Suche nach dem ältesten Eis der Alpen

Gefrorenes Klimaarchiv: Expeditionsleiterin Margit Schwikowski vom PSI mit einem Eiskern aus der Bohrung am Colle Gnifetti

Eine Forschungsgruppe unter Leitung des Paul Scherrer Instituts (PSI) bohrt am Monte Rosa ins vermutlich älteste Eis der Alpen. Die chemische Analyse des Bohrkerns soll klären, wie alt dieses Eis tatsächlich ist. Ein weiteres Ziel ist es, die Klimaentwicklung der vergangenen 500 Jahre besser zu beschreiben und die Schadstoffemissionen aus der Zeit des Römischen Reiches ans Licht zu bringen.

Der Colle Gnifetti auf 4452 Metern über Meer liegt schon lange im Fokus der Glaziologen und Klimaforscher. 100 Meter tief unter diesem Sattel im Monte-Rosa-Gebiet vermuten die Gletscherforscher das älteste Eis der Alpen. 2’000 bis 10’000 Jahre alt soll es sein. Ein Forschungsteam unter Leitung des PSI – mit Spezialisten der Universität Venedig und der ETH Zürich – will nun mit einer Eisbohrung das Geheimnis lüften. Seit vergangenen Samstag sind die Wissenschaftler im Einsatz, um das Eis bis zum Gletscherbett zu durchbohren. Die Gruppe des PSI mit der Umweltchemikerin Margit Schwikowski bringt dabei grosse Erfahrung mit. Ihre Bohrmethode hat sich auf Expeditionen in Russland (Altai-Gebirge), Chile, Argentinien, Equador und auch in der Schweiz (Fiescherhorngletscher, Piz Zupo) bewährt.

Aus der Sicht der Wissenschaftler ist die Frage nach den tiefsten Eisschichten äusserst spannend. Wann hat sich der Gletscher gebildet? Während der letzten Eiszeit vor über 10’000 Jahren oder später? Was lässt sich daraus über die Entwicklung des Klimas in den letzten Jahrtausenden schliessen? Gletschereis eignet sich optimal als Klimaarchiv. Atmosphärische Spurenstoffe werden mit dem Schnee chronologisch abgelagert und konserviert. Die Zusammensetzung der Isotope im Eis erlaubt Rückschlüsse auf die Temperatur in der Atmosphäre. Zur Altersbestimmung wollen die Forschenden eine neu entwickelte Methode einsetzen, die auf dem C-14-Gehalt der im Eis vorkommenden kohlenstoffhaltigen Partikel basiert.

Bleiemissionen des römischen Imperiums

Von den Untersuchungen des Bohrkerns vom Colle Gnifetti erhofft man sich ausserdem Aufschluss darüber, welche Emissionen die Römer vor 2000 Jahren verursachten. Für die Wasserleitungen und Trinkgefässe der damaligen Zeit wurden enorme Mengen Blei gewonnen und verarbeitet. Die dadurch verursachten Emissionen werden sich wahrscheinlich im Gletschereis nachweisen lassen – und vielleicht die Spekulationen über das Schicksal des Römischen Reiches nähren

Bisherige Bohrungen im Monte-Rosa-Gebiet hatten die Analyse der industriellen Verschmutzung zum Thema und konzentrierten sich daher auf die letzten Jahrhunderte. So liess sich im Gletschereis z.B. aufzeigen, wie zwischen 1870 und 1975 der Sulfatgehalt rasant anstieg. Sulfat entsteht in der Atmosphäre aus Schwefeldioxid, das bei der Verbrennung von Kohle und Heizöl entweicht. Die Messungen des PSI und der Universität Bern belegen weiter, dass die Sulfat-Konzentrationen im Eis der letzten Jahre auf den Stand von 1940 zurückgefallen sind – eine Folge der Umweltschutzmassnahmen.

Die Alpengletscher schmelzen weg, besonders im diesjährigen Sommer mit andauernden Rekordtemperaturen. Auch die hoch gelegenen Eispanzer sind gefährdet. Das sich bildende Schmelzwasser zerstört die Klimaarchive. Eisbohrungen stehen deshalb unter Zeitdruck, sollen klimawissenschaftliche Daten aus frühen Epochen noch gerettet werden – wie jetzt am Colle Gnifetti. Die Arbeiten dort oben kommen zügig voran, das Wetter ist prächtig. Am Dienstag hat das Team bereits mit einer zweiten Bohrung begonnen. Erste Resultate aus den Untersuchungen der Eiskerne sind Anfang nächstes Jahr zu erwarten.

Für weitere Auskünfte:
Dr. Margit Schwikowski
Labor für Umwelt- und Radiochemie, PSI
Tel. +41 (0)56 310 41 10 oder +41 (0)79 746 90 23
margit.schwikowski@psi.ch

Prof. Dr. Heinz Gäggeler
Stellv. Direktor PSI
Tel. +41 (0)56 310 24 04
heinz.gaeggeler@psi.ch

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Beat Gerber idw

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