Neue Software für die Erdsystem-Modellierung

Vergleich gemessener und simulierter Niederschlagsmengen: Die Struktur von MESSy ermöglicht es, einen Prozess mehrfach zu repräsentieren bzw. zu implementieren, wie zum Beispiel die Konvektionsparametrisierung in einem Modellsystem. Zwischen diesen Varianten kann dann beliebig hin- und hergeschaltet werden, ohne dass am System etwas geändert werden muss, sogar ohne Neukompilierung. Das ermöglicht zum ersten Mal einen systematischen und konsistenten Vergleich der Implementation von Simulationsprozessen. Die Aussagekraft eines solchen Vergleichs geht damit weit über herkömmliche Gesamtmodell-Vergleiche hinaus, weil MESSy es erstmals ermöglicht, einzelne Prozess-Repräsentationen gegeneinander auszutauschen statt komplexe Gesamtmodelle miteinander vergleichen zu müssen. Das Bild - ein Auszug aus der kurz vor dem Abschluss stehenden Dissertation von Holger Tost - zeigt in der Mitte eine Klimatologie des real gemessenen mittleren Niederschlages (in Millimeter/Tag) und darum herum den entsprechend mit vier verschieden Konvektions-Schemata berechneten Niederschlag. Beim Vergleich werden große Unterschiede deutlich, wodurch erstmals Unsicherheiten beim Verständnis und der Interpretation von Modell-Ergebnissen quantifizierbar werden. Bild: Max-Planck-Institut für Chemie

„Modular Earth Submodel System (MESSy)“ vom Max-Planck-Institut für Chemie mit dem Billing-Preis für wissenschaftliches Rechnen 2005 ausgezeichnet

Für die Entwicklung einer modular strukturierten Softwareumgebung, das „Modular Earth Submodel System (MESSy)“, erhalten Patrick Jöckel und Rolf Sander vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz den mit 3.000 Euro dotierten Heinz-Billing-Preis 2005. Um die enge raumzeitliche Kopplung luftchemischer und meteorologischer Prozesse effizient und flexibel im Computer simulieren zu können, müssen die weltweit vorhandenen unterschiedlichen Programm-Module eng miteinander verknüpft werden. MESSy gestattet es nun, eine große Zahl von Modellen zur Beschreibung der in der Atmosphäre auflaufenden physikalischen und chemischen Vorgänge in einer Softwareumgebung zu integrieren und zu untersuchen, welche Rückkopplungen zwischen den einzelnen Prozessen bestehen. Dies ist ein wichtiger Schritt zu einem ganzheitlichen Erdsystemmodell, in dem sowohl Vorgänge in den Ozeanen als auch an Land und in der Luft in ihrer Wechselwirkungen untereinander untersucht werden können. In die Endauswahl kamen auch Ewgenij Gawrilow und Michael Joswig vom Fachbereich Mathematik der Technischen Universität Darmstadt mit ihrer Arbeit „Geometric Reasoning with polymake“, einem Programm zum Studium von Polyedern in Geometrie und Topologie, sowie Christoph Wierling vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, Berlin, mit „PyBioS – Ein Modellierungs- und Simulationssystem für komplexe biologische Prozesse“. Die Preisverleihung erfolgt am 17. November in Göttingen.

Die Erkenntnis, dass die Entwicklung des Klimas der Erde entscheidenden Einfluss auf unsere zukünftigen Lebensbedingungen ausübt, hat weltweit zu großen wissenschaftlichen Anstrengungen geführt. Doch die Erde ist ein außerordentlich komplexes System – mit den sich gegenseitig beeinflussenden Vorgängen auf der Landoberfläche mit ihrer Vegetation, den Eisflächen und den Ozeanen sowie der Atmosphäre.

Heute geht es in der Forschung darum, die Erde mit all ihren wichtigen Einflussgrößen als ein Gesamtsystem zu betrachten – und „Erdsystemforschung“ zu betreiben. Neben spezifischen Experimenten und Messungen sowie der Modellierung spezieller Detailfragen werden Computersimulationen, die das Gesamtsystem betrachten, zu einem immer wichtigeren Werkzeug für das Verständnis und die Vorhersage des Klimas. Hierfür spielt die Entwicklung neuer Modelle eine entscheidende Rolle. Diese müssen die unterschiedlichen Prozesse möglichst präzise abbilden und gleichzeitig offen für neue Entwicklungen sein.

