Geringeres Unfallrisiko durch variable Interfaces für Smartphone-Apps

Labor mit interaktiver virtueller Realität für Versuche in einer Umgebung, die den Probanden ablenkt. Fraunhofer FKIE

Nicht nur Autofahrer sind beim Telefonieren unfallgefährdet, dies gilt auch für Fußgänger, die im Straßenverkehr ihr Smartphone nutzen – wie die Fahrer sind sie abgelenkt. Dies reicht vom Übersehen von Bodenunebenheiten bis hin zur Unachtsamkeit beim Überqueren viel befahrener Straßen.

Eine internationale Erhebung der DEKRA Unfallforschung in sechs europäischen Hauptstädten kommt zu dem Ergebnis, dass von den fast 14.000 befragten Fußgängern rund 17 Prozent ihr Smartphone im Straßenverkehr nutzen. Durch die Unaufmerksamkeit passieren immer wieder Unfälle, oftmals sogar mit tödlichem Ausgang.

Auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE sehen dringenden Handlungsbedarf. Ihr Ansatz: Das Interface von Smartphone-Apps muss so gestaltet sein, dass Nutzer im Straßenverkehr möglichst wenig abgelenkt sind.

Beim Erfassen längerer Texte passen User ihr Verhalten an und gehen langsamer oder bleiben stehen. Bei kurzen Texten, z.B. auf Navigationssystemen, wird die Geschwindigkeit jedoch oft nicht angepasst, wodurch die Aufmerksamkeit für die Umgebung sinkt und deshalb das Unfallrisiko steigt. Ziel der FKIE-Forschenden ist eine grafische Oberfläche, die die Ablenkung durch solche Interaktionen mit dem Smartphone minimiert.

Daher fokussieren sie auf einzelne Worte, die sich mit einem Blick erfassen lassen. Basierend auf den Testergebnissen wurden verschiedene GUIs (Graphical User Interface) konzipiert, die sich in Navigations-Apps integrieren, aber auch an jede beliebige Applikation anpassen lassen.

Deutlich reduzierte Sehschärfe beim Gehen

Im ersten Schritt prüften die Wissenschaftler, welchen Einfluss das Gehen auf die Sehschärfe auf dem Smartphone hat. Die Sehschärfe verringerte sich im Gehen verglichen mit dem Stehen um 20 Prozent. Im Umkehrschluss müssten die Schriften um 20 Prozent größer ausfallen, um diesen Effekt aufzuheben. »Das ist schon beachtlich. Man muss sich das so vorstellen, dass sich die persönliche Sehschärfe bei einem herkömmlichen Sehtest um eine Zeile verschlechtert«, sagt Jessica Conradi, Wissenschaftlerin, Projektmanagerin und stellvertretende Abteilungsleiterin am Fraunhofer FKIE. Der Schwerpunkt der weiteren Untersuchungen lag infolgedessen auf der Schriftgröße: Wie groß muss sie ausfallen, um Textinhalte möglichst schnell erfassen zu können?

Erforderliche Schriftgröße steigt mit der Gehgeschwindigkeit

Die Untersuchungen mit mehr als 20 Probanden im Alter von 26 bis 36 Jahren fanden unter Laborbedingungen Indoor auf einem Laufband unter der Verwendung verschiedener moderner Smartphones statt. Die Versuchsteilnehmer waren mit kopfbasierten Systemen mit Infrarotkameras ausgestattet, die die Augenbewegungen aufzeichneten. Um reale Verkehrssituationen zu simulieren, wurden die Probanden durch eine virtuelle Umgebung abgelenkt. Als Versuchsfaktoren wurden die Wortlänge, Darbietungsdauer und die Gehgeschwindigkeit variiert.

»Alle drei Faktoren beeinflussen die Schriftgröße, die benötigt wird, um die Wörter sicher erfassen zu können. Das zeigten sämtliche Experimente«, resümiert Conradi. Einige der Untersuchungsergebnisse: Längere Wörter bedürfen einer 12 Prozent größeren Schrift als kürzere Wörter. Bei kürzeren Darbietungsdauern sollte eine 20 Prozent größere Schrift gewählt werden. Im Gehen müssen Wörter sogar 47 Prozent größer dargestellt werden als im Stehen, um die gleiche Lesbarkeit zu erzielen. Die Differenz der optimalen Schriftgröße zwischen langsamem und schnellem Gehen beträgt 15 Prozent – die nötige Schriftgröße steigt also mit der Gehgeschwindigkeit.

»Da die Größen der Schriftarten nicht vergleichbar und die Bildschirmauflösungen verschiedener Displays unterschiedlich sind, konnten wir nicht mit Punktgrößen arbeiten. Daher haben wir als Wert für die Versalhöhe Millimeter gewählt. Der Abstand vom Auge zum Smartphone betrug 45 Zentimeter«, erläutert die Wissenschaftlerin das Testszenario.

Bei der optimalen Größe von Buttons ergab sich ein ähnliches Bild: Im Stehen und im Gehen sind unterschiedliche Varianten erforderlich, um in möglichst kurzer Zeit mit möglichst wenigen Fehlversuchen richtig zu klicken. Im Stehen sollten die Icons eine Mindestgröße von 8×8 Millimeter aufweisen, allerdings fiel die Anzahl der falsch geklickten Buttons bei 11×11 Millimeter nochmals geringer aus. Beim Gehen betrug die optimale Größe der Buttons 14×14 Millimeter.

Die Ingenieurin empfiehlt daher verschiedene GUIs für Stehen, langsames und schnelles Gehen. Die Entwickler von Apps sollten ihre Applikationen an die reduzierte Sehschärfe im Gehen anpassen, lautet der Ratschlag von Conradi. Die Wissenschaftlerin hat als Konsequenz ihrer Forschung ein Konzept entwickelt, mit dem sich GUIs an unterschiedliche Phasen der Nutzung einer Navigations-App anpassen lassen.

»Da Lesen während des Laufens gerade bei kleinen Schriften und Buttons schwieriger ist, halten viele Fußgänger ihr Smartphone nicht auf Armlänge. Je näher das Gerät aber zum Gesicht geführt wird, desto eingeschränkter ist das Gesichtsfeld, das Unfallrisiko steigt dadurch nochmals – auch dies ist ein Argument für das Adaptieren der Interfaces«, so die Wissenschaftlerin.

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Silke Wiesemann Fraunhofer Forschung Kompakt

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