Benachteiligung durch Sicherheitstechnologien? Wenn der Urinbeutel zum Sicherheitsrisiko wird

Wir alle wollen ein Mehr an Sicherheit, aber welchen Preis sind wir bereit dafür zu zahlen? Und in welcher Form wird dieser Preis gezahlt: In Form von Geld, von Privatheit, von Freiheit, oder auch von Gerechtigkeit?

Das Bundesministerium für Forschung und Bildung (BMBF) fördert nun im Rahmen des Programms „Forschung für die zivile Sicherheit“ eine neues Forschungsprojekt des Internationalen Zentrums für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) der Universität Tübingen mit 1.18 Mio. Euro, um diese Fragen zu untersuchen.

Das Projekt KRETA (Körperscanner: Reflexion der Ethik auf Technik und Anwendungskontexte) wird die Einführung und Nutzung von Sicherheitstechnologien, speziell der Technologie des Körperscanners, ethisch wie sozialwissenschaftlich analysieren und wird im Rahmen des Forschungsschwerpunktes Sicherheitsethik von Prof. Dr. Regina Ammicht Quinn geleitet.

Die Körperscanner sind mittlerweile feste Bestandteile des Sicherheitsdiskurses geworden. Erste Feldtests, z.B. in Hamburg werden durchgeführt und öffentlich diskutiert. Obwohl die Geräte in der Regel keine „Nacktscanner“ mehr sind – also keine Bilder des nackten Körpers mehr produzieren, sondern abstrakte Abbildungen –, bleiben wichtige Problemlagen ungeklärt.

Der Einsatz von Körperscannern könnte zur Benachteiligung jener Menschen führen, deren Körper nicht normgerecht ist: Wie funktionieren Kontrollen bei Menschen mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen oder bei Menschen mit verdeckten Behinderungen? Werden Menschen gezwungen sein, Brustprothesen, Urinbeutel oder Windeln vor Dritten offen zu legen? Welche Auswirkungen auf die Normalitätsvorstellungen einer Gesellschaft sowie auf die Alltagsnormalität von Behinderten wird es haben, wenn Menschen mit Behinderungen von Sicherheitstechnologien vermehrt als „abweichend und gefährlich“ detektiert werden?

„Eine der grundlegenden Fragen“, so Regina Ammicht Quinn, „lautet also, ob einzelne Bevölkerungsgruppen benachteiligt werden dürfen, um die Sicherheit vieler zu erhöhen?“ „Gerechtigkeit“ soll vor diesem Hintergrund durch das Projekt als Kategorie der Gestaltung und Bewertung von Sicherheitshandeln erprobt werden. Die Frage nach Gerechtigkeit wird jedoch nicht nur im Fall der verdeckten Behinderungen zur zentralen Frage, sondern auch dort, wo Menschen eines bestimmen Aussehens, einer bestimmten Herkunft oder Religion anders behandelt werden als andere.

Die ethische Forschung des Projektes findet dabei nicht im Nachhinein, sondern bereits im Prozess der Technikentwicklung bzw. Implementierung statt. Dies geschieht in engem Kontakt mit Forschergruppen, die im Rahmen von anderen BMBF-Projekten mit der Entwicklung von Körperscannern befasst sind. Für die Forschungsreihen des Projekts wird ein eigener Körperscanner zur Verfügung stehen.

Das IZEW ist ein international ausgerichtetes, interdisziplinäres Forschungszentrum der Universität Tübingen, das ethische Fragen untersucht, die sich in und aus den Wissenschaften ergeben. Der Forschungsschwerpunkt Sicherheitsethik wird von Prof. Dr. Regina Ammicht Quinn geleitet.

Pressekontakt:
Heidi Schäfer
Universität Tübingen
Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW)
Telefon +49 7071 29-77987
Fax: +49 7071 29-5255
h.schaefer[at]izew.uni-tuebingen.de

Media Contact

Michael Seifert idw

Weitere Informationen:

http://www.izew.uni-tuebingen.de

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Interdisziplinäre Forschung

Aktuelle Meldungen und Entwicklungen aus fächer- und disziplinenübergreifender Forschung.

Der innovations-report bietet Ihnen hierzu interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Mikrosystemforschung, Emotionsforschung, Zukunftsforschung und Stratosphärenforschung.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Anlagenkonzepte für die Fertigung von Bipolarplatten, MEAs und Drucktanks

Grüner Wasserstoff zählt zu den Energieträgern der Zukunft. Um ihn in großen Mengen zu erzeugen, zu speichern und wieder in elektrische Energie zu wandeln, bedarf es effizienter und skalierbarer Fertigungsprozesse…

Ausfallsichere Dehnungssensoren ohne Stromverbrauch

Um die Sicherheit von Brücken, Kränen, Pipelines, Windrädern und vielem mehr zu überwachen, werden Dehnungssensoren benötigt. Eine grundlegend neue Technologie dafür haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Bochum und Paderborn entwickelt….

Dauerlastfähige Wechselrichter

… ermöglichen deutliche Leistungssteigerung elektrischer Antriebe. Überhitzende Komponenten limitieren die Leistungsfähigkeit von Antriebssträngen bei Elektrofahrzeugen erheblich. Wechselrichtern fällt dabei eine große thermische Last zu, weshalb sie unter hohem Energieaufwand aktiv…

Partner & Förderer