“ immer geringer werde. Die Anforderungen an die Printmedien im Jugendsegment gehen Dammler zufolge weg von der Unterhaltung in Richtung „Service und Information“ bei zunehmend mobiler Nutzung. An diesem Interessen-Profil der jungen Leser müssten sich auch die lokalen Zeitungen bei ihrer Zukunftsplanung ausrichten, meint Dammler.

Experimente mit neuen Formaten

Selbst das (Groß-)Format der Zeitung ist kein Tabu. So testen beispielsweise „Die Welt“ und der „Kölner Stadtanzeiger“ derzeit ein „Tabloid“ genanntes Mini-Format zu deutlich herabgesetzten Kaufpreisen. „Auch Zeitungen müssen um Minuten kämpfen“, bringt Franz Sommerfeld, Chefredakteur beim Kölner Stadtanzeiger (www.ksta.de), die Beweggründe seines Verlages für die Herausgabe des „Stadtanzeiger Direkt“ auf den Punkt. Das Zeitalter „eine Zeitung für alle“ neige sich dem Ende zu und es gelte, die gewohnte Zeitung zu einer Markenfamilie mit individuellen Angeboten für bestimmte Zielgruppen zu machen. Sommerfeld: „Wir müssen uns hier die Strategien der Markenartikler zunutze machen und ebenfalls Premium Marken oder Spezial-Titel für bestimmte Altersgruppen entwickeln.“

Auf der Suche nach dem Zeitungskonzept der Zukunft hat die Universität Köln in einem Projekt bereits die Plattform für eine „Individualisierte Gedruckte Zeitung“ entwickelt und zum Patent angemeldet. „… die geeignete Plattform, um neue Formate auszuprobieren“, wie Prof. Dr. Detlef Schoder, Universitätsprofessor am Seminar für Wirtschaftinformatik der Uni Köln (www.wim.uni-koeln.de), erklärte. Die Vielzahl der Anforderungen an die Zeitung wie neue Preise, Formate, Zielgruppen oder Werbestrategien können mit Hilfe der Plattform flexibel umgesetzt werden.

Hauptumsatzträger der Druckindustrie

Dass die Tageszeitung eines Tages komplett aus der Medienlandschaft verschwinde, da sind die Medienexperten einer Meinung, ist trotz der Vielzahl an digitalen und mobilen Medien nicht zu erwarten. „Print entwickelt sich wieder viel versprechend aus einem Tal heraus“, zeigte sich Thomas Hauser, Leiter Marketing und Kommunikation der MAN Roland Druckmaschinen AG (www.man-roland.de), auf der Medien-Tagung überzeugt. Denn neben dem Bedarf an schneller und jederzeit mobil verfügbarer Information hätten die Mediennutzer gleichzeitig den Wunsch nach Fokussierung und Besinnung, wie ihn nur die gedruckten Medien erfüllen können. Der sprichwörtliche Felsen im Meer des Marktes der Print-Produkte, deren Druckvolumen Hauser auf weltweit rund 950 Mrd. Euro jährlich bezifferte, seien Zeitungen und Zeitschriften. Hier sei im Vergleich zu anderen Produkten wie Gruß- und Landkarten, Büchern, Katalogen oder Verpackungen aber auch die meiste Bewegung im Markt hinsichtlich Design, Farbgebung Format oder etwa Aktualität.
Wie mit Content im Internet Geld verdient wird, machen Internet-Provider wie America Online (www.AOL.de) seit Jahren vor. Bei Music-on-Demand (MoD) ist AOL mit 500.000 Kunden inzwischen in Deutschland die Nummer Drei hinter der Telekom-Tochter T-Online und Apple’s iTunes. Als größtes Plus für das funktionierende Online-Business sieht Simone Brecht, Vice President Programming und Mitglied der Geschäftsleitung der AOL Deutschland GmbH und Co. KG, die bestehende Kundenbeziehung für die möglichst einfache Abrechnung der Inhalte (Billing) mit dem Nutzer. Aber auch exklusive Inhalte würden zum Erfolg der Dienste beitragen. Seinen neuesten Dienst, Internet-Telefonie in gewohnt guter Sprachqualität, bietet der Hamburger Provider allerdings seit dieser Woche erstmals auch Nicht-AOL-Mitgliedern an. Ambitionen, im Rahmen einer Triple Play-Strategie via Kabelmodem auch auf den Fernsehbildschirm zu gehen, hege der Internet Provider derzeit nicht, wie die AOL-Managerin auf Nachfrage erklärte.

Media Contact

Dr. phil. Nadja Thomas EUROFORUM

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