"Verlockend-spannendes Konzept": Jülicher erforschen neue Computerspeicher

Zukünftige Computerspeicher sollen alles können: große Datenmengen speichern, schnell schalten und auch ohne Stromzufuhr die Daten sicher bewahren. Wie das alles in einem System vereint werden könnte, hat Prof. Kristof Szot und sein Jülicher Team nun in der aktuellen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift Nature Materials aufgezeigt. Mit der Spitze eines Rastersondenmikroskops kann er die Leitfähigkeit von oxidischen Materialien im Nanometerbereich um viele Größenordnungen manipulieren. Im begleitenden Kommentar im gleichen Magazin sagt Angus Kingon von der North Carolina State University: „Dieses verlockend-spannende Konzept ist die aufregende Grundlage für eine mögliche neue Speichertechnologie.“

Hintergrundinformationen zur aktuellen Veröffentlichung in Nature Materials:

Bereits in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts wurde beobachtet, dass bestimmte Übergangsmetalloxide nach einer sog. Formierung, beispielsweise einer thermischen Vorbehandlung in reduzierenden Atmosphären, einen schaltbaren Widerstandseffekt zeigen. Die Gruppe um Georg Bednorz am IBM-Forschungslabor in Zürich, der zusammen mit seinem Kollegen Alex Müller den Nobelpreis für die Entdeckung der Hochtemperatursupraleitung in Oxiden erhalten hatte, brachte Ende der 90er-Jahre den Effekt als mögliches Prinzip für zukünftige Computerspeicher auf. Es blieb jedoch bis heute ungeklärt, wie das Widerstandsschalten abläuft und mit welchen Struktureigenschaften es im oxidischen Material einhergeht. Professor Kristof Szot am Institut für Festkörperforschung des Forschungszentrums Jülich hat in den letzten Jahren eine besondere Variante der sogenannten Rastersondenmikroskopie entwickelt, die es ihm erlaubt, extrem kleine Ströme mit einer außerordentlich großen Ortsauflösung an atomar glatten Oberflächen aufzunehmen. Er wandte nun seine Methode auf schaltende Oxide, wie z. B. das von Bednorz vorgeschlagene Strontiumtitanat, an, um dem physikalisch-chemischen Mechanismus des Effekts auf die Spur zu kommen. Wie in der Aprilausgabe der renommierten Fachzeitschrift Nature Materials berichtet wird, konnte er nachweisen, dass die Leitfähigkeit nach dem Formieren eines Einkristalls (und in gleicher Weise von dünnen Schichten) aus Strontiumtitanat nicht homogen auf der gesamten Oberfläche auftritt. Vielmehr ist sie auf ausgedehnte Gitterdefekte, insbesonders so genannte Versetzungen im Kristallgitter des Oxids, beschränkt. Die Leitfähigkeit zwischen dem Ausgang einer Versetzung an der Oberfläche und einer defektfreien Stelle nur einen Nanometer (entspricht dem 30.000stel eines Haardurchmesser) davon entfernt kann um viele Größenordnungen variieren. Und er konnte mit Hilfe einer positiven Spannung, die er an die Rastersondenspitze anlegte, die hohe Leitfähigkeit dieses Versetzungsausgangs wieder abschalten. Negative und positive Spannungen oberhalb eines Grenzwertes von etwa 2 V konnten die Leitfähigkeit der Versetzung beliebig ein- und ausschalten. Dies war offensichtlich genau der gleiche Effekt, den andere Forscher mit großen Deckelektroden als Widerstandsschaltern beobachtet hatten.

Bei der Formierung der Oxide wird offenbar zunächst eine winzig kleine Menge Sauerstoff entlang der Versetzungen in dem Kristall ausgebaut. Dadurch wird die Leitfähigkeit des Materials erhöht. Wie Gustav Bihlmeyer in dem Artikel mit theoretischen Rechnungen auf der Basis quantenmechanischer Simulationen nachweisen konnte, bleibt die Leitfähigkeit in der Tat stark lokalisiert – so wie es experimentell beobachtet wurde. Das Schalten kann man offenbar als elektrochemischen Effekt auf der Nanoskala verstehen (also als einen Nanobatterie-Effekt), bei dem einige Sauerstoffionen verschoben werden und durch eine lokale Oxidation bzw. Reduktion der Versetzung in der Nähe der Oberfläche der Zugang der Rastersondenspitze zum leitenden Innern der Versetzung unterbrochen oder wieder hergestellt wird. Aufgrund der sehr kurzen Distanzen erfolgt die Verschiebung der Ionen unter Wirkung der elektrischen Spannung außerordentlich schnell.

