Magie im Ausverkauf

Nur noch ein seltener Anblick vor Tauwema: das letzte Masawa-Kanu unter vollen Segeln. Dingis haben die Boote verdrängt. Bild: Gunter Senft

Seit gut 25 Jahren erforscht der Sprachwissenschaftler Gunter Senft vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik Sprache und Kultur der Trobriand-Inseln. Der westliche Einfluss ist auf der Inselgruppe in der Südsee immer deutlicher spürbar, was sich auch in der Sprache niederschlägt. Wie sich beide in den vergangenen Jahren verändert haben, lesen Sie in der aktuellen Ausgabe der MaxPlanckForschung (1/2008).

Für Linguisten ist Papua-Neuguinea ein Mekka: Nicht weniger als 900 verschiedene Sprachen werden hier neben Englisch und zwei weit verbreiteten Verkehrssprachen gesprochen – so viele wie in keinem anderen Land der Welt. Dabei hat Papua-Neuguinea nur rund 5,8 Millionen Einwohner. Um eine Grammatik einer dieser Sprachen, des Kilivila, zu schreiben, reiste Gunter Senft Anfang der 1980er-Jahre erstmals ins Dorf Tauwema auf einer der Trobriand-Inseln. 28 000 Menschen leben auf dem Archipel.

Schlimmer als mancher Kulturschock

Die Grammatik des Psycholinguisten ist seit 1984 fertig. Inzwischen beschäftigt sich Senft mehr mit den kulturellen Veränderungen und damit, wie diese in der Sprache ihren Niederschlag finden. Dieser Wandel, den Senft erstmals bei einem weiteren Besuch 1989 beobachtete, ist auf den wachsenden westlichen Einfluss zurückzuführen. „Die Veränderungen trafen mich schlimmer, als manche bis dahin erlebten Formen des sogenannten Kulturschocks in meinem Wandern zwischen zwei Welten und Kulturen“, gesteht Senft.

In den Jahren 1982/83 war die überwiegende Mehrheit der Trobriander noch traditionell gekleidet, berichtet Senft: „Die Frauen trugen farbenprächtige, aus Bananen- und Pandanusblättern hergestellte Grasröcke und die Männer entweder einen Lendenschurz oder ein knielanges Lendentuch.“ 1989 führen die Dorfbewohner stolz – und schwitzend – ihre westliche Kunstfaserkleidung vor, die in den Augen der Missionare und christlichen Dorfpriester viel anständiger und sittsamer ist.

Auch die Alltagsdinge stellen die Trobriander nicht mehr selbst aus Naturmaterialien her, sondern kaufen industriell produzierte Waren. Sie tragen kaum noch traditionellen Körperschmuck aus Muscheln. Und weil kaum noch Frauen Grasröcke anziehen, sind die Färbemethoden für sie unwichtig geworden. Statt der großen masawa-Auslegerkanus, die in ritueller gemeinschaftlicher Arbeit entstehen, nutzen die Trobriander heute kleinere, weniger aufwendig hergestellte Kanus oder Boote aus Aluminium und Fiberglas. So leidet nicht nur das Ansehen der einst versierten Handwerker, auch das damit verbundene Vokabular gerät in Vergessenheit.

Rituale werden zurückgedrängt

Neben dem Verlust des Expertenwissens registriert Senft bei seinen Aufenthalten vor allem, wie die Rolle der Magie und die der magischen Rituale zurückgedrängt wird, was zu einer Verarmung sprachlicher Formeln führt. Der Glaube an die Kraft magischer Worte schwindet, während gleichzeitig der Einfluss christlicher Missionare und Dorfpfarrer zunimmt. Sie torpedieren das von ihnen als Heiden-Rituale angesehene Brauchtum subtil, indem sie betonen, dass es zwei Wege der Lebensführung gibt: den traditionellen und den christlichen.

Wie sehr der Stellenwert von magischen Formeln gesunken ist, bemerkt Gunter Senft auch daran, dass man ihm diese vermehrt zum Tausch anbietet. Noch 1983 erhält der Deutsche von Kilagola, dem „chief“ von Tauwema, dessen Kanu-Magie als Geschenk zur Adoption. Kilagolas Bruder schenkt ihm als Zeichen seiner Freundschaft Formeln seiner Wetter-Magie und einer der Dorfältesten gibt ihm einige Formeln seiner Garten-Magie.

