Warum Bäume in Rohren Wurzeln schlagen

In interdisziplinärer Ursachenforschung „Leck-Hypothese“ widerlegt

RUBIN 1/2003: „Dichtefalle“ mit Konsequenzen für den Leitungsbau

Was ist Schuld daran, wenn Bäume mit ihren Wurzeln in Rohrleitungen eindringen, was zu jährlichen Schäden in Millionenhöhe führt? Eigentlich war man sich einig, die Wurzel drängt zum Wasser, dass an undichten Stellen aus den Rohren sickert. Doch Ingenieure und Biologen am Lehrstuhl für Spezielle Botanik, des Botanischen Gartens der RUB und des Instituts für unterirdische Infrastruktur (IKT), Gelsenkirchen, widerlegen jetzt die „Leck-Hypothese“: Sie finden heraus, dass die Dichte des Bodens über das Richtungswachstum der Wurzel entscheidet und ziehen Konsequenzen für den Leitungsbau. Über die Ergebnisse dieses Kooperationsprojektes unter Leitung von Prof. Dr. Thomas Stützel, gefördert durch das Umweltministerium NRW, berichtet RUBIN 1/03.

Was gegen undichte Rohre spricht

Die primäre Funktion der Wurzel ist die Wasseraufnahme. Deshalb vermuteten Biologen und Ingenieure zunächst, dass die Wurzeln zum Wasser wachsen, das aus undichten Rohren sickert. Dagegen spricht nun u.a., dass die Wurzeln oberhalb des mittleren Wasserstandes an der Muffe (Rohrverbindung) in das Rohr eindringen, kaum in das Abwasser eintauchen und wo dies doch der Fall ist, stark geschädigt sind. Außerdem verzweigen sich die Wurzeln außerhalb des Rohres kaum, was im feuchten Boden der Fall wäre. Zudem setzen sich kleine Lecks in Schmutzwasserkanälen schnell wieder zu und Wasserstände von normalerweise weniger als 20 cm im Rohr üben kaum den notwendigen Druck für nennenswerte Sickerverluste aus.

Wurzelspitze im Visier

Schließlich nehmen die Forscher die Wurzelhaube (Kalyptra) „in Sachen Richtungswachstum“ näher ins Visier. Sie bohrt sich in den Boden, indem hinter der Kalyptra liegende Zellen nach vorn gedrückt werden. Und hier fand sich die Lösung: Wie in der Menschenmenge im Fußballstadion weitere hinzuströmende Gruppen dorthin ausweichen, wo die Besucher weniger dichtgedrängt beieinander stehen, entscheidet die Dichte des Bodens über die Richtung des Wurzelwachstums. An einer Dichtegrenze wächst die Wurzel immer in das weniger dichte Substrat hinein.

Wurzelwachstum: Über drei „Dichtefallen“ in’s Rohr

So kann der ganze Leitungsgraben zur „Dichtefalle“(Nr. 1) werden, wenn das Füllmaterial einen für das Wurzelwachstum „bequemen“ Porenraum besitzt. Dann wachsen die Wurzeln parallel zur Rohrleitung und erreichen mit der ersten Muffe (Rohrverbindung) die nächste „Dichtefalle“ (Nr. 2) – einen Hohlraum, der sich aus der Konstruktion der Muffe ergibt. Die ausgegrabenen Rohre zeigen, dass eine Wurzel mehr als zwei Jahre in diesem Hohlraum wachsen kann (Jahresringe der Wurzeln). Dann hat sie sich den Rückweg in der Regel selbst „verbaut“, schiebt die Dichtung beiseite und dringt in das Innere des Rohres („Dichtefalle“ Nr. 3) ein.

Konsequenzen für Dichtungsgestaltung, Bettung und Verfüllung

Da Einwurzelungen in Leitungsrohre zehn und mehr Jahre dauern, Forschungsergebnisse aber in rund zwei Jahren vorliegen müssen, wollen die Biologen durch geeignete Modellorganismen aus dem Botanischen Garten der RUB und durch Modellversuche den Untersuchungszeitraum verkürzen und ihre Ergebnisse weiter festigen. Doch schon jetzt zeigt sich, dass auch ordnungsgemäß verlegte, intakte Rohrleitungen gegen Wurzelschäden kaum gefeit sind. Auch Dichtungsgestaltung sowie Bettung der Leitung und die Verfüllung der Gräben müssen unter dem Gesichtspunkt der Wurzelfestigkeit zukünftig mehr berücksichtigt werden.

„Sauerstoff-Hypothese“: Bisher nicht bestätigt

Derzeit untersuchen die Biologen außerdem, ob ein möglicher „Sauerstoffgradient“ das Richtungswachstum zusätzlich beeinflusst: Dichtungen können – auch wenn sie keine Flüssigkeits-Lecks aufweisen – für Gase durchlässig werden. Da Wurzelwachstum Energie und damit immer auch Sauerstoff verbraucht, könnte die Sauerstoffversorgung über Leitungssysteme eine Rolle spielen – besonders in Städten, in denen der Gasaustausch über die Bodenoberfläche durch Versiegelung eingeschränkt ist. Bislang haben die Forscher dafür aber weder durch Grabungen noch experimentell Anhaltspunkte gefunden.

Weitere Informationen

Prof. Dr. Thomas Stützel, Lehrstuhl für Spezielle Botanik der RUB, Tel.: 0234/32-24491, Email: thomas.stuetzel@ruhr-uni-bochum.de

Themen in RUBIN 1/2003

Weitere Themen in RUBIN: Zur Situation im Irak (Gastkommentar von Peter Scholl-Latour); Humanitäre Hilfe im Schatten des Regimewechsels im Irak; Glückliche Maschinen – eine philosophische Betrachtung zu den Maschinen des Künstlers Jean Tinguely; Faszination Diamant: Zauber und Geschichte eines Edelsteins; Das kindliche Gehirn schützen, Nervenzellen ersetzen; Wenn Berührung weh tut – Neue Wege in der Schmerztherapie; Formgedächtnislegierungen – Metalle erinnern sich; „Cat Walk“ und Westernheld – was Bewegung ausdrückt; News.

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Dr. Josef König idw

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