European Research Council muss unabhängig sein

Max-Planck-Gesellschaft fordert noch für 2004 eine Entscheidung über die Einrichtung eines Europäischen Forschungsrates

Ein European Research Council (ERC) sollte sich strikt an den international bewährten Standards einer unabhängigen Wissenschaftsförderung orientieren – über Forschungsprojekte sollte einzig nach der wissenschaftlichen Qualität und nicht nach wissenschaftsfremden Kriterien entschieden werden. Diese Forderungen sind das Ergebnis eines Treffens von führenden Vertretern europäischer Forschungsorganisationen und Forschungspolitikern, die auf Einladung der Max-Planck-Gesellschaft am 1. März 2004 nach Berlin gekommen waren. Im Mittelpunkt der Beratungen stand die Qualität der Forschung in Europa und die Frage, ob und wie die Wettbewerbsfähigkeit Europas durch den ERC gesteigert werden kann. Ein European Research Council sollte von der Europäischen Kommission unabhängig sein, über eine sehr schlanke Verwaltung verfügen und von hochqualifizierten Wissenschaftlern geleitet werden. Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn unterstützte diese Initiative ausdrücklich als ein Instrument des Wettbewerbs, Professor Ernst-Ludwig Winnacker, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, forderte adäquate Förderstrukturen, für die ausschließlich die Wissenschaft verantwortlich sein soll. Als für die Wissenschaft völlig ungeeignet kritisierte Professor Lord Robert May, Präsident der britischen „Royal Society“, die Forschungsförderung durch die Europäische Kommission. Prof. Arnim von Bogdandy, Direktor am Heidelberger Max-Planck-Institut für Völkerrecht, hob hervor, dass die Rechtsform einer „Executive Agency“ dem ERC keinesfalls die erforderliche Autonomie garantieren kann.

Angesichts der Beschlüsse von Lissabon und Barcelona, Europa bis zum Jahr 2010 zu der wettbewerbsfähigsten Wirtschafts- und Wissenschaftsregion auf der Welt zu machen und dazu die Ausgaben für Bildung und Forschung auf durchschnittlich 3 Prozent des Bruttosozialprodukts zu erhöhen, steht die Europäische Union vor der Frage, auf welche Weise die Grundlagenforschung künftig auch auf europäischer Ebene verstärkt unterstützt werden soll.

Die Kritik, wie Forschung bisher in den Rahmenprogrammen der EU gefördert, für rein wirtschaftliche Innovation instrumentalisiert und nach regionalpolitischen Vorgaben und wirtschaftlichen Wachstumseffekten beurteilt wird, einigt die Wissenschaftsgemeinschaft weitgehend in ganz Europa. Deshalb wurde bereits wiederholt auf wissenschaftspolitischen Tagungen gefordert, mit einer starken und wissenschaftsgeleiteten Europäischen Forschungsförderorganisation, einem European Research Council (ERC), auf diese Herausforderungen zu reagieren. Diese Notwendigkeit wurde zuletzt erst Mitte Februar bei einer hochrangigen Expertentagung von Wissenschaftlern und zehn europäischen Forschungsministern in Dublin bestätigt.

In seiner Begrüßung des hochrangig besetzten Expertenkreises hob Prof. Peter Gruss, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, die Probleme hervor, mit denen Forscher heute bei der Antragstellung im Forschungsrahmenprogramm zu kämpfen haben: „Kann Europa es sich noch leisten, erfolgreiche Modelle der Forschungsförderung zu ignorieren? Können wir Ergebnisse des internationalen Benchmarking weiter vernachlässigen? Wenn hochqualifizierte Wissenschaftler ihre Projekte mit Anwendungsmöglichkeiten rechtfertigen und komplizierte Verträge schließen müssen, so ist das kaum der richtige Weg, um einen europäischen Mehrwert zu erzielen.“

In ihrem Statement unterstützte Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn den Vorschlag zur Einrichtung eines ERC ausdrücklich. Ein ERC müsse beweisen, „dass in der Verantwortung der Wissenschaft schnellere Entscheidungen und weniger Bürokratie bei der Förderung der europäischen Grundlagenforschung möglich sind.“ Entscheidend bei der Modernisierung des europäischen Forschungssystems sei vor allem „mehr Wettbewerb unter den besten Forscherinnen und Forschern“, der in Europa noch zu wenig ausgeprägt sei. Um weltweites Spitzenniveau zu erreichen, forderte sie daneben auch die „Vernetzung über nationale Grenzen“ und „neue Förderwege für unkonventionelle Forschungsansätze“ sowie „die Beseitigung bürokratischer Hemmnisse, um der Wissenschaft Luft zum Atmen zu lassen“.

