Von Tieren und Menschen. Auf den Spuren einer wechselvollen Beziehung


Das Tier: Einerseits der beste Freund des Menschen, andererseits sein Versuchsobjekt, Transportmittel und Nahrungsmittellieferant. Eine Bestandsaufnahme der wechselvollen Mensch-Tier-Beziehung eröffnet nicht nur neue Einsichten in die aktuellen Kontroversen – angefangen vom Tierschutzgedanken bis hin zur Kampfhundedebatte -, sondern gibt sogar Aufschluss über den Umgang der Menschen untereinander.

„Das Thema Tier spielt in den deutschen Geschichtswissenschaften bisher eine marginale Rolle“, sagt Dr. Ursula Fuhrich-Grubert vom Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin. Nicht nur mit Hilfe geschichtswissenschaftlicher Werke, sondern auch anhand von Quellen wie dem Koran bis hin zu psychologischen Veröffentlichungen zeichnet die Historikerin mit ihren Studenten nun die wechselvolle Bedeutung der Tiere durch die Jahrhunderte und in verschiedenen Kulturen nach.

In der Neuzeit bis zum 19. Jahrhundert galten Tiere in der westlichen Welt nur als Nahrungsmittellieferanten, Arbeitsgerät oder Transportmittel – eine Sichtweise, die nach Fuhrich-Grubert in bäuerlichen Zusammenhängen noch heute existiert. In den Städten dagegen verdrängte die zunehmende Industrialisierung das Tier als Nutztier. „Tiere als Mittel zum Lebensunterhalt wurden auf das Land verbannt“, so Fuhrich-Grubert. „In diesem Zusammenhang entstand Anfang des 19. Jahrhunderts u.a. aus einer zuvor nicht gekannten Sentimentalisierung des Tier-Mensch-Verhältnisses der Tierschutzgedanke.“ Tiere werden von diesem Zeitpunkt an ideell als Partner und zugleich als Prestigeobjekt gesehen. Vom Adel und über das Bürgertum bis in die unteren Gesellschaftsschichten wurde das Halten von „Schoßtieren“ – zunächst meist Vögeln – modern.

Doch Tierschutzideale dienten auch politischen Zielen: Es habe eindeutige Verbindungen gegeben zwischen Befürwortern der Tierschutzbewegung und Anhängern des in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufkommenden Antisemitismus. Beide Gruppierungen bewerteten das Schächten – die Schlachtpraxis der Juden – als negativ. Tiere seien auf diese Weise für rassistische Propaganda instrumentalisiert worden. Dies gilt auch und nicht zuletzt im Nationalsozialismus.

Instrumentalisierungen von Tieren durch die Politik lassen sich nach Fuhrich-Gruberts Ansicht auch im 21. Jahrhundert entdecken, z.B. in der Kampfhundedebatte: „In diesem Fall dienen Tiere dazu, soziale Probleme zu verschleiern, die man nicht in den Griff bekommt.“ Gemeint sind zum Beispiel Rechtsextremismus, schlechte Wohnsituationen oder Arbeitslosigkeit in den Schichten, aus denen die Halter problematischer Hunde oft stammen.

In westlichen Gesellschaften werden Tiere einerseits als Partner betrachtet, andererseits aber in Labors und Mastställen rein zweckorientiert verwendet, – ein Konflikt, der im Zusammentreffen von Tierschützern und Tierschutzgegnern immer wieder aufbricht. „Indem man sich zur Tierschutzfrage äußert, gibt man gleichzeitig auch Auskunft über seine Vorstellung vom Verhältnis zwischen Tier und Mensch und damit über sein Menschenbild.,“ kommentiert Fuhrich-Grubert.

Im Islam und Buddhismus gebe es dagegen eine eindeutige Haltung zu Tieren. Während die islamische Kultur sie rein zweckorientiert sieht, wird in buddhistischen Ländern weit rücksichtsvoller mit dem Tier umgegangen: „Buddhistische Mönche nehmen ihre Selbstverpflichtung, keine Tier zu töten, sehr ernst. Sie seihen das Wasser durch, um kein Leben darin zu zerstören oder fegen den Weg vor sich mit einem Palmwedel, um keine Insekten zu zertreten“, berichtet Ursula Fuhrich-Grubert.

Mit ihrer Bestandsaufnahme der Mensch-Tier-Beziehung will die Historikerin den Blick für die verschiedenen Umgangsmöglichkeiten mit Tieren schärfen, um die Bestimmung eines eigenen Standpunktes zu ermöglichen. Eine westliche Gesellschaft ist jedenfalls nicht in der Lage, den Weg der buddhistischer Mönche zu gehen – das steht für Fuhrich-Gruberts Studenten bereits fest.

Weitere Informationen erteilt Ihnen gern:
Frau Dr. Ursula Fuhrich-Grubert, Fachbereich Kultur- und Geschichtswissenschaften, Friedrich-Meinecke-Institut, Koserstraße 20, 14195 Berlin, Telefon: 030 838 56768 Fax: 030 838 53327, E-Mail: ursfugr@zedat.fu-berlin.de

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Anke Ziemer idw

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