Zwischen Berlin und Usedom – immer häufiger, immer kürzer


TU-Verbundprojekt kreiert mit „Raumpartnerschaften zwischen Kontrasträumen“ ein neues Steuerungsinstrument für den Freizeitverkehr/Präsentation auf der ITB am 6. März 2001

Immer mehr Menschen sind auf der Suche nach Kontrasten und leben verschiedene Identitäten an unterschiedlichen Orten aus. Der Manager einer Großstadt verlässt sie, um am Wochenende sein Grundstück im Grünen zu pflegen, der Naturfreund fährt zum Dauercampen in die Dünen. Immer häufiger richten sich Menschen ihr Zuhause in mehreren räumlichen Arealen ein – eines beispielsweise in Berlin, ein weiteres im Erholungsraum Usedom. Das sind die Ausgangspunkte für ein umfassendes Forschungsprojekt am Zentrum Technik und Gesellschaft der TU Berlin. Das mit rund 2,5 Millionen Mark Fördergeldern durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ausgestattete Verbundprojekt möchte den neuen Begriff der Raumpartnerschaft wissenschaftlich untermauern.

„Raumpartnerschaften sind etwas ähnliches wie Städtepartnerschaften“, sagt Dr. Hans-Liudger Dienel, einer der drei Projektleiter, „aber nicht zwischen Städten, sondern zwischen Räumen und ihren Akteuren, die sich ergänzen. Organisierte Allianzen zwischen solchen Kontrasträumen, etwa der Metropole und der Urlaubsinsel, bieten viele Anknüpfungspunkte für nachhaltige Wachstumschancen im Freizeitverkehr.“ Dieser steht denn auch im Mittelpunkt der Überlegungen der 15 Projektmitarbeiter aus unterschiedlichen Disziplinen. Neben Dienel sind Prof. Dr. G. Wolfgang Heinze (Institut für Straßen- und Schienenverkehr, Sprecher des Projekts) und Prof. Dr. Hans Joachim Harloff (Institut für Sozialwissenschaften) in der Projektleitung.

Der wachsende Freizeit- und Urlaubsverkehr lässt sich nur sehr gering steuern. Der Trend geht dabei zu immer kürzeren und häufigeren Reisen verstärkt auch in die nähere Umgebung. „Die Verkehrswissenschaft hat sich dem Freizeitverkehr lange nur widerwillig gestellt“, resümiert Dienel, „nicht zuletzt, weil er schwer zu verstehen, zu planen und zu steuern ist.“ Auch für Politik und Wirtschaft gilt dies. Freizeitverkehr ist – jedenfalls in Deutschland – zu einem großen Teil Individualverkehr. Mit dem Konzept der Raumpartnerschaften besteht die Aussicht, die Verkehrsbeziehungen zwischen urbanem Wohnort und kontrastreichen Naherholungsgebiet nachfrageorientierter zu gestalten und gleichzeitig ressourcensparend zu bündeln. Die Mobilitätsangebote müssten dabei so konzipiert werden, dass der Gebrauch in Routinen übergeht und ein Nutzen ohne Nachdenken möglich wird – ähnlich wie bei einer Reise mit dem eigenen Auto.

Auch die Mobilität im Naherholungsgebiet muss sichergestellt werden. Hier sind dem Gebiet angepasste neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln. Beispielsweise ein preisgünstiges Leihwagensystem, das der Bahnreisende problemlos nutzen kann. „Naherholungsgebiete“, so der TU-Wissenschaftler, „bieten außerdem gute Voraussetzungen, um neue Produkte und Dienstleistungen zu erproben.“ Kontrasträume seien immer auch Testräume. Vorstellbar sind abgas- und lärmarme Elektrofahrzeuge, öffentliche Fahrräder sowie CarSharing. Außerhalb ihrer stark durch Routine bestimmten Arbeits- und Wohnumgebung sind Menschen tendenziell offener für das Experimentieren mit neuen Produkten. Das gilt auch für das Ausprobieren und Übernehmen neuer Verhaltensmuster. Die Ausnahmesituation am Urlaubsort könnte über den begrenzten Zeitraum hinaus eine längerfristige Wirkung haben und das Aufbrechen von Routinen erleichtern, „vor allem auch im Verkehrsbereich“, betont der Wissenschaftler.

