Erforschen, was der Computer für Wissenschaftler tun kann

Erster Jahresbericht des Forschungsinstituts EML Research erschienen – Simulationssoftware für Biowissenschaftler, Werkzeuge für Linguisten und wissenschaftliche Datenbanken

Was haben Biowissenschaftler im Labor mit Linguisten im Seminar gemeinsam? Sie nehmen beide immer intensiver die Dienste der Informatik in Anspruch, um ihre Forschungsarbeiten schneller, umfassender und besser reproduzierbar zu machen -durch Simulationen von biochemischen Reaktionen, oder durch Software, die das Annotieren von Texten erleichtert. Was der Computer dafür tun kann, erforschen die Wissenschaftler des Heidelberger Forschungsinstituts EML Research in mehreren Arbeitsgruppen. Die Arbeitsfelder reichen von der Bioinformatik über wissenschaftliche Datenbanken bis hin zur Computerlinguistik. Das 2003 neu gegründete Institut wird von der gemeinnützigen Klaus Tschira Stiftung getragen. Im ersten Jahresbericht der EML Research gGmbH, der jetzt erschienen ist, werden Projekte aus diesen Gebieten vorgestellt.

Ein Beispiel dafür ist COPASI, ein Softwarepaket für Biowissenschaftler, das biochemische Prozesse analysiert und simuliert. Es eignet sich für den Forscher im Labor, der eine Hypothese überprüfen oder ein Experiment zur Überprüfung derselben vorbereiten will. Die Simulation von biochemischen Prozessen hilft dem Experimentalforscher also ähnlich wie die Simulation eines Crash-Tests dem Automobilbauer: Sie spart Zeit und einige aufwändige Versuche. Die Bioinformatik-Forschungsgruppe unter der Leitung von Dr. Ursula Kummer hat die Software gemeinsam mit dem Virginia Bioinformatics Institute (USA) entwickelt.

COPASI ist ein wichtiger Baustein in einem Paket von rechnerischen Werkzeugen und Methoden, an dem die Forscher derzeit unter dem Namen „SYCAMORE“ arbeiten. Das weltweit Neue und Besondere daran ist, dass es nicht nur Rechenmethoden zur Verfügung stellt, sondern auch dem Biowissenschaftler dabei hilft, die richtige Methode, zum Beispiel bei der Simulation, auszuwählen. Der Rechner kann und soll dabei das Reagenzglas nicht ersetzen, sondern die Experimente sinnvoll ergänzen. Ein Beispiel: Ein Wissenschaftler sucht nach einem Hemmstoff für ein Eiweiß, das bestimmte Stoffwechselprozesse auslöst. „SYCAMORE“ zeigt ihm, ob es möglich ist, diesen Hemmstoff rechnerisch zu bestimmen, und welcher biochemische Prozess dadurch am stärksten gehemmt wird. Zwei Forschungsgruppen der EML Research arbeiten an diesem Projekt, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird.

Mit molekularen Prozessen und der Dynamik von Proteinen befasst sich die Forschungsgruppe von Dr. Rebecca Wade. Das Verständnis dafür, wann und an welcher Stelle ein Protein an ein anderes „andockt“, ist sehr wichtig für die Entwicklung neuer Medikamente mit weniger Nebenwirkungen. Die Wissenschaftler entwickeln vor allem Computermodelle für die Interaktion zwischen Proteinen. Wie hoch das Interesse der Industrie an dieser Grundlagenforschung ist, lässt sich auch daran erkennen, dass EML Research in einem Projekt mit einem pharmazeutischen Unternehmen kooperiert.

Ein System, das Biowissenschaftlern dabei helfen soll, den Datendschungel der Stoffwechselwege besser zu durchforsten, entwickelt die Forschungsgruppe Wissenschaftliche Datenbanken unter der Leitung von Dr. Isabel Rojas. In „AMBOS“ werden Informationen zu Genen, Proteinen und über biochemische Reaktionen aus weltweit verstreuten Datenbanken integriert und visualisiert. So kann sich ein Biologe biochemische Reaktionen, die er im Labor untersucht, am PC als Grafik darstellen lassen.

Die Forschungsgruppe „Natural Language Processing“ unter der Leitung von Dr. Michael Strube hat eine spezielle Software für Computerlinguisten entwickelt, die diesen beim mühsamen Geschäft der Annotation hilft. Darunter versteht man, dass Texte von Hand mit linguistischer und anderer Information angereichert werden müssen – eine wichtige Voraussetzung für die automatische Sprachverarbeitung. Das digitale Werkzeug mit dem Namen MMAX ist plattformunabhängig und nutzerfreundlich. MMAX integriert auch bereits annotierte Texte und unterstützt die Forschung bei der Lösung verschiedener linguistischer Probleme. Mit dem Annotationstool aus Heidelberg arbeiten inzwischen schon circa fünfzehn Forschungsteams in aller Welt.

Ein weiteres Projekt beschäftigt sich mit der Sprache, wie sie täglich in unzähligen Besprechungen, Verhandlungen und Diskussionen gesprochen wird. Oft schreibt einer der Teilnehmer fleißig Notizen, um später ein Protokoll anzufertigen – eine meist ungeliebte Aufgabe. Wie schön wäre es, ein prägnantes und aussagekräftiges Protokoll auf Knopfdruck zu erhalten! Die Computerlinguisten der EML Research arbeiten daran, diese Vorstellung in die Tat umzusetzen: Sie wollen mit intelligenter Software gesprochene Dialoge automatisch zusammenfassen. Ziel des Projekts „DIANA-Summ“ (DIalog ANAphors and Summarization) ist es, die automatische Erzeugung von Gesprächsprotokollen zu ermöglichen. Das Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.

Die EML Research gGmbH kooperiert eng mit nationalen und internationalen Partnern. Beispielhaft dafür ist das erste deutsche Zentrum für Modellierung und Simulation in den Biowissenschaften (BIOMS), das in Heidelberg gegründet wurde. EML Research ist einer der Partner des Zentrums, neben dem Deutschen Krebsforschungszentrum, dem EMBL (European Molecular Biology Laboratory), dem Max-Planck-Institut für Medizinische Forschung und der Universität Heidelberg.

Mit 2,5 Millionen Euro finanziert die Klaus Tschira Stiftung ein Drittel des Zentrums, ein weiteres Drittel steuert das Land Baden-Württemberg bei. Die restlichen Mittel erbringen die Universität und beteiligte Forschungsinstitute. Das Projekt dient ausschließlich zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlern in der Spitzenforschung.

Media Contact

Dr. Peter Saueressig idw

Weitere Informationen:

http://www.eml-research.de

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