Jung, kriminell und dann?

Bremer Psychologin entwickelt einfaches Verfahren zur Beurteilung jugendlicher Straftäter


Abzocken auf dem Schulhof, Zerdeppern von Bushaltestellen, Raub und Prügeleien: Die Liste der von Jugendlichen begangenen Straftaten ließe sich beliebig fortführen. Früher oder später landen die jungen Straftäter im Knast und müssen „gesellschaftstauglich“ gemacht werden. Viele von ihnen sind jedoch schwer zugänglich und widerspenstig. Vor diesem Hintergrund hat Kerstin Lund, frisch promovierte Psychologin der Universität Bremen, ein neues und schnelles Verfahren zur Beurteilung straffälliger Jugendlicher entwickelt und getestet. Anhand von gegensätzlichen Eigenschaftspaaren sollen die Jugendlichen sich selbst, wie sie sind und wie sie gerne sein möchten, sowie Personen aus ihrem Umfeld einschätzen. Wie sehen sie zum Beispiel sich selbst: aggressiv oder ausgeglichen? Und wären sie lieber aggressiver oder ausgeglichener? Ist die eigene Mutter in ihren Augen eine lachende oder meckernde Person? Die Begriffspaare sind nicht von Psychologen vorgegeben, sondern selber von den straffälligen Jugendlichen in vorherigen Interviews zusammengestellt worden.

Der leicht verständliche Fragebogen ermöglicht auch Jugendlichen mit sprachlichen Defiziten, sich selbst und ihr soziales Umfeld durch einfaches Ankreuzen darzustellen. Sie werden ermutigt, mit Sachverständigen des Strafvollzugs ins Gespräch zu kommen und über ihr Leben zu erzählen. Vor Gericht kann der Test dazu genutzt werden, Aussagen über den Reifegrad der jungen Straffälligen zu treffen und Bezugspersonen in den Prozess einzubeziehen. Die Ergebnisse dienen auch der Entwicklung individueller Therapiemaßnahmen.

Dr. Kerstin Lund hat im Fachbereich Human- und Gesundheitswissenschaften der Universität Bremen bei Professor Frank Baumgärtel promoviert. Der Titel ihrer Dissertation lautet: „Die Repertory-Grid-Technik als standardisiertes diagnostisches Verfahren zur Erfassung des Selbst und des sozialen Umfelds von delinquenten Jugendlichen“. Mit der weiterentwickelten Analysemethode konnte die Psychologin bisherige Annahmen bestätigen: Jungen Straftäter gefallen sich in ihrer Rolle und signalisieren nur wenig Bereitschaft, ihr Verhalten zu ändern. Im Gegenteil: Sie möchten sogar noch aggressiver und dominanter werden. Andererseits sind Straffällige im Vergleich mit anderen Gleichaltrigen weniger abgenabelt und eigenständig. Sie orientieren sich stärker an Vorbildern; dies kann ein Boxer oder Rapper sein, der vertrauenswürdige Lehrer oder aber die dominante Mutter. Auffällig war auch, dass Eigenschaften, die den Intellekt und damit die Bildung reflektieren, für die kriminellen Jugendlichen keine Bedeutung haben.

Ein Manko der Lundschen Analyse-Technik ist allerdings die Beurteilung der Aggression: Die straffälligen Jugendlichen nehmen sich selbst als wenig aggressiv wahr. Sie beschreiben ihr Verhalten eher als Abwehrreaktion auf eine gewalttätige Umwelt. Eine Ausnahme bilden jedoch türkische und russische Straftäter: Aufgrund ihrer patriarchalisch geprägten Kultur stufen sie sich aggressiver ein als die deutschen Jugendlichen. Die Psychologin rät, straffällig gewordene Jugendliche verstärkt an Sport, vor allem Mannschaftssport, heranzuführen. So bekommen sie ein Zugehörigkeitsgefühl und lernen, sich an bestimmte Regeln zu halten, fair zu bleiben und Vorurteile gegenüber Mitmenschen abzubauen.

Weitere Informationen:

Universität Bremen
Fachbereich Human- und Gesundheitswissenschaften
Dr. Kerstin Lund
Tel.: 04202-910499
Email: kerlund@uni-bremen.de

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Angelika Rockel idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-bremen.de

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