Deutsche arbeiten vier bis sechs Jahre in ihrem Betrieb

Institut Arbeit und Technik untersuchte Beschäftigungsstabilität in West- und Ostdeutschland


Deutsche Arbeitnehmer sind im Durchschnitt vier bis sechs Jahre in ihrem Betrieb beschäftigt, bis ihr Arbeitsverhältnis z. B. wegen Befristung der Stelle, Kündigung des Arbeitgebers oder auf eigenen Wunsch endet. In Westdeutschland ist die Beschäftigungsstabilität seit Mitte der 1980er Jahre leicht gestiegen und verharrt seit Beginn der 1990er Jahre auf relativ konstantem Niveau. In den neuen Ländern hat dagegen die Abwicklung alter DDR-Betriebe zu einem deutlichen Rückgang der Beschäftigungsstabilität insbesondere in der ersten Hälfte der 1990er Jahre geführt. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die zunehmende Beschäftigungsstabilität im Westen nicht mit einer zunehmenden Inflexibilität gleichgesetzt werden darf. Im internationalen Vergleich zeigt sich vielmehr, dass der deutsche Arbeitsmarkt viel beweglicher ist, als in der aktuellen Standortdebatte angenommen wird. Das geht aus dem soeben online erschienenen IAT-Report 2005-09 hervor, in dem Dr. Marcel Erlinghagen vom Institut Arbeit und Technik (IAT/Gelsenkirchen) die Beschäftigungsstabilität in West- und Ostdeutschland in den letzten 20 Jahren untersucht.

Nach einem kurzfristigen Rückgang der durchschnittlichen Beschäftigungsstabilität in den alten Bundesländern auf gut vier Jahre 1987 nahm die Dauer dann stetig zu, so dass zu Beginn des neuen Jahrtausends wieder eine durchschnittliche Betriebszugehörigkeit von mehr als sechs Jahren erreicht wurde. Die Entwicklung in den neuen Bundesländern spiegelt die dramatischen Auswirkungen der Transformation der DDR-Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft wider. Mit fortschreitender Privatisierung und „Abwicklung“ vieler Ost-Betriebe ging ein massiver Stellenabbau einher, der viele Menschen dazu zwang, sich neue Jobs zu suchen. Ausgehend von einer durchschnittlichen Betriebszugehörigkeitsdauer von mehr als 12 Jahren im Jahr 1991 schrumpfte die Beschäftigungsstabilität in den neuen Ländern dramatisch und erreichte im Jahr 1999 mit einem Wert unterhalb von vier Jahren ihren Tiefpunkt. Zumindest in den jüngeren Geburtsjahrgängen gleicht sich die Beschäftigungsstabilität in Ost und West inzwischen jedoch an.

Wie die Untersuchung weiter zeigt, verlassen Frauen in Schnitt nach vier bis sechs Jahren und Männer im Schnitt nach fünf bis acht Jahren ihren Betrieb. Mit dem Alter wächst die Betriebstreue: Während westdeutsche Arbeitnehmer über 40 Jahre nach durchschnittlich zwölf Jahren ihren Betrieb verlassen, beträgt die durchschnittliche abgeschlossene Betriebszugehörigkeitsdauer im Alter von 26 bis 40 Jahren etwa 3,5 und bei Beschäftigten bis zu einem Alter von 25 Jahren zirka zwei Jahre. In Ostdeutschland lässt sich bei jüngeren Beschäftigten bis 40 Jahre seit Mitte der 1990er Jahre kaum mehr ein Unterschied zu den westdeutschen Vergleichsgruppen feststellen. Die deutlich geringere Beschäftigungsstabilität von älteren Ostdeutschen ist dadurch zu erklären, dass gerade die Generation der über 40jährigen besonders vom Transformationsprozess betroffen war und die Abwicklung alter DDR-Betriebe eine deutliche Zäsur in ihren Erwerbsverläufen hinterlassen hat.

Während in der politischen Diskussion oft behauptet wird, der deutsche Arbeitsmarkt sei zu inflexibel und starr, stellt Dr. Erlinghagen im Vergleich mit Ländern wie Dänemark oder den USA, deren Arbeitsmärkte als gering reguliert und hochflexibel gelten, eine „überraschend hohe Beweglichkeit“ fest. So dauert in Dänemark die Betriebszugehörigkeit von Beschäftigten, die durch eigene Kündigung freiwillig ausscheiden, ca. 3,3 Jahre, also etwa so lange wie in Westdeutschland. Für die USA ergab sich bei der Berechnung, wie lange das längste Beschäftigungsverhältnis von 58- bis 62jährigen Männern gedauert hat, für 1998 sogar ein Durchschnittswert von 22 Jahren. Dass der deutsche Kündigungsschutz gelockert werden müsste, um den Arbeitsmarkt flexibler zu machen, ist daraus nicht zu schließen. „Vielmehr besteht die Funktion des Kündigungsschutzes in der Bereitstellung einer verlässlichen und transparenten `Entlassungsordnung?, die für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber Verlässlichkeit erzeugt“, so Erlinghagen. Weniger Schutzrechte würden nur dazu führen, dass die „freiwillige“ Mobilität von Arbeitnehmern abnimmt. „Letztlich fördert der Kündigungsschutz die Bewegung am Arbeitsmarkt eher als dass er sie bremst!“

IAT-Report 2005-09:
Marcel Erlinghagen: Wie lange dauert es, bis Beschäftigte ihren Betrieb verlassen? – Neue Ergebnisse zur Beschäftigungsstabilität in West- und Ostdeutschland

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Claudia Braczko idw

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