Mit Smartphones Hungersnöte vermeiden

Eine Handy-App soll in Zukunft die Auswirkungen von Dürre mildern. TU Wien

Mangelernährung kann unterschiedliche Ursachen haben, und nicht alle sind einfach vorherzusehen. Dürre und Missernten lassen sich oft schon frühzeitig prognostizieren, indem Wetter und Bodenfeuchte beobachtet werden.

Doch andere Risikofaktoren, etwa sozio-ökonomische Probleme oder gewaltsame Konflikte, können die Nahrungsmittelsicherheit ebenso gefährden. Für Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) ist es ganz entscheidend, so früh wie möglich zu erfahren, in welchen Regionen sich Probleme abzeichnen. Nur so kann rechtzeitig Hilfe geleistet werden.

Ein Forschungsteam der TU Wien und des International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) in Laxenburg konnte nun eine Methode entwickeln, mit der man Nahrungsmittelsicherheit mit Hilfe einer Smartphone-App überwachen kann.

Die App kombiniert Wetter- und Bodenfeuchtedaten, die mit Hilfe von Satelliten gemessen werden, mit einem Crowd-Sourcing-Ansatz. Durch Befragungen werden sozioökonomische Daten erhoben und die Gefahr von Mangelernährung prognostiziert. Tests in der Zentralafrikanischen Republik haben bereits vielversprechende Resultate erbracht, sie wurden nun im Fachjournal PLOS ONE publiziert.

Erster Schritt: Satellitendaten

„Seit Jahren entwickeln wir Methoden, um die Feuchtigkeit des Bodens aus Satellitendaten zu berechnen“, sagt Markus Enenkel vom Department für Geodäsie und Geoinformation der TU Wien. Satelliten tasten die Erdoberfläche mit Mikrowellenstrahlen ab.

Aus den Ergebnissen kann man dann auf den Wassergehalt des Bodens schließen. Wenn man die Messergebnisse mit Datenbanken über langjährige Bodenfeuchte-Verhältnisse vergleicht, lässt sich eine Aussage darüber treffen, ob der Boden in einer bestimmten Region ausreichend feucht ist, oder ob dort die Gefahr einer Trockenheit besteht.

„Die Methode funktioniert gut und liefert uns wichtige Information. Aber Daten über mangelnde Bodenfeuchte genügt nicht, um die Gefahr von Mangelernährung einzuschätzen“, sagt IIASA-Forscherin Linda See. „Wir brauchen auch Information über andere Faktoren, die einen Einfluss auf das lokale Nahrungsangebot haben.“

So können etwa politische Unruhen die Bevölkerung davon abhalten, ihre Felder zu bestellen, auch wenn die Wetterbedingungen gut sind. Solche Probleme lassen sich nicht vom Satelliten aus erkennen. Die Forschungsgruppe musste daher eine Möglichkeit finden, die nötigen Daten direkt in den meistgefährdeten Regionen zu sammeln.

„Smartphones sind heute sogar in weniger entwickelten Ländern verbreitet. Daher beschlossen wir, die App SATIDA COLLECT zu entwickeln, die uns dabei hilft, die nötigen Daten zu sammeln“, sagt App-Entwickler Mathias Karner (IIASA). Für den ersten Test wurde die Zentralafrikanische Republik ausgewählt – eines der gefährdetsten Länder der Welt, das unter chronischer Armut undgewaltsamen Konflikten leidet und nur über wenig Widerstandskraft gegenüber Katastrophen verfügt. Lokale Unterstützungskräfte wurden einen Tag lang eingeschult und sammelten anschließend Daten, indem sie zahlreiche Interviews führten.

„Wie oft essen die Leute? Wie hoch ist die aktuelle Rate von Mangelernährung? Haben irgendwelche Familienmitglieder in letzter Zeit die Region verlassen? Ist jemand gestorben? Antworten auf diese Fragen verwenden wir, um statistisch auszuwerten, ob die Region in Gefahr ist“, sagt Candela Lanusse, Ernährungsberaterin von „Ärzte ohne Grenzen“. „Manchmal sind unreife Früchte alles, was die Leute zu essen haben, manchmal essen sie das Saatgut, das sie eigentlich für das nächste Jahr aufbewahrt hatten. Manchmal müssen sie Vieh verkaufen, danach fehlt wertvolle Milch, was dann die Gefahr von Ernährungsproblemen noch verschärft. Solche Verhaltensweisen können schon Monate vor einer großen Krise ein Indikator für Probleme sein.“

Eine Karte der Mangelernährungs-Gefahr

Der digitale Fragebogen von SATIDA COLLECT kann an lokale Ernährungsgewohnheiten angepasst werden. Die Antworten und die dazugehörigen GPS-Koordinaten werden nach jeder Befragung lokal am Smartphone gespeichert. Wenn eine Internetverbindung verfügbar ist, werden die Daten auf einen Server hochgeladen und können dann gemeinsam mit der satellitenbasierten Bodenfeuchte und anderen Daten analysiert werden, um das Risiko der Mangelernährung abzuschätzen.

Am Ende wird eine Landkarte des Ernährungsrisikos erstellt, die gefährdete Gebiete sichtbar macht. Für Ärzte ohne Grenzen sind solche Karten extrem wertvoll. Sie helfen, künftige Aktivitäten zu planen und Hilfe zur Verfügung zu stellen, sobald sie benötigt wird.

„Das Tool in der Zentralafrikanischen Republik zu testen, war nicht einfach“, berichtet Markus Enenkel. „Die politische Situation dort ist kompliziert. Doch selbst unter diesen Bedingungen konnten wir zeigen, dass unsere Technologie funktioniert. Wir konnten wertvolle Information sammeln. SATIDA COLLECT hat das Potenzial, ein wirkungsvolles Frühwarnsystem zu werden. Es mag Krisen vielleicht nicht verhindern, aber es wird NGOs jedenfalls dabei helfen, durch frühes Eingreifen ihre Auswirkungen zu mildern.

Rückfragehinweis:
Dipl.-Ing. Markus Enenkel
Department für Geodäsie und Geoinformation
Technische Universität Wien
Gusshausstraße 25-29, 1040 Wien
T: +43-1-58801-12210
markus.enenkel@geo.tuwien.ac.at

http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0142030 Originalpublikation

Media Contact

Dr. Florian Aigner Technische Universität Wien

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