Das gemeinsam zu erreichende Ideal

Ein für die Staatengemeinschaft wichtiges Ereignis, das man sich ob der politischen Geschehnisse der vergangenen Wochen umso deutlicher ins Bewusstsein rufen sollte, jährt sich demnächst wieder: am 10. Dezember vor 53 Jahren wurde die „Universale Erklärung der Menschenrechte“ verabschiedet. Die Wirkungsgeschichte dieser UN-Menschenrechtscharta hat in den vergangenen Jahren ein Wissenschaftlerteam um Professor Dr. Klaus Dicke von der Universität Jena erforscht, unterstützt von der VolkswagenStiftung mit rund 100.000 Euro. „Ohne den weltweit von fast allen Staaten anerkannten Kanon der Menschenrechte als ethisches Fundament“, so der Jenaer Politikwissenschaftler, „wären heute politisches Handeln und eine globale Verständigung kaum denkbar.“

Die UN-Deklaration umfasst den klassischen Katalog an Freiheitsrechten, wie er auch in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland eingeflossen ist, ferner soziale und kulturelle Menschenrechte. Wie ein roter Faden zieht sich durch die Erklärung, dass es vor allem Details des nationalsozialistischen Terrorregimes waren, die den Inhalt der in der Erklärung enthaltenen Rechte bestimmten. Andererseits war es gerade das spürbar eurozentristische Weltbild hinter dem universellen Geltungsanspruch, das von einigen dem Westen ferner stehenden Kulturen immer wieder kritisiert wurde.

Ziel der Jenaer Forscher war es nun, vor dem Hintergrund der ursprünglichen Absicht der Verfasser der Charta die tatsächliche Wirkung dieser formell nicht rechtsverbindlichen, wohl aber am häufigsten zitierten und wirkungsträchtigsten Deklaration der UN-Generalversammlung auf verschiedenen Ebenen zu untersuchen. Sichtbar sei geworden, beschreibt Dicke die Entwicklung, dass die internationale Politik in den vergangenen fünfzig Jahren die Menschenrechte immer weniger als eine innerstaatliche und immer mehr als eine weltpolitische Aufgabe begriffen habe. Damit hätten zwar die Konflikte auf der Welt keineswegs abgenommen, wohl aber begriffen sich die Staaten doch in viel stärkerem Maße als eine Wertegemeinschaft, „die um ihrer Wertordnung willen solche Konflikte zu verhindern und die Austragung von Konflikten in rechtliche Bahnen zu lenken versucht“, sagt Dicke.
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Kontakt: Professor Dr. Klaus Dicke, Universität Jena, Telefon: 03641/945430, Fax: 03641/945432,

 E-Mail: s6woma@rz.uni-jena.de
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Von zentraler Bedeutung ist auch Art. 21, der auf den deutschen Juristen und Emigranten Karl Loewenstein zurückgeht. Dieser Passus verbrieft die politische Mitwirkung, wonach also jeder Mensch das Recht hat, „an der Leitung der öffentlichen Angelegenheiten seines Landes unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter teilzunehmen“ – was durch das Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern sowie durch die Volkssouveränität und allgemeines wie gleiches Wahlrecht näher konkretisiert wird. In mehreren Schriften hat Loewenstein dargelegt, dass freie Wahlen in regelmäßigen Abständen die einzig verlässliche Garantie für ein menschenrechtskonformes Regime abgeben. Dabei sei die Staatsform eher zweitrangig, entscheidende Bedeutung komme der Regierungsform zu.

Daraus lasse sich die Einsicht formulieren, so Dicke, dass um der Würde der Menschen willen sich die internationale Gemeinschaft der Verantwortung für die Regierungsform in welchem Staat auch immer nicht entziehen könne. „Der Geist der Universalen Erklärung der Menschenrechte lässt alles in al-lem erkennen, dass die Durchsetzung der Menschenrechte auf ein funktionierendes Ineinandergreifen von drei Instanzen angewiesen ist: den demokratischen Verfassungsstaat, die internationale Gemeinschaft und ihre Organe sowie die politische Öffentlichkeit.“

Im Verlauf der Jahrzehnte nach der Verabschiedung hat sich das Gedankengut aus der Menschenrechtscharta auch auf einer nichtstaatlichen Ebene entfaltet. So wird zivilcouragiertes Handeln grenzübergreifend gerade von Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) exemplarisch vorgelebt. Dicke: „Globale Vereinbarungen zum Umweltschutz wie etwa das Kyoto-Protokoll, der Strafgerichtshof in Den Haag, die Anti-Personenminen-Konvention oder das Zusatzprotokoll zur Kinderrechtskonvention wären ohne Beteiligung der NGOs so nicht zustande gekommen.“ Der Einfluss reiche gar bis auf die kommunalpolitische Ebene, wie man etwa an den Agenda-21-Programmen erkennen könne.

Der Politikwissenschaftler sieht in den Nicht-Regierungsorganisationen künftig unverzichtbare Stützen des Menschenrechtsgedankens – und in dieser Entwicklung hin zu weit entfalteter Unabhängigkeit von einzelstaatlicher Regierungspolitik eine Art Zukunftssicherung der Menschenrechtspolitik. Dennoch – oder vielleicht auch gerade deshalb – wird mancherorts zunehmend die Frage gestellt, ob die Erklärung der Menschenrechte von 1948 inzwischen nicht unter Umständen reform- oder ergänzungsbedürftig sei. Forderten doch zuletzt beispielsweise Staaten wie Malaysia, Kuba oder Mexiko eine Überarbeitung derselben …

Über all dem verblasst die Leistung der Verfasser der Deklaration nicht. Sie ist wohl zuallererst darin zu sehen, dass ihnen ein Text gelang, der in einer denkbar klaren und einfachen Sprache einen Maßstab formuliert, an dem sich die Politik nach Auschwitz orientieren konnte.
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Kontakt Förderprojekt VolkswagenStiftung, Dr. Alfred Schmidt, Telefon: 0511/8381-237, Fax: 0511/8381-344, E-Mail: schmidt@volkswagenstiftung.de
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