U-Bahnbau in Hannover und 750-Jahr-Feier in Rostock

Ein Forschungsprojekt an der Universität Hannover untersucht die Zusammenhänge zwischen Stadt und Herrschaft

Ein rauschendes Fest war es nicht gerade, als sich am 16. November 1965 Prominenz aus Politik und Wirtschaft, städtische Bedienstete, Journalisten und Bauarbeiter in winterlicher Kälte zwischen Gustav-Bratke-Allee und Waterlooplatz in Hannover trafen. Dabei sollte ein Projekt gestartet werden, das für die niedersächsische Landeshauptstadt von großer Bedeutung sein sollte: der erste Rammschlag für den Bau der U-Bahn. Doch statt Begeisterung herrschte eher Einsicht in eine bittere Notwendigkeit – die U-Bahn wurde keineswegs als fulminanter Start in die Zukunft gefeiert, sondern eher als unumgänglicher, finanziell riskanter Weg gesehen, dem drohenden Verkehrskollaps zu entgehen.

Sonnenschein, Festumzug, Fahnenmeer, Friedensappelle: Am 24. Juni 1968 feierte die Hansestadt Rostock nicht nur den Auftakt der Ostseewoche, sondern auch den 750sten Geburtstag der Hansestadt. Zwei Jahre hatte man die Feier vorbereitet, Streitigkeiten zwischen Stadt und SED-Kreisleitung hatte die Partei zu ihren Gunsten entschieden, und so zeigte sich die Stadt als modernes sozialistisches Tor zur Welt. Die Übergabe der 20.000sten Wohnung geriet zur Demonstration des hohen Lebensstandards in Walter Ulbrichts Lieblingsstadt.

Zwei Städte, zwei Feiern, fast zeitgleich, aber kaum vergleichbar? Ein Forschungsprojekt am Historischen Seminar der Universität Hannover hat sich die Aufgabe gestellt, anhand solcher Feiern die Zusammenhänge zwischen Stadt und Herrschaft zu untersuchen. „Ursprünglich haben wir uns in unserem Projekt auf deutsche Städte in Diktaturen konzentriert, also Städte in Ostdeutschland im Nationalsozialismus und in der DDR untersucht“, erklärt Projektleiterin Prof. Adelheid von Saldern. Doch man wolle nun die Vergleichsmöglichkeiten ausweiten und habe auch den Bau der U-Bahn in Hannover in die Untersuchungen mit einbezogen.

Insgesamt stehen zehn Städte im Zentrum des Projektes, als zweite westdeutsche Stadt soll Wilhelmshaven dazukommen. „Uns stellt sich die Frage, welche Integrationsstrategien eine Stadt anbietet, wie sich diese in den deutschen Diktaturen und in der Demokratie unterscheiden und wie vermeintlich unpolitische Ereignisse wie Stadtjubiläen, erste Spatenstiche oder Eröffnungen von Festivals politisch zur Stabilisierung von Herrschaft genutzt werden“, so die promovierte Projektmitarbeiterin Lu Seeger.

Erste Ergebnisse des von der VolkswagenStiftung geförderten Forschungsprojektes, das nun ins zweite Jahr geht, lassen sich bereits erkennen: So habe die NS-Herrschaft stärker und wahlloser an Traditionen angeknüpft als die DDR-Regierungen, die bewusst auf sozialistische Geschichtsbilder und Identifikationslinien setzten. Allen gleich sei gewesen, dass wichtige Stadt-Ereignisse immer mit dem Begriff „Zukunft“ verbunden worden seien – auch in der Bundesrepublik keine fremde Vokabel. Zugleich hätten die Kommunen die Ereignisse genutzt, um in der innerstaatlichen Städtekonkurrenz eine bessere Position zu erreichen und zugleich die Bevölkerung zum positiven Engagement für die Stadt zu mobilisieren – sei es durch zahlreiche Fähnchenschwinger im Publikum von Umzügen oder die Aufforderung, der Stadt ein „Festtagskleid“ zu verleihen. „Der große Unterschied, der sich bereits jetzt zwischen den Diktaturen und der Demokratie herauskristallisiert, ist, dass in den Diktaturen der Wettbewerb der Städte immer auf den Staat bezogen war, in der Demokratie hingegen konkurrieren die Städte untereinander“, betont Prof. von Saldern.

Hinweis an de Redaktionen:
Für weitere Fragen steht Ihnen Prof. Adelheid von Saldern unter Telefon 0511/762-4430 gern zur Verfügung.

Über die Pressestelle der Universität können Sie Fotos zum Projekt bekommen. Bitte rufen Sie uns unter 762-3650 an oder schicken Sie eine
E-Mail an k.wolf@pressestelle.uni-hannover.de .

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Monika Brickwedde idw

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