Evolution virtuell – Schädel entstehen am Bildschirm

Evolution virtuell: Schädel entstehen am Bildschirm

Biomechaniker beobachten Knochen unter Spannung
RUBIN 1/2002 ist erschienen

Warum hat der Mensch als einziger Primat ein vorspringendes Nasendach? Wo sind die knöchernen Wülste über den Augen geblieben? Die Antworten auf diese Fragen finden RUB-Biomechaniker um Dr.-Ing. Ulrich Witzel (Fakultät für Maschinenbau) am Computer: Sie lassen auf virtuelle Schädelrohlinge realistische Kräfte wirken und sehen zu, wie sich die Form des Knochens unter dieser Einwirkung schrittweise herausschält. So können sie der Evolution bei der Arbeit zuschauen.

Erstaunlich: Nur wenige Kräfte machen die Form

Ob beim Menschen, Affen oder bei fossilen Funden – die Anwendung der Methode setzt genaue Kenntnisse der Anatomie der gerade zu untersuchenden Struktur voraus. Die Muskelkräfte, z.B. der Beiß- und Kaumuskulatur, müssen möglichst genau ermittelt werden. Bei fossilen Funden wird aus der Knochenstruktur oder mitunter auch mit Blick auf noch lebende Nachkommen auf die ehemals wirkenden Muskelkräfte geschlussfolgert. Auf dieser Basis (Hypothese) „füttern“ die Forscher dann ein spezielles Rechenprogramm (Finite-Elemente-Methode)mit einer mehr oder weniger großen Bandbreite von Kraftfeldern – quasi um die vormals tatsächlichen Kräfteverhältnisse herum. Wenn sich die Struktur auf dem Monitor im virtuellen Kräftespiel immer mehr der fossilen Form annähert, dann sind zugleich die Kräfte und Spannungen gefunden, die zu dieser Struktur geführt haben müssen.

Bei Belastung bildet sich Knochen

Für ihre Untersuchungen nutzen die Biomechaniker die Finite-Elemente Methode: Sie geben dem Computer nur die Eckdaten und die wichtigsten Hohlräume wie Augen und Nase von Primatenschädeln vor. Daraus berechnet der Computer einen groben Schädelumriss, das sog. „Hüllvolumen“. Diesen Block zerlegt der Rechner in viele abgeschlossene, berechenbare Einzelteile (Finite Elemente). Auf das Hüllvolumen lassen die Forscher dann Kräfte und Spannungen einwirken. Der Computer zeigt mehr oder weniger stark belastete Bereiche verschiedenfarbig an. Bei starker Belastung kann man auf Knochensubstanz schließen, in wenig belasteten Gebieten bildet sich die Struktur zurück. So konnten die Forscher z. B. das Rätsel des beim Menschen einzigartigen Nasendachs lösen. Es hat sich als drucktragende Struktur ausgebildet, um den schmalen Stirnnasenpfeiler zu entlasten. Bei Affen, deren Schädel weniger flach ist, ist dieser Pfeiler breiter, ein Nasendach daher unnötig.

Weitere Informationen

Dr.-Ing. Ulrich Witzel, Lehrstuhl für Maschinenelemente und Konstruktionslehre, Fakultät für Maschinenbau der Ruhr-Universität Bochum, 44780 Bochum, Tel. 0234/32-24058, Fax: 0234/32-14159, E-Mail: Ulrich.Witzel@ruhr-uni-bochum.de

Themen in RUBIN 1/2002

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in RUBIN 1/2002, wo Sie auch folgende Themen finden: Produkte aus dem Computer; Gezielt gegen Brustkrebs – Chemotherapie an Ort und Stelle; Gefährliche Partnerschaft: Bakterien und Zigarettenrauch; Besteuerung vereinfachen: Dann atmen Bürger und Beamte auf; Der männliche Blick auf die weibliche Imagination; Vegetarische Vampire – Flughunde als Gärtner im Regenwald; Wenn Marzipan nach Banane riecht – Riechen bei Insekten erforscht; und in der Rubrik „Angewandte Forschung“: Juristen lösen den Konflikt: Hochwasserschutz oder Bautätigkeit? RUBIN ist bei der Pressestelle der Ruhr-Universität für 2,50 Euro erhältlich.

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Dr. Josef König idw

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