Dabei zielt das Konzept einer Raumpartnerschaft vor allem auf den Gedanken der Nachhaltigkeit – jedoch nicht nur in ökologischer Hinsicht, „sondern auch sozial, kulturell und ökonomisch sollen die angedachten Projekte und Kooperationsvorschläge einen nachhaltigen Charakter bekommen“.

Die Begleitforschung zu diesem Vorhaben wird auf mehreren Ebenen durchgeführt. Neben Verkehrswissenschaftlern beschäftigen sich beispielsweise Psychologen mit der Reise- und Ausflugsmotivation. Sie untersuchen unterschiedliche Milieus und Gründe, die zu einer bestimmten Verkehrsmittelwahl führen. Die Politikwissenschaftler konzentrieren auf den Entwurf eines praktisch-politischen Partnerschaftsmodells sowie die Beteiligung von Experten und Betroffenen. Das historische Teilprojekt befasst sich u.a. mit den gewachsenen Verbindungen zwischen den beiden Gebieten und lotet die heutige Bedeutung der Insel Usedom als „Badewanne der Berliner“ aus. Auch Wissenschaftler der ETH Zürich beteiligen sich an diesem Projekt, denn das Berliner Konzept ist auf Übertragbarkeit angelegt. „Und von den Schweizern kann man in punkto Freizeitverkehr“, so der TU-Wissenschaftler, „einiges lernen.“ Dort befasst man sich mit einer Raumpartnerschaft zwischen Zürich und Graubünden.

Aber nicht nur Usedom und die Alpenrepublik interessieren die Berliner. Ein Projekt, das in Kürze starten soll, wird sich mit dem Gemeinschaftsverkehr auf dem Lande beschäftigen. Dafür rechnet man am Zentrum Technik und Gesellschaft mit Drittmitteln in Höhe von zwei Millionen Mark. Ein anderes Forscher-Team befasst sich mit den Verkehrsströmen bei Groß-Events. Dabei geht es weniger um ein intelligentes Staumanagement, sondern um eine Organisation der An- und Abreise im Sinne der Veranstaltungsidee.

Wollen Sie sich über das Projekt „Raumpartnerschaften zwischen Kontrasträumen“ näher informieren, laden wir Sie herzlich zur öffentlichen Präsentation ein:

Zeit: am 6. März 2001, ab 14.15
Ort: auf der Internationalen Tourismusbörse (ITB) in Berlin, Messe Berlin, Halle 14.2

Als Gesprächspartner stehen Ihnen aus der TU Berlin der Sprecher des Projekts, Prof. Dr. G. W. Heinze, (030/314-23308), Dipl.-Pol. Dörte Ohlhorst, Zentrum Technik und Gesellschaft (030/314-79383), und Dipl.-Psych. Bettina Graf, Institut für Sozialwissenschaften, sowie von der ETH Zürich Prod. Dr. Kay Axhausen und Dr. Hans-Peter Meier-Dallach vom cultur prospectiv institut Zürich zur Verfügung.

Weitere Informationen erteilt Ihnen gern: Dr. Hans-Liudger Dienel, Wiss. Geschäftsführer, Zentrum Technik und Gesellschaft, TU Berlin, Hardenbergstraße 4 – 5, 10623 Berlin, Tel.: 030/314-21406, Fax: 030/314-26917, E-Mail: Dienel@ztg.tu-berlin.de, Internet: www.ztg.tu-berlin.de/index.html


Diese Medieninformation finden Sie auch im World Wide Web unter der Adresse:
http://www.tu-berlin.de/presse/pi/2001/pi38.htm

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Ramona Ehret idw

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