Professor Ernst-Ludwig Winnacker, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), betonte, wie fragmentiert derzeit die Förderaktivitäten und Standards in Europa aufgrund der inhomogenen forschungspolitischen Strukturen der Einzelstaaten seien. Daraus resultiere auch ein unterschiedliches Niveau des „Peer Review“ sowie mangelnde Karrieremöglichkeiten für Forscher in Europa. Zudem werde die Kommission immer nur einen Bruchteil der gesamten einzelstaatlichen Fördermittel für Forschung aufbringen können. Daher forderte Winnacker neben einem ERC auch eine stärkere Kooperation der nationalen Forschungsorganisationen. Ein wissenschaftsgerechtes Management eines ERC könne nur durch erfahrene Wissenschaftler gewährleistet werden. Winnacker schlug vor, die Vereinigung der Präsidenten der europäischen Forschungsorganisationen (EUROHORCs) sollten sich mit den Details der Ausgestaltung eines ERC befassen.

Der Präsident der britischen „Royal Society“, Professor Lord Robert May, unterstützte in Berlin die Einrichtung eines ERC sehr enthusiastisch. Dieser sollte nicht nur getrennt von dem bürokratischen Regelwerk der Europäischen Kommission funktionieren, sondern auch keine wissenschaftsfremden Kriterien anwenden. Deshalb sollte der ERC auch keinesfalls in Brüssel angesiedelt sein. May plädierte für die Einrichtung eines zwölfköpfigen Gründungsrates aus Wissenschaftlern – aber ohne „apparatschiks“.

Die Europäische Kommission hat in einer jüngst veröffentlichten Mitteilung die Förderung von Grundlagenforschung im neuen 7. Forschungsrahmenprogramm in Aussicht gestellt. Durch die Vergrößerung der Union kann die Forschung auch mit mehr Mitteln rechnen, wobei Industrieforschungs- und Technologieprogramme große Teile davon absorbieren werden. Von den 40 Mrd. Euro, die die Kommission für das 7. Rahmenprogramm fordert, sind für Grundlagenforschung zwischen 500 Mio. und 2 Mrd. Euro im Gespräch.

Die Wissenschaftsgemeinschaft befürchtet allerdings, dass die Europäische Kommission einen European Research Council nicht autonom genug gestalten will, sondern dafür die Rechtsform einer „Executive Agency“ im Blick hat. Professor Armin von Bogdandy, Direktor am Max-Planck-Institut für Völkerrecht, brachte die Überlegungen über die konkrete rechtliche Gestaltung des ERC ein wesentliches Stück weiter. Er warnte davor, sich auf die Rechtsform einer „Executive Agency“ einzulassen, da diese eine „substantielle operationelle Autonomie“ nicht gewährleiste. Die Kommission könne dann „alle Instanzen eines ERC nominieren und kontrollieren und in seine Planung intervenieren“.

Nach seiner Analyse des Europäischen Vertrags komme für den ERC nur eine Agentur nach Artikel 171 in Frage, unter der „gemeinsame Unternehmen oder andere Strukturen für eine effiziente Durchführung der Gemeinschaftsforschung“ („joint undertakings or any other structure necessary for the efficient execution of Community Research“) eingerichtet und in deren Organen eine größere Zahl von Repräsentanten der Wissenschaft vertreten sein können.

Die Tagungsteilnehmer waren sich darin einig, dass ein ERC nur wissenschaftlich exzellente Forscherteams sowie kreative, nicht nur dem mainstream folgende Projektvorschläge fördern sollte. Themenauswahl und -begutachtung sollte von Wissenschaftlern geleistet werden, die im Forschungsmanagement erfahren sind und das Vertrauen der Wissenschaftsgemeinschaft genießen.

An der Berliner Tagung nahmen auch namhafte Wissenschaftsvertreter der neuen Beitrittsländer der EU teil, die – wie die Rede des Wissenschaftsministers Polens, Professor Michal Kleiber sowie Äußerungen der Vertreter Ungarns und Estlands zeigten – einen ERC ebenfalls unterstützen.

Man war sich auch einig, dass die prinzipielle Entscheidung über einen ERC noch in der zweiten Jahreshälfte 2004 gefällt werden muss. Dazu hat sich die Forschungsministerin der Niederlande, in deren Ratspräsidentschaft diese Entscheidung fallen wird, bereits sehr positiv geäußert.

Die wichtigsten Schlussfolgerungen der Konferenz hat Max-Planck-Präsident Professor Peter Gruss in einem englischsprachigen Statement zusammengefasst. Darin appelliert er an die Bundesregierung, die Regierungen der anderen europäischen Länder sowie an die Europäischen Kommission, schnellstmöglich die erforderlichen Schritte zur Gründung eines European Research Councils einzuleiten.

Weitere Informationen erhalten Sie von:

Angelika Lange-Gao
Max-Planck-Gesellschaft, Generalverwaltung, München
Tel.: 089 2108-1265, Fax: -1451
E-Mail: langegao@gv.mpg.de

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Dr. Bernd Wirsing Max-Planck-Gesellschaft

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