Virtuelles Simulationssystem "Virtual Fires" für verbesserten Brandschutz in Tunnelbauten

Virtuelle Testumgebung des Fraunhofer IGD ersetzt kostspielige und gefahrvolle Notfallübungen

Um an das ersehnte Ziel zu gelangen, müssen viele Autoreisende auch diesen Sommer lange Tunnelstrecken zurücklegen. Doch gewaltige Röhrenbauten zu durchqueren, wie den Gotthardtunnel in der Schweiz oder den Mont Blanc-Tunnel auf französischem Boden, weckt bei vielen Urlaubern angstvolle Erinnerungen: Zu nah sind die Bilder von den verheerenden Brandkatastrophen der letzten Jahre, die viele Todesopfer forderten.

Noch längst nicht alle Tunnelbauten genügen den Sicherheitsstandards etwa zu Brandschutz, Flucht- und Rettungswegen oder Notfallorganisation. Dies zeigt beispielsweise der neueste Testbericht 2003 des deutschen Automobilclubs ADAC, der 11 von insgesamt 25 geprüften europäischen Tunnel mit der Note „bedenklich“ bzw. „mangelhaft“ bewertete. Die negative Sicherheitsbilanz vieler Tunnelbauten resultiert u. a. aus den hochkomplexen technischen und personellen Maßnahmen, die im Falle einer Explosion oder eines Feuers in einer tiefliegenden Röhre einzuleiten sind. Um etwa die drohende, tödliche Rauchvergiftung von Fahrzeuginsassen zu verhindern, zählen bereits einzelne Sekunden. Hinzu kommt, dass für die erforderlichen Einsatzkräfte wie etwa die Feuerwehr spezifische Tunnelbrände – z. B. ausgelöst durch den Unfall zweier Fahrzeuge – unter realistischen Bedingungen kaum einzuüben sind.
Damit in Zukunft Tunnelbrände effektiv und schnell bekämpft werden können, entwickelten Forscher des Fraunhofer-Instituts für Graphische Datenverarbeitung IGD in Darmstadt eine neuartige virtuelle Testumgebung. Mit dem EU-Projekt „Virtual Fires“ unter Leitung von Prof. Dr. Gernot Beer von der Technischen Universität Graz ist es möglich, in einem dynamischen 3D-Szenario die gefährliche Feuer- und Rauchentwicklung einer unterirdischen Katastrophe darzustellen und damit die Wirkung von Brandschutzmaßnahmen zu überprüfen. Das spezifische Simulationssystem „Virtual Fires“ visualisiert dazu die komplexen Daten eines Brandes, wie Temperatur, Druckgefälle oder Rauchausbreitung. So lassen sich vielfältigste Szenarien – von dem entstehenden Feuer aus der achtlos weggeworfenen Zigarette bis hin zur Kollision zweier Gefahrguttransporter – risikolos durchspielen.

Unglücksfälle vorab realistisch zu beurteilen, ist für Rettungskräfte und Tunneloperatoren eine äußerst schwierige Aufgabe: Wieviel Zeit bleibt im Notfall um das verwüstende Flammenmeer zu löschen? Ab wann verhindert die rasante Rauchentwicklung den Betroffenen und Helfern jede Sicht? In welchem Abstand sind lebensrettende Sprinkleranlagen, Ventilatoren oder Lüftungsschächte sinnvoll zu installieren? Zu diesen und weiteren Fragen bietet „Virtual Fires“ wichtige Entscheidungshilfen. Denn die virtuelle Prüfumgebung berechnet z. B. die räumliche und zeitliche Ausbreitung des Feuers oder die toxischen Zonen des entstehenden Rauches. „Das kann Leben retten“, betont Dr. Volker Luckas, Leiter der Abteilung Animation und Bildkommunikation am Fraunhofer IGD: „Anhand der im virtuellen Tunnel erzeugten Strömungssimulation kann beispielsweise der gefährliche Luftsog berechnet werden, der ein Feuer in Sekundenschnelle zum Inferno anwachsen lässt“. Die immensen Datensätze für solche komplexen Simulationen bewältigen die Forscher durch ein neues Verfahren, das Rechenprozesse parallelisiert. „Dies ermöglicht dem Anwender, in dem interaktiven Szenario zum Beispiel gewöhnliche Fahrzeuge und Gefahrgut-Transporter variabel zu platzieren und live den Unglücksfall zu simulieren“, verdeutlicht Dr. Luckas. Ein weiterer Vorteil der Echtzeit-Demonstration: Sie funktioniert auf normalen PCs oder einem Laptop. So kann der Feuerwehreinsatzleiter sein Rettungsteam nach Wunsch kostengünstig und gefahrlos schulen – auf Wunsch sogar vor Ort. Eine großangelegte, konventionelle Übung ist nicht mehr nötig.

Von „Virtual Fires“ sollen künftig auch die Betreiber der Tunnel profitieren: Diese können mit Hilfe der neuen Prüfsoftware gefährliche Schwachstellen in der Röhre bereits in der Planungsphase aufspüren. Sie erfahren im Test, ob Sprinkleranlagen, Notfallschächte oder Rauchabzugssysteme im Ernstfall die gewünschte Wirkung erzielen. Ferner ist Virtual Fires auch als Entscheidungshilfe für den Normalbetrieb, z. B. in einer Industrieanlage, einzusetzen.

Das innovative Projekt wird von der Europäischen Union mit 1,5 Millionen Euro gefördert. Es startete in 2000 und hat eine Laufzeit von 3 Jahren. Das Konsortium von Virtual Fires bündelt die Kompetenzen von renommierten Unternehmen und Forschungspartnern aus 5 Ländern, darunter Tunnelbauer und -operatoren, Computerspezialisten sowie Feuerwehren.

Ansprechpartner

Dr. Volker Luckas
Fraunhofer IGD Darmstadt
Telefon: +49 (0) 6151 – 155-646
Fax: +49 (0) 6151 – 155-139
E-mail: luckas@igd.fraunhofer.de

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Bernad Lukacin idw

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