Rolle der Intelligenz überschätzt: Übung macht den Meister!

Neurowissenschaftler und Kognitionspsychologin zeigen erstmalig experimentell, dass die Muster der Hirnaktivierung bei verschieden intelligenten Personen sich kaum voneinander unterscheiden, solange sie Aufgaben in ihrem Fachgebiet lösen.

Seitdem Wissenschaftler mit bildgebenden Verfahren dem Gehirn beim Denken quasi zusehen können, ist die Debatte um die Schicksalhaftigkeit von geistigen Leistungen wieder entbrannt. Denn intelligente Menschen besitzen gegenüber weniger intelligenten Artgenossen einen Vorteil, der physiologisch nachweisbar ist: sie lösen schwierige Aufgaben mit weniger Gehirnaktivität und nutzen offenbar das Gehirn effizienter. Lernen und Üben bringt da nichts, könnte man folgern. Doch das ist so nicht richtig, wie nun ein neues Experiment zeigt, das die Hirnforscher Roland Grabner und Professor Dr. Aljoscha C. Neubauer von der Universität Graz sowie die Kognitionspsychologin Professor Dr. Elsbeth Stern vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin abgeschlossen haben. Auch weniger intelligente Menschen können auf ihrem Fachgebiet hohe Leistungen erbringen und das Muster ihrer Hirnaktivierung unterscheidet sich dabei nicht wesentlich von dem ihrer intelligenteren Kollegen.

Die Wissenschaftler rekrutierten für ihre Versuchsreihe 31 erfahrene Taxifahrer aus Graz. Diese Experten für das Grazer Straßennetz unterschieden sich in ihrer Intelligenztestleistung erwartungsgemäß voneinander. Im ersten Experiment wurde den Taxifahrern eine Route in Graz vorgegeben und anschließend defilierten Grazer Straßennamen auf einem Computerbildschirm vorbei. Die Versuchspersonen mussten unter Zeitdruck entscheiden, ob sie diese Straßen auf dem Weg zu ihrem Ziel kreuzen würden oder nicht. Dabei trugen sie eine Kappe mit 27 Elektroden, welche ein Elektro-Enzephalogramm (EEG) aufzeichnete und die Veränderungen in der elektrischen Aktivität verschiedener Gehirnregionen registrierte. Alle Männer lösten diese vertrauten Aufgaben ohne große geistige Anstrengung: nur kleine Bereiche im Gehirn zeigten eine gewisse Aktivität und dieses sparsame Muster unterschied sich bei den einzelnen Versuchspersonen kaum.

Beim zweiten Experiment dagegen wurde den Taxifahrern eine unvertraute Aufgabe gestellt, die an ihre räumliche Intelligenz appellierte: auf einem fiktiven Straßennetz durften sie sich 30 Sekunden lang eine bestimmte Fahrstrecke einprägen. Anschließend erschienen rote Punkte auf einer Blankokarte auf dem Bildschirm und sie mussten entscheiden, ob dieser Punkt auf ihrer Route liege oder nicht. Dieses neue Problem lösten die Intelligenteren mit deutlich weniger geistigem Energieaufwand als ihre Kollegen, die beim Intelligenztest schlechter abgeschnitten hatten.

Bei vertrauten Aufgaben, wie sie im beruflichen Alltag vorkommen, wirken sich Intelligenzunterschiede offensichtlich nicht auf die Effizienz von Hirnprozessen aus. Auch andere Experimente weisen darauf hin, dass Menschen durch Üben ihre Hirnprozesse in bestimmten Bereichen optimieren können.

Überrascht ist die Lernforscherin Stern von diesem klaren Befund nicht. Vielmehr bestätigen die neurophysiologischen Daten das, was auch ihre psychologischen Experimente mit Kindern im Vor- und Grundschulalter zeigen: Lernfortschritte hängen nicht vorwiegend von der Intelligenz ab. „Vorwissen und Übung können eine niedrigere Intelligenz durchaus wettmachen, umgekehrt aber kann eine hohe Intelligenz fehlendes Wissen nicht kompensieren,“ betont Stern.

Ein hochintelligenter Mensch kann sich durch entsprechende Anstrengung zwar komplexere Gebiete erobern als ein weniger begabter Zeitgenosse, doch in einer arbeitsteiligen Gesellschaft gibt es Aufgaben mit ganz unterschiedlichen Anforderungen. Sobald die Intelligenz ausreicht, um bestimmte Kompetenzen zu erwerben, können auch Menschen mit weniger günstigen geistigen Voraussetzungen gute Leistungen erbringen und zwar mit genauso effizientem „Hirneinsatz“ wie die Hochintelligenten. Übung und Motivation machen also den Meister – mangelnde Intelligenz kann also kaum der Grund dafür sein, dass inzwischen etwa ein Fünftel der Jugendlichen die Schule ohne ausreichende Lesekompetenz verlässt.

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