Mit Simulationen gegen Massenpaniken

Wo viele Menschen zusammenkommen und alle an denselben Ort wollen, kann es zu Massenpaniken kommen; oder «Crowd Disasters» wie Soziologen das Phänomen nennen. Die Pilgerfahrt nach Mekka endete im Jahr 2006 für mehr als 300 muslimische Gläubige mit dem Tod. Damals war eine Massenpanik ausgebrochen und viele Gläubige waren niedergetrampelt worden.

Der Soziologieprofessor Dirk Helbing hat im Anschluss Videoaufnahmen der Tragödie analysiert, um zu verstehen, wo und warum solche Massenpaniken entstehen. Die Erkenntnisse flossen in organisatorische Änderungen bei der Pilgerfahrt im darauffolgenden Jahr ein. Einige Beobachtungen und Erkenntnisse von damals gelten auch für die Tragödie vom vergangenen Wochenende, als 19 Menschen an der Loveparade in Duisburg in einer Massenpanik ums Leben kamen.

Massenturbulenz und Kontrollverlust

Helbing hat in seiner Analyse herausgefunden, dass es zu einer sogenannten Massenturbulenz («Crowd Turbulence») kommt, sobald das Gedränge in einer Menschenmasse dermassen gross ist, dass Menschen zwischen den anderen eingeklemmt sind. In einem solchen Fall entstehen erdbebenartige Schockwellen in der Menge, die es schwierig machen, sich überhaupt noch auf den Beinen halten zu können. «Menschen stürzen, und es ist zu diesem Zeitpunkt so gut wie unvermeidbar, dass sich die Menge über sie wälzt, da niemand mehr die Kontrolle über seine Bewegung hat. Jeder wird von der Menge geschoben und hin- und hergeworfen», sagt Helbing. Wie der Forscher beobachten konnte, kann sich diese Situation durch gegenläufige Fussgängerströme noch verschärfen. So war dies möglicherweise auch im Tunnel von Duisburg der Fall. Der Fussgängerstrom kann dann im Prinzip völlig zum Erliegen kommen. Beide Menschenmengen schieben gegeneinander, in der Hoffnung, dass es irgendwann wieder voran geht.

Einbahnstrassen und Computermodelle

Ein ausgeklügeltes System von Einbahnstrassen könne in solchen Fällen Abhilfe schaffen, so der Forscher. Umleitungen zu anderen Zugängen, flächendeckende Informationen zu den Notausgängen und spezielle Trainings für Sicherheitskräfte seien weitere hilfreiche Massnahmen, um Massenpaniken vorzubeugen. Auch ist es heutzutage möglich, den Besucherfluss einer Veranstaltung vorab am Computer zu simulieren, um so ein Gefühl für die möglichen Problemzonen zu gewinnen und Kontingenzpläne zu testen. Das ist jedoch gerade für Grossveranstaltungen relativ aufwändig und mit Unsicherheiten verbunden, wie Helbing erklärt.

Mengen von mehr als einer Million Menschen erforderten den Einsatz von Parallelrechnern. Ausserdem stünden die für die Simulation erforderlichen Inputdaten oft nur unvollständig oder gar nicht zur Verfügung. Dann müsse man mit unsicheren Annahmen arbeiten. Helbing empfiehlt daher auch den Einsatz von Videoüberwachung an vorab identifizierten Problemstellen. Die Aufnahmen können mit einer speziellen Software in Echtzeit auf Warnsignale für kritische Situationen analysiert werden. Der Forscher betont jedoch, ihm sei momentan nicht bekannt, welche Massnahmen im Vorfeld der Love Parade in Duisburg getroffen worden seien. Eines stehe für ihn jedoch fest: «Im Prinzip wäre es möglich, sozio-ökonomische Systeme in viel umfassenderem Ausmass vorab und ergebnisbegleitend im Computer zu studieren. Auch die Möglichkeiten von modernen Informations- und Kommunikationstechnologien könnte man deutlich besser nutzen, als es heutzutage üblich ist».

Media Contact

Claudia Naegeli idw

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