Die mögliche Einsatz des Effekts in zukünftigen Computerspeichern wird deutlich, wenn man sich die Begrenzungen heutiger Speicher vor Augen führt. Die Arbeitsspeicher, die so genannten „DRAMs“, sind flüchtige Informationsspeicher; ihre Information geht verloren, sobald die Betriebsspannung abgeschaltet wird. Außerdem wird man den kleinen Kondensator, der als Ladungsspeicher das Herzstück einer DRAM-Zelle darstellt, kaum noch weiter verkleinern können. Die andere heutige übliche Speichertechnologie, die so genannten Flash-Speicher in Digitalkameras und MP3-Playern, sind zwar nicht-flüchtige Speicher, aber der Schreibvorgang dauert zehntausend mal länger als bei den DRAMs. Das Widerstandschalten der Versetzungen in Übergangsmetalloxiden vereinigt möglicherweise die Vorteile beider Speicher: es ist ein nicht-flüchtiger Effekt, und erste Abschätzungen zeigen, dass das Umschalten sehr schnell ablaufen kann. Darüber hinaus zeigt die geringe Ausdehnung der Versetzungen, welch großes Potential hinsichtlich einer künftigen Steigerung der Integrationsdichte prinzipiell möglich ist. Falls es gelingen sollte, bis an die Grenzen der gefundenen Effekte vorzustoßen, ist eine weitere Steigerung der Dichte um einen weiteren Faktor 1000 gegenüber heutigen DRAM und Flash Generationen möglich.

Damit wird eventuell eine Vision des Erfinders des Transistors, Walter Shockley, wahr, der in den 80er-Jahren darüber nachgedacht hat, ob man Versetzungen in Kristallen eines Tages als elektronisch aktive Bauelemente nutzen und damit eine damals noch unvorstellbare Miniaturisierung erreichen kann.

Bevor man den nun gefundenen Effekt jedoch in praktischen Speicherbauelementen einsetzen kann, sind von der Forschung jedoch zahlreiche, sehr schwierige Aufgaben zu lösen. Die Versetzungen liegen in Einkristallen und aufgewachsenen Dünnschichten statistisch verteilt vor. Für den Einsatz in Computerspeichern müssten sie jedoch sehr regelmäßig angeordnet und präzise platziert werden. Um dieses zentrale Problem zu lösen, arbeiten die Jülicher Forscher nun daran, die Wafer durch geeignete, nanometergroße Keime vorzustrukturieren und dadurch eventuell den Versetzungen vorzugeben, an welchen Stellen sie wachsen sollen. Weitere Herausforderungen betreffen die Suche nach Methoden zur massenfertigungstauglichen Herstellung geeigneter, ebenfalls nanometergroßen Unter- und Oberelektroden, die ein langzeitstabiles Schalten erlauben, sowie zur Herstellung von Leiterverbindungen auf dieser kleinen Skala. Die Zukunft wird zeigen, inwiefern es gelingt, diese Aufgaben zu lösen und damit die Tür zu einer ganz neuen Generation von Computerspeichern aufzustoßen.

Pressekontakt: Kosta Schinarakis, Wissenschaftsjournalist, Öffentlichkeitsarbeit, Forschungszentrum Jülich Tel. 02461 61-4771, Fax 02461 61-4666, E-Mail: k.schinarakis@fz-juelich.de

Das Forschungszentrum Jülich ist das größte multidisziplinäre Forschungszentrum in Europa. Seine Themen spiegeln die großen Herausforderungen der Gesellschaft wider: Versorgung mit Energie, Schutz der Umwelt, Umgang mit Information sowie Erhalt von Gesundheit. Jülicher Wissenschaftler arbeiten in den Disziplinen Physik, Chemie, Biologie, Medizin und Ingenieurwissenschaften. Langfristige, grundlagenorientierte und fächerübergreifende Beiträge zu Naturwissenschaft und Technik werden ebenso erarbeitet wie konkrete technologische Anwendungen für die Industrie. Das 1956 gegründete Forschungszentrum Jülich ist Mitglied der Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

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