Wie ein Ausverkauf solcher persönlichen und geheimen Informationen wirkt für Senft die Tatsache, dass nur sechs Jahre später gleich zwölf Dorfbewohner versuchten, im Tausch für Geld und Tabak magische Formeln loszuschlagen. „Ein klarer Beweis dafür, dass magische Formeln für die Mehrheit der Trobriander unwichtig geworden sind und ihren Wert als Eigentum, das man nur an seine Nachkommen weitergibt, verloren haben“, bilanziert der Max-Planck-Forscher.

Das Handeln der Missionare und den wachsenden Einfluss der westlichen Welt ausschließlich zu beklagen, greift jedoch zu kurz. Denn wir profitieren durchaus von diesen Veränderungen, sagt Senft. „Schließlich hängen wir alle von den Märkten ab, die Missionare erst für die frühen Kolonialisten und dann für unsere exportorientierten Ökonomien eröffnet haben.“

Und in aller Regel seien auch Sprachwissenschaftler oder Völkerkundler, die in fremden Kulturen arbeiten wollen, auf die Zusammenarbeit mit der Mission angewiesen. Deren Mitarbeiter könnten ihnen oft als einzige die jeweiligen Gesellschaften zugänglich machen. „Dabei ist Feldforschung nicht nur ein methodologischer Ansatz, sondern auch und vor allem eine Form der mitmenschlichen Begegnung“, sagt Senft, der das nicht nur auf den Trobriand-Inseln erlebt hat. „Deshalb kann ich getrost behaupten: Trobriand ist überall!“

Eine ausführliche Version dieses Textes finden sie in der neuesten Ausgabe der MaxPlanckForschung. Der Schwerpunkt dieses Heftes widmet sich dem Thema „Plasma“. Dieser vierte Aggregatzustand der Materie findet sich in Sternen ebenso wie im Sonnenwind, in Blitzen ebenso wie Leuchtstoffröhren oder Bildschirmen. Die Beiträge beleuchten die Arbeiten von Wissenschaftlern, die sich dem Phänomen aus unterschiedlichen Blickwinkeln nähern.

Unter der Rubrik „Zur Sache“ setzt sich Marius R. Busemeyer mit der Exzellenz-Initiative der Bundesregierung auseinander. Während Kritiker eine zunehmende Trennung in Elite- und Massenuniversitäten befürchten, sieht Busemeyer durchaus Chancen, dass der Prozess der Differenzierung langfristig die Leistungs- und soziale Gerechtigkeit des deutschen Bildungssystems zu verbessern vermag.

Durch die Gassen des antiken Pompeji führt eine virtuelle Reise am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik. Dort schicken die Forscher ihre Probanden über einen Cybercarpet. Mit diesem High-Tech-Laufband, ein von der Europäischen Kommission im Bereich zukunftsweisende Technologien gefördertes Projekt, wollen sie herausfinden, wie der Mensch navigiert und was er dazu braucht.

Welche Bedeutung hat die Biodiversität für die Ökosysteme auf der Erde? Dieser Frage gehen Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie nach. So haben sie etwa im „Jena-Experiment“ auf einer Fläche von zehn Fußballfeldern mehr als 480 Wiesenparzellen verschiedener Artzusammensetzung angelegt. Einen Bericht über die ersten Ergebnisse lesen Sie in der Rubrik „Wissen aus erster Hand“.

„Die Formeln des Sprunghaften“ lautet schließlich der Titel eines Artikels, der sich mit der komplexen Entstehungsgeschichte der Quantenphysik befasst. Max Planck – sein Geburtstag jährte sich am 23. April zum 150. Mal – begründete sie mit einem Vortrag am 14. Dezember 1900 in Berlin. Folgen Sie in unserem Beitrag zum Planck-Jahr den durchaus verschlungenen Wegen der neuen Physik.

Dem Heft liegt der GEOMAX „Wo die Erde aus den Fugen gerät – Forschen am Grund des Ozeans“ bei. Außerdem finden Sie das Register 2007.

MaxPlanckForschung erscheint viermal im Jahr. Das Wissenschaftsmagazin kann bei der Pressestelle der Max-Planck-Gesellschaft oder über unser Webformular abonniert werden. Der Bezug ist kostenfrei.

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Dr. Bernd Wirsing Max-Planck-Gesellschaft

Weitere Informationen:

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