Durch die enorme Leistungssteigerung bei Großrechnern und die gleichzeitige Zunahme verfügbarer Messdaten sind die ursprünglichen Computermodelle kontinuierlich gewachsen: In den Rechnungen wurden immer mehr Naturprozesse, wie die chemische Veränderung der Luftzusammensetzung, die Wolkenbildung durch Aerosole, etc. einbezogen. Dieses Wachstum der Modelle hat zu einer Vielfalt von Problemen geführt, die charakteristisch sind für gewachsene Programmstrukturen. Dazu gehört die Verzahnung einzelner Komponenten oder die schlechte Erweiterbarkeit. Letztendlich wird durch diese Entwicklung die Vergleichbarkeit unterschiedlicher Modelle und Simulationsverfahren entscheidend erschwert.

Hier versucht das Modular Earth Submodel System (MESSy) Abhilfe zu schaffen, indem es einen strukturierten, modularen Aufbau eines umfassenden Erdsystemmodells, also eine Art „Baukasten“ bereit stellt. MESSy umfasst dabei

(1) eine Schnittstellendefinition mit Infrastruktur, um bestimmte Teilprozesse miteinander zu koppeln, und

(2) eine erweiterbare Sammlung von Teilprozessen, die als so genannte „MESSy-Submodelle“ implementiert sind.

Da auf einzelne Prozesse zugegriffen werden kann, ermöglicht es MESSy, für einen bestimmten Prozess zwischen verschiedenen Implementationen hin und her zu wechseln und auf diese Weise sowohl die einzelnen Simulationsverfahren als auch ihre Auswirkung auf das Gesamtsystem im Vergleich zu untersuchen – ein Aspekt, der gerade bei nichtlinearen Prozessen besonders wichtig ist, um Aussagen über die allgemeine Qualität von Vorhersagen zu erzielen. So kann man untersuchen, wie sich alternative Beschreibungen von Konvektion und Wolkenbildung auf die weltweite Verteilung von Blitzen auswirken, die wiederum für chemische Prozesse in der Atmosphäre ein große Rolle spielen. Oder man kann bei der Berechnung des Strahlungshaushaltes der Atmosphäre eine zunächst fest vorgeschriebene Verteilung von Treibhausgasen später leicht durch eine detailliertere, im Verlauf der Simulation selbst berechnete Verteilung austauschen, ohne dass am Strahlungsmodul selbst etwas geändert werden müsste.

Alle Komponenten von MESSy sind nach dem Fortran90-Standard programmiert. Der standardisierte Datenfluss des Systems gewährleistet eine lange Lebensdauer von bereits implementierten und validierten Submodellen, selbst wenn diese später erweitert werden.

Das Projekt MESSy ist offen für Beiträge aus unterschiedlichen Teildisziplinen der Erdsystemforschung und liefert ein gut strukturiertes und transparentes Werkzeug, um wichtige wissenschaftliche Fragen im Zusammenhang mit der Untersuchung unseres Planeten zu beantworten.

Weitere Informationen erhalten Sie von:

Dr. Patrick Jöckel
Max-Planck-Institut für Chemie, Mainz
Tel.: 06131 305-452
Fax: 06131 305-436
E-Mail: joeckel@mpch-mainz.mpg.de

Dr. Rolf Sander
Max-Planck-Institut für Chemie, Mainz
Tel.: 06131 305-449
Fax: 06131 305-436
E-Mail: sander@mpch-mainz.mpg.de

Media Contact

Dr. Andreas Trepte Max-Planck-Gesellschaft

Weitere Informationen:

http://www.mpg.de

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Informationstechnologie

Neuerungen und Entwicklungen auf den Gebieten der Informations- und Datenverarbeitung sowie der dafür benötigten Hardware finden Sie hier zusammengefasst.

Unter anderem erhalten Sie Informationen aus den Teilbereichen: IT-Dienstleistungen, IT-Architektur, IT-Management und Telekommunikation.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Nanofasern befreien Wasser von gefährlichen Farbstoffen

Farbstoffe, wie sie zum Beispiel in der Textilindustrie verwendet werden, sind ein großes Umweltproblem. An der TU Wien entwickelte man nun effiziente Filter dafür – mit Hilfe von Zellulose-Abfällen. Abfall…

Entscheidender Durchbruch für die Batterieproduktion

Energie speichern und nutzen mit innovativen Schwefelkathoden. HU-Forschungsteam entwickelt Grundlagen für nachhaltige Batterietechnologie. Elektromobilität und portable elektronische Geräte wie Laptop und Handy sind ohne die Verwendung von Lithium-Ionen-Batterien undenkbar. Das…

Wenn Immunzellen den Körper bewegungsunfähig machen

Weltweit erste Therapie der systemischen Sklerose mit einer onkologischen Immuntherapie am LMU Klinikum München. Es ist ein durchaus spektakulärer Fall: Nach einem mehrwöchigen Behandlungszyklus mit einem immuntherapeutischen Krebsmedikament hat ein…

Partner & Förderer