Macht Second Life für Firmen noch Sinn?

„Second Life ist der Anfang – dabei bieten digitale Welten signifikante Potenziale für nahezu alle Branchen“ – so fasste Herbert Kircher, Geschäftsführer, IBM Deutschland Entwicklung GmbH, stellvertretend für alle Referenten die Zukunft des Internets beim ersten Euroforum-Second-Life-Kongress am 17. und 18. Juli in München zusammen.

„Aller Anfang ist schwer“ und damit hat auch Second Life zu kämpfen. Kritik an der Geschwindigkeit, Stabilität und an der Benutzeroberfläche ist durchaus berechtigt, wie einige Live-Vorführungen auf der Konferenz deutlich machten. Zwar ist Second Life derzeit (noch) die nutzerstärkste virtuelle Welt (Spiele ausgenommen), aber die Anzahl der aktiven Nutzer stagniert derzeit bei circa 500.000 weltweit. Deutschland ist mit rund 50.000 aktiven Nutzern auf Platz zwei hinter den USA und damit stärkste Community in Europa. (Quelle: Official Linden Lab Statistics June 2007, 10.07.2007)

Dies gibt Anlass, Second Life einmal aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Virtuelle Welten sind ein Beteiligungs- und kein Reichweitenmedium. Der Interaktionsgrad ist bei virtuellen Welten sehr viel höher als bei reichweitenorientierten Medien wie zum Beispiel Web 1.0 und nicht jeder Internetnutzer ist bereit sich hierauf einzulassen. Dr. Christian Bachem, Partner bei .companion, empfiehlt Crossmedia-Kampagnen als intelligente Verbindung von Reichweiten- und Beteiligungsmedien. Mit virtuellen Welten werde eine Intensität in der Kundenbeziehung erreicht, die mit keinem anderen Internetansatz bislang erreicht wurde.

Second Life bekommt Konkurrenz

Mächtige Anbieter – wie beispielsweise Sony – mit der auf Computerspieler fokussierten virtuellen Welt „Home“ und die Kooperation aus Electronic Arts und Endemol zur Zweitvermarktung von Medienformaten in „Virtual Me“ stehen in den Startlöchern und werden Second Life durch modernere Technik und bessere Grafik Paroli bieten. Große Fernsehgesellschaften bringen sich in Anbetracht schwindender Zuschauerzahlen in Position um mittels Digitaler Welten aus Zuschauern Teilnehmer zu machen und so stärker zu binden. MTV startete das bislang erfolgreichste Projekt in Second Life und hat es inzwischen auf die drei themenspezifischen Welten „Virtual Laguna Beach“, „Virtual Hill“ und „Virtual Pimp my Ride“ ausgebaut. „Virtual Me“ will noch einen Schritt weiter gehen und beliebte Quiz-Shows online veranstalten – an „Deal or no Deal“, „Einer gegen 100“, „Fear Factor“ und weiteren Formaten wird bald jeder teilnehmen können.

Wie Prof. Dr. Dr. Thomas Schildhauer, Leitender Direktor, Institute of Electronic Business e.V. berichtete, sind auch die Big-Player Google und Microsoft sehr aktiv. Google erlaubt seit Anfang Juli Plakatwerbung in Google Earth und stellt mit „Google Street View“ Fotomaterial ausgewählter Straßenszenen dar. Microsoft geht noch einen Schritt weiter und fügt mit „Photosynth“ Bilder eines Gebäudes bzw. eines Straßenzuges so zusammen, dass in einer 3D-Darstellung abhängig vom Betrachtungswinkel und -ausschnitt eine Bildauswahl getroffen wird. Mit dieser Technik wird selbst die Betrachtung von Details an Häuserfassaden in bislang unerreichter Qualität möglich.

Offen blieb die Frage nach der Konvergenz dieser unterschiedlichen Ansätze. Sicher ist bislang nur, dass es viele unterschiedliche digitale Welten geben wird und es sich dabei nicht um einen flüchtigen Hype handelt. „Virtual worlds are here to stay!“ fasste Markus Breuer kurz und bündig die Sicht von Elephant Seven zusammen und führte weiter aus, dass virtuelle Welten die Art und Weise unseres Umgangs mit dem Internet dauerhaft beeinflussen werden. Von einem ähnlichen Szenario geht IBM als Ergebnis einer weltweiten Befragung von Kunden, Lieferanten und Mitarbeitern aus. Aus 110.000 relevanten Vorschlägen extrahierte IBM 35 „Big-Ideas“, die unsere Zukunft verändern werden. In zehn ausgewählte „Big-Ideas“ wird IBM insgesamt 100 Millionen Dollar investieren und Virtuelle Welten gehören zu dieser Gruppe.

Derzeit sind die Nutzerzahlen noch gering, sie werden sich nach Ansicht der Experten aber rasant entwickeln. Laut einer Gartner-Studie vom April 2007 werden 80 Prozent aller aktiven Internetnutzer im Jahr 2011 ein „Second Life“ haben. „Bislang handelt es sich bei den digitalen Welten zwar noch um ein Nischen-Phänomen, die Nutzerzahl verdoppelt sich aber alle zwei Jahre“ führte Prof. Dr. Dr. Thomas Schildhauer aus. Die Experten beziffern derzeit das Potenzial auf 30 bis 80 Millionen Nutzern weltweit.

