Wenn Gutenberg online geht

Technikforscher des Forschungszentrums Karlsruhe legen Studie zum Internet-Buchhandel in Deutschland vor

Die mögliche Abschaffung der Buchpreisbindung stellt für den heimischen Buchhandel eine weit größere Herausforderung dar als neue, an das Internet gebundene Vertriebs- und Produktionsformen. Zu diesem Ergebnis kommt eine von Wissenschaftlern des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) am Forschungszentrum Karlsruhe vorgelegte Studie zum „Online-Buchhandel in Deutschland“. Der elektronische Handel mit Büchern, so machen die Autoren deutlich, kann den traditionellen Buchhandel nicht verdrängen, sofern dieser seine Stärken auszuspielen weiß. Als derzeitiger Gewinner des Online-Geschäfts erscheinen jedoch weniger Sortimentsbuchhandel und Verlage als vielmehr die Buchgroßhändler. Die im Auftrag der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg durchgeführte Untersuchung ist sowohl in gedruckter Form als auch elektronisch verfügbar.

Wenn im laufenden Jahr vom Handel im Internet die Rede war, ging es dabei meist um das Herunterladen von Musikstücken oder um Homebanking. Star im Warenkorb des E-Commerce ist jedoch das Buch: Mehr als 60 % der deutschen Online-Käufer holten sich im Jahr 2000 per Mausklick Lektüre ins Haus. Den virtuellen Buchkaufhäusern bescherte das einen Umsatz von 378 Mio. DM, unterm Strich aber fast nur Verluste. Gewinner waren die Buchgroßhändler, die als Lieferanten und Logistikdienstleister von der Entwicklung profitierten.

Doch wie funktioniert Online-Buchhandel überhaupt? Welche Serviceleistungen und technischen Innovationen erwarten den Kunden? Und welche Folgen für die Branche und ihre Akteure wird der Trend zur Digitalisierung nach sich ziehen? Auf diese und weitere Fragen gibt die soeben erschienene Studie der Karlsruher Wissenschaftler Ulrich Riehm, Carsten Orwat und Bernd Wingert umfassend Auskunft. Die Autoren beschreiben den Ist-Zustand des Buchhandels in Deutschland ebenso wie die Entwicklung des Internets zum Handelsschauplatz. Detailliert stellen sie sodann den Online-Buchhandel in seinen Erscheinungsformen und Tendenzen vor. Eingehend analysiert werden herstellungs- und verteilungsbezogene Innovationen wie das Drucken auf Bestellung („Book-on-Demand“), elektronische Bücher und Wissensportale, aber auch gänzlich neue Geschäftsfelder wie der Rückkauf nicht mehr benötigter Bücher oder der kapitelweise Abruf von Büchern aus Datenbanken.

Der Online-Buchhandel wird weiter expandieren – mit mittelfristig prognostizierten deutlich über 5 Prozent Anteil am Gesamtumsatz (Jahr 2000: 2,3 Prozent) freilich längst nicht so stark, wie unlängst noch erwartet. „Die Branche“, zieht Projektleiter Ulrich Riehm ein Fazit aus 29 Expertengesprächen, „wird sich jedoch auch qualitativ fortentwickeln, zum Beispiel durch die Vernetzung von Vertriebs- und Bestellformen („multi-channel“), durch eine weitere Spezialisierung des Bücherangebots sowie durch eine Erweiterung der Sortimente über das Medium Buch hinaus.“

Ob all dies dem Buchhändler um die Ecke (dem so genannten stationären Sortimentsbuchhandel) das Wasser abgraben wird, ist eine weitere zentrale Fragestellung des Buches. Die Antwort der Karlsruher Forschergruppe ist eindeutig, wenngleich nicht eindimensional: Der traditionelle Buchhandel wird sich gegen den Online-Buchhandel behaupten, wenn er seine Stärken ausspielt und zugleich die neuen Technologien für sich zu nutzen weiß. „Der stationäre Buchhandel“, so Ulrich Riehm, „muss seine besonderen Stärken wie persönliche Beratung, angenehme Verkaufsatmosphäre und Über-Nacht-Bestellung ausbauen und besser vermarkten. Besonders gute Chancen haben diejenigen, die sich darüber hinaus neuen Vertriebsformen öffnen bzw. diese mit bestehenden kombinieren. In über 2000 Buchhandlungen kann man zum Beispiel mittlerweile ein Buch im Internet bestellen und dann im Ladengeschäft abholen und bezahlen.“

Eine ungleich größere Gefahr als vom Cyberhandel droht Buchhändlern, Grossisten und Verlagen auf mittlere Sicht von einer möglichen Abschaffung der Buchpreisbindung. Kaum einer der im Rahmen der Studie befragten Branchenkenner wünscht sich eine solche Deregulierung des gerade in Deutschland vielfältig verästelten und austarierten Büchermarkts; die meisten indes erwarten sie im Laufe der nächsten 5 Jahre. Eine weitere Explosion der Titelzahlen, eine Zunahme des Direktvertriebs durch Autoren und Verlage, eine Reduzierung des Sortiments auf Bestseller, vor allem jedoch ein langsames Dahinsiechen der „kleinen“ Buchhandlungen könnte die Folge sein. „Der Medienwandel“, resümiert Ulrich Riehm, „wird den bereits stattfindenden Struktur- und Funktionswandel der Branche weiter beschleunigen.“

Bemerkenswert ist die Karlsruher Untersuchung nicht zuletzt deshalb, weil sie ihre Thematik – die technologisch bedingte Veränderung von Büchern und Buchhandel – gewissermaßen „am eigenen Leib“ durchspielt. „Online-Buchhandel in Deutschland. Die Buchhandelsbranche vor der Herausforderung des Internet“ ist daher sowohl gedruckt als auch elektronisch verfügbar, und dies gleich in mehreren Fassungen, die auf unterschiedliche Nutzungsbedürfnisse eingehen.

Das Buch von Ulrich Riehm, Carsten Orwat und Bernd Wingert: „Online-Buchhandel in Deutschland. Die Buchhandelsbranche vor der Herausforderung des Internet“ ist erhältlich:

  • als gedrucktes „Buch auf Bestellung“, beziehbar im konventionellen Buchhandel und bei www.libri.de (ISBN 3-923704-36-4, 226 Seiten, 49 DM);
  • als elektronische Variante der gedruckten Fassung zum Lesen und Bearbeiten an großen Bildschirmen sowie zum selektiven Ausdrucken auf dem Bürodrucker (ISBN 3-923704-37-2, 226 Seiten, A4-Format, 29 DM, Einzelkapitel zwischen 0,90 und 6,90 DM im geschützten PDF-Format für den Acrobat-eBook-Reader);
  • ektronische Fassung, die speziell für das Lesen und Arbeiten an Bildschirmen mit einer Auflösung ab 600 x 800 Pixel und Laptop-Größe optimiert wurde (ISBN 3-923704-38-0, 526 Seiten, 19 DM, im geschützten PDF-Format für den Acrobat-eBook-Reader).

Bezugsquellen für die elektronischen Fassungen sind www.ciando.com, www.epodium.de sowie www.amazon.de.

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Inge Arnold idw

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