Gesprächsprotokolle auf Knopfdruck?

Heidelberger Forschungsinstitut EML Research arbeitet an System zur automatischen Zusammenfassung gesprochener Dialoge – Ziel: Protokolle auf Knopfdruck – Weitere Anwendung: verbesserte Archivierung von Hörfunksendungen


Täglich finden unzählige Besprechungen, Verhandlungen und Diskussionen statt. Oft schreibt einer der Teilnehmer fleißig Notizen, um später ein Protokoll anzufertigen – eine meist ungeliebte Aufgabe. Wie schön wäre es, ein prägnantes und aussagekräftiges Protokoll auf Knopfdruck zu erhalten! Computerlinguisten des Heidelberger Forschungsinstituts EML Research arbeiten daran, diese Vorstellung in die Tat umzusetzen: Sie wollen mit intelligenter Software gesprochene Dialoge automatisch zusammenfassen. Ziel des neuen Projekts „DIANA-Summ“ (DIalog ANAphors and Summarization) ist es, die automatische Erzeugung von Gesprächsprotokollen zu ermöglichen. Denkbare zukünftige Anwendungen wären zum Beispiel Ergebnisprotokolle von Sitzungen oder auch Zusammenfassungen von Hörfunkbeiträgen, die helfen können, Sendungen aus den Archiven schnell wiederzufinden. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert „DIANA-Summ“ für zwei Jahre. Die Projektleitung hat der Sprachwissenschaftler Dr. Michael Strube, Leiter der Forschungsgruppe Natural Language Processing bei EML Research.

Die automatische Zusammenfassung von Texten wird schon seit fast fünfzig Jahren erforscht. Die vorherrschende Methode basiert auf einfachen statistischen Verfahren: Sie berechnet die Summe der Wichtigkeit aller Wörter in einem Satz, zieht die Sätze mit der höchsten Summe heraus und fasst den Text dadurch zusammen. Die computerlinguistische Forschung hat diese Methode mittlerweile verfeinert, nicht aber grundsätzlich geändert.

Gesprochene Sprache hat jedoch ihre eigenen Gesetze. Wir sprechen ohne Punkt und Komma. Wenn wir die Aufzeichnung eines unserer eigenen Gespräche hören, stellen wir schnell fest, dass wir uns häufig selbst und gegenseitig unterbrechen, dass wir Sätze nicht vollständig aussprechen, dass wir uns selbst korrigieren, Wiederholungen einfügen oder Denkpausen mit „Ähs“ füllen. Um Gespräche mit computerlinguistischen Methoden sinnvoll weiterzuverarbeiten, müssen all diese Störphänomene zunächst erkannt und gegebenenfalls entfernt werden. Erst dann können herkömmliche Verfahren zur automatischen Textzusammenfassung auch auf Gespräche angewendet werden.

Außerdem werden in Dialogen Verweiswörter, sogenannte Anaphern, viel häufiger als in Texten verwendet, zum Beispiel Personalpronomen wie „es“, „sie“ und „er“, oder Demonstrativpronomen wie „diese“ und „das“. Während solche Ausdrücke in Texten vorwiegend dazu verwendet werden, um auf konkrete Dinge zu verweisen, gibt es in Dialogen viele Pronomen, die sich auf abstrakte Dinge beziehen, etwa auf Tatsachen („Das glaube ich nicht.“) oder auf Äußerungen im Dialog selbst („Können Sie das noch einmal wiederholen?“). Ohne die verschiedenen Arten von Pronomen voneinander zu unterscheiden und aufzulösen, können Gespräche nicht sinnvoll zusammengefasst werden, so die These der Wissenschaftler von EML Research. Mit Pronomen tun sich sprachverstehende Computersysteme aber sehr schwer, weil ihnen das Wissen um den Gesamtzusammenhang fehlt, in dem die Aussage steht. Ein Ziel der Forschung ist es deshalb, dass der Computer lernt, die Pronomen in den Kontext einzuordnen. Wie auch bei der automatischen Zusammenfassung wenden die EML Research-Wissenschaftler hierfür quantitative oder statistische Verfahren an, die Muster in der Sprache erkennen. Der Vorteil dieser Methode liegt darin, dass sie unabhängig von einem eng begrenzten Thema auf ganz unterschiedliche Gespräche angewendet werden kann. Der Computer muss nur mit möglichst vielen Gesprächen „gefüttert“ und so „trainiert“ werden.

Gegenwärtige Spracherkennungssysteme sind indes noch nicht so weit entwickelt, dass der Computer mit spontanen Äußerungen zu beliebigen Themen „gefüttert“ werden kann, die in alltäglichen Diskussionen vorkommen. Deshalb arbeiten die EML Research-Wissenschaftler mit einer Aufzeichnung von 72 Stunden gesprochener Dialoge, die das International Computer Science Institute (ICSI) in Berkeley, USA, aufgebaut hat. Die Gespräche sind bereits verschriftlicht. Damit der Computer aus ihnen lernen kann, müssen sie von Hand mit linguistischen und anderen Informationen angereichert, das heißt annotiert werden. Die annotierten Texte fließen wieder zurück in das ICSI Meeting-Corpus und stehen damit auch anderen Computerlinguisten zur Verfügung. Mit den annotierten Texten wird der Computer dann „trainiert“. Als Abschluss des Projekts „DIANA-Summ“ ist die Entwicklung einer Komponente geplant, die mit Hilfe eines Spracherkenners die Verschriftlichung der Gespräche selbst durchführt.

Dadurch könnte das System vollständig automatisch Protokolle erstellen. Beim gegenwärtigen Stand der Technik wird es aber wohl noch einige Jahre dauern, bis ein solches System reibungslos arbeiten kann.

Die EML Research gGmbH (www.eml-research.de) ist ein gemeinnütziges Forschungsinstitut für Grundlagenforschung in der angewandten Informatik. Ein Hauptschwerpunkt der Forschung liegt in der Computerlinguistik. Die Forscher arbeiten eng mit Universitäten zusammen. Die EML Research gGmbH wird von der Klaus Tschira Stiftung gGmbH (KTS) (www.kts.villa-bosch.de) gefördert. Forschungsprojekte des Instituts werden auch durch die Europäische Union, die Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt.

Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an:

Dr. Peter Saueressig
EML Research gGmbH
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Tel: +49-6221-533-245
Fax: +49-6221-533-198
peter.saueressig@eml-research.de

Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Michael Strube
Leiter der Forschungsgruppe Natural Language Processing
EML Research gGmbH
Tel: +49-6221-533-243
Fax: +49-6221-533-298

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Dr. Peter Saueressig idw

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