"Weiße Indianer" und "Rote Europäer"


„Der mit dem Wolf tanzt“ und „Pocahontas“ als Grenzgänger der nordamerikanischen Kultur – ein von der VolkswagenStiftung gefördertes Projekt mit neuen Erkenntnissen über kulturelle Grenzgänger

Alle Jahre wieder laufen sie gerade zu Weihnachten im Fernsehen, die Geschichten über die Begegnungen zwischen Europäern und Indianern, zwischen „Weißen“ und „Roten“. Dann tanzt Kevin Costner wieder mit dem Wolf, das Indianermädchen Pocahontas heiratet einen Engländer und reist als Prinzessin nach Großbritannien, und in dem Film „Little Big Man“ lebt Dustin Hoffman mal unter Indianern, dann unter den weißen Eroberern. Gerade dieser Film schöpft wie kein anderer aus den Gegensätzen der Kulturen Spannung und Komik. Um „kulturelle Überläufer“ geht es in diesen Geschichten, um Menschen, die – oftmals auch kraft eigener Entscheidung – ihrer Gesellschaft den Rücken gekehrt haben, um in einer anderen zu leben. Im Verlauf der Entdeckung und Eroberung Nordamerikas durch die Europäer sind Tausende Menschen dieser Faszination des Fremden erlegen. Viel wusste man bislang nicht über sie, sieht man von den dramatischen Leinwandepen aus dem Hause Hollywoods ab.

Was hinter solchen Geschichten steckt, wie sich während der „Gründerjahre“ der USA tatsächlich für den Einzelnen der Übergang von der einen zur anderen Kultur gestaltete, das haben der Ethnologe Dr. Marin Trenk, Privatdozent an der Universität Hannover, und Professor Dr. Werner Schiffauer von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder in den vergangenen zwei Jahren untersucht. Die VolkswagenStiftung hat ihnen dafür rund 260.000 Mark zur Verfügung gestellt in ihrem Schwerpunkt „Das Fremde und das Eigene – Probleme und Möglichkeiten interkulturellen Verstehens“.

Auf seiner Spurensuche ist Marin Trenk kreuz und quer durch Kanada und die USA gereist, hat in Kleinstadtarchiven und Bibliotheken geforscht, sich bei heimatgeschichtlichen Vereinen in der Provinz umgehört. Er fand autobiografische Aufzeichnungen, Chroniken und Berichte von Missionaren, Reisenden, Siedlern, Pelzhändlern, die er in historischer Perspektive rekonstruierte und interpretierte. Und so entstand allmählich ein Bild von den kulturellen Grenzgängern. Kein einheitliches, wie er feststellte – lassen sich doch beispielsweise deutliche Unterschiede feststellen zwischen den Siedlern im damaligen Englisch-Amerika und Französisch-Kanada. „Die Franzosen hatten ein wesentlich offeneres Verhältnis zu den Indianern als die Engländer“, meint Trenk. Da sie weniger an Landbesitz, mehr am Handel interessiert gewesen seien, hätten sich viele von ihnen zu Pendlern zwischen den Kulturen entwickelt. Zum Teil seien sogar junge Franzosen in die indianischen Stämme geschickt worden, damit sie dort die Sprache, Sitten und Gebräuche erlernen sollten – etwa, um später als Dolmetscher oder kulturelle Vermittler hilfreich zu sein.

Ganz anders bei den Engländern. Hier sei es zumeist zu einem abrupten Wechsel gekommen, zu einem Tausch der alten Identität gegen die neue. Viele der Engländer, die entweder freiwillig das Leben in den Kolonien flohen oder unfreiwillig in die Hände der Indianer fielen – und statt am Marterpfahl zu landen adoptiert oder verheiratet wurden -, wechselten nach einer Zeit der „Gefangenschaft“ ganz ihre Identität und wurden „White Indians“. Ihren Zeitgenossen galten sie damit als Abtrünnige und Verräter. „Die Ablehnung der kulturellen Grenzüberschreitung war in Neuengland tief verwurzelt“, meint Trenk. Die puritanischen Siedler hätten den Kontakt mit der indianischen Kultur zumeist als eine Bedrohung der eigenen Identität und ihrer moralischen Vorstellungen gesehen. Hinzu sei gekommen, dass ihre Gier nach Siedlungsland sie zu Feinden der Ureinwohner gemacht habe.

Interessant ist, dass die Zahl der Frauen bei den Kulturwechslern offenbar kaum hinter der der Männer zurückbleibt. So lebte etwa Mary Jemison, Tochter eines Geistlichen, 75 Jahre bei den Irokesen. Das Leben dort sagte ihr besser zu, weil Frauen dort mehr Rechte und Freiräume gehabt hätten als bei den Weißen. Ein weiteres Beispiel für einen freiwilligen Kulturwechsler ist die Person des Christian Gottlieb Prieber, der ursprünglich aus Zittau in Sachsen stammte und 1735 in die neue Welt kam, sich dort den Cherokee-Indianern anschloss. Er hielt deren Sprache in einem Wörterbuch fest, verfasste ethnologische und politische Abhandlungen – und habe wohl, gekleidet wie ein Indianer, aber mit Schriftensammlungen unter dem Arm „einen etwas ungewohnten Eindruck gemacht und hinterlassen“. Getötet wurde er später von den Engländern, die in seinem Einfluss auf die indianische Gesellschaft eine große Gefahr sahen.

Indianische Überläufer habe es kaum weniger gegeben als europäische, vermutet Trenk, doch sei von ihnen, sieht man von der „virginischen Prinzessin“ Pocahontas einmal ab, wenig überliefert. Meistens habe man sie sowohl sozial als auch räumlich an den Rand der Gesellschaft gedrängt; kaum jemals hätten Europäer geglaubt, von ihnen etwas über die anderen oder gar über sich selbst lernen zu können.

Als wichtige Erkenntnisse hält Trenk fest: Während indianisierte Europäer bis heute als romantische Gestalten begriffen werden – ein Mythos, dem gerade der Film „Der mit dem Wolf tanzt“ seinen Erfolg verdankt -, war ihre Existenz oft nicht zuletzt einem politischen Kalkül der indianischen
Gesellschaft geschuldet. Am Beispiel der Franzosen lässt sich andererseits sehr gut zeigen, dass Menschen mit einem kulturell offenen Verständnis zugleich dazu neigen, mehrere kulturelle Identitäten zu entwickeln und sich dann in unterschiedlichen Gesellschaftsformen auch wohl fühlen. Demgegenüber bedurften die Europäer schon kurze Zeit nach ihrer erfolgreichen kolonialen Festsetzung kaum noch der Hilfe der europäisierten Indianer. Somit blieb späteren indianischen Überläufern gewöhnlich die Anerkennung versagt, die Pocahontas zuvor noch im Übermaß zuteil wurde.

Kontakt:
Privatdozent Dr. Marin Trenk, Universität Hannover, Telefon: 05 11/55 87 06

Prof. Dr. Werner Schiffauer, Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder, Telefon: 03 35/55 34 – 646

VolkswagenStiftung; Förderschwerpunkt „Konstruktionen des ’Fremden’ und des ’Eigenen’“: Dr. Hiltgund Jehle, Telefon: 05 11/83 81 – 276, E-Mail: jehle@volkswagenstiftung.de

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