Voraussetzung für den langfristigen Erfolg digitaler Welten sind Standards, die es ermöglichen, mit einem Browser unterschiedliche Angebote zu nutzen. Aber auch hier steht die Entwicklung noch am Anfang. Es werden wohl noch zehn Jahre vergehen, bis das Web 3.0 – darunter versteht man digitale Welten, semantische Netze und weitere Entwicklungen – täglicher Bestandteil unseres (ersten) Lebens geworden ist.

Was erreicht man heute schon mit virtuellen Welten?

Projektverantwortliche von Mercedes-Benz, EnBW, Softlab Group und BUNCH.TV erläuterten auf der Euroforum-Konferenz, wie reale Unternehmen heute bereits virtuelle Welten nutzen können und was dabei zu beachten ist. Thomas Siegner, Marketingleiter Softlab Group, stellte seine Second Life-Erlebnisse als Führungskraft eines IT-Unternehmens vor. Er wurde „vom Skeptiker zum Befürworter“. Dabei sind die Besucherzahlen des Firmenauftritts sehr überschaubar. Innerhalb von drei Monaten besuchten nur 1400 Second Life-User das Angebot der Softlab Group. Bei einer von Studenten der FH München vollständig in Eigenleistung realisierten Recruiting-Veranstaltung nahmen gerade einmal 40 Bewerber teil. Wie bei vielen Second Life-Projekten ist die mediale Wirkung außerhalb des Second Life sehr viel größer. So wurde das Video der Recruiting-Veranstaltung bei You-Tube 284.000 mal betrachtet.

Beeindruckender sind da schon die Zahlen des EnBW-Auftritts, die Matthias Schultze, Leiter CRM & Neue Medien, EnBW Energie Baden-Württemberg AG, präsentierte. EnBW verteilte Rucksäcke in Second Life, aus denen Fußball-Trikots an andere Second Life-Nutzer verteilt werden konnten. Jeder Trikot-Träger nahm automatisch an einem Gewinnspiel teil, so dass sich innerhalb von drei Wochen 15.000 Trikot-Träger fanden, die als wandelnde EnBW-Werbetafeln Second Life überfluteten. Als Reaktion registrierte EnBW 2000 Besucher in der EnBW-Arena, von internationalen Second Life-Nutzern wurde EnBW allerdings für einen Trikot-Hersteller gehalten. Durch weitere Aktionen wie zum Beispiel dem EnBW-Energy-Park als Parallelveranstaltung zur Hannover Messe schaffte es EnBW auf 80.000 Nennungen in Google und „Unser SL-Engagement hat wesentlich zur Steigerung unserer Markenbekanntheit beigetragen“, so Schultze.

Sven Dörrenbächer, Leiter Digitale Kommunikation Mercedes-Benz PKW, zog ebenfalls eine positive Bilanz des Second Life-Engagements seines Unternehmens. 100.000 Avatare besuchten über einen Zeitraum von drei Monaten die Ausstellung der neuen C-Klasse. Noch intensiver beschäftigten sich 24.000 Testfahrer mit dem Auto, sie nahmen im Second Life an einer 15-minütigen Testfahrt teil. Das Interesse an der neuen C-Klasse war zeitweilig so groß, dass Shopping-Mall- und Community-Betreiber bei Mercedes-Benz um die Ausstellung des Fahrzeugs auf ihrem Land im Second Life baten. Ein Mercedes ist eben ein Publikumsmagnet – im Ersten wie im Zweiten Leben. Die Bandbreite der Kosten für Second Life-Projekte scheint sehr groß zu sein. Thomas Siegner, Marketingleiter Softlab Group, sprach von nur 5000 Euro und viel ehrenamtlichem Engagement der Mitarbeiter. Die Redner von EnBW und Mercedes-Benz verzichteten gänzlich auf dieses „Detail“. Konkreter wurde Markus Breuer, der die Bandbreite „realer“ Second Life-Projekte mit 30.000 bis 150.000 Euro angab. Dabei entfielen nur 35 Prozent der Projektkosten auf „Baumaßnahmen“ in einer virtuellen Welt; Konzeption, Betreuung der Besucher und laufende Erneuerung des Angebots bildeten den Rest und würden häufig unterschätzt.

Macht SL noch Sinn für Firmen?

Auf Publicity ausgelegte Projekte, stagnierende Nutzerzahlen in Europa und Pressemeldungen über zuviel Sex, Gewalt und Pädophilie drängen die Frage auf, ob reale Firmen jetzt noch in Second Life einsteigen sollten.

„Der gleiche Effekt wie zum Anfang des Jahres wird man derzeit in Deutschland nicht mehr erreichen können“, gab Matthias Schultze zu bedenken. Abwarten und Beobachten ist im Hinblick auf die Potenziale digitaler Welten aber nicht die richtige Entscheidung, da waren sich die Referenten einig. Vielmehr raten sie dazu, jetzt Auftritte und Aktionen in virtuellen Welten durchzuführen und schnellstmöglich Wissen aufzubauen. Jedes Unternehmen muss für sich klären, wie es sich optimal in digitalen Welten präsentiert, wie es mit Besuchern und Kunden interagiert und welche der digitalen Welten das größte Potenzial bietet. Digitale Welten werden unser Leben verändern, mit Anwendungen, die sich heute noch keiner vorstellen kann.

Autor: Mike Hummel (freier Journalist)

EUROFORUM Deutschland GmbH

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