Nicht nur das siebte Jahr hat’s in sich

Mehr als jedes vierte Ehepaar in Deutschland und Österreich trennt sich vor dem 15. Hochzeitstag. Zusammen mit Schweden liegen diese beiden Länder an der Spitze der Trennungsstatistik in Westeuropa.

Steigende Trennungsraten finden viel öffentliche Aufmerksamkeit. In der Diskussion darüber ist es unerlässlich, die tatsächlichen Entwicklungen zu kennen. Hierzu wertet Gunnar Andersson in seiner Studie „Dissolution of unions in Europe: a comparative overview“ Daten aus, die Ende der 80er-/Anfang der 90er-Jahre erhoben wurden. Abbildung 1 stellt den Anteil der Trennungen nach Ehejahren in ausgewählten Ländern dar. Spitzenreiter in der Europäischen Union (EU-15) waren dato Deutschland, Schweden und Österreich. Bis zum „verflixten 7. Jahr“ gingen bereits 14 bis 17 Prozent der Ehen in diesen Ländern auseinander. Verglichen mit den USA waren die Scheidungsraten in europäischen Ländern dennoch niedrig: 29 Prozent der USamerikanischen Ehepaare trennten sich innerhalb der ersten sieben Jahre.

Schaut man sich alle Lebensgemeinschaften (mit und ohne Trauschein) an, zeigen sich die höchsten Trennungsraten für die Länder, in denen die höchsten Scheidungsrisiken beobachtet werden. Erneut fällt auf, dass Ost- und Westdeutschland sowie Österreich etwa vergleichbare Werte aufweisen. Vergleicht man das Trennungsrisiko danach, ob das Paar sein Zusammenleben mit oder ohne Heirat begonnen hat, erweisen sich direkte Heiraten als deutlich stabiler. Dies trifft in allen untersuchten Ländern zu. In Deutschland und Österreich ist die Trennungsbereitschaft von Paaren, die ohne Trauschein zusammengezogen sind (unabhängig davon, ob sie später noch heirateten), doppelt so hoch wie die von Paaren, die beim Zusammenziehen gleich heirateten. So fanden sich von den Direktheiratern nach sieben Jahren noch etwa 85 Prozent zusammen. Hingegen erreichten das siebte Jahr im gemeinsamen Haushalt von den Paaren, die nicht sofort oder gar nicht heirateten, nur reichlich 60 Prozent.

Ein unverheiratetes Zusammenleben vor einer möglichen Hochzeit, das oft als „Ehe auf Probe“ angesehen wird, verhilft der Paarbeziehung also nicht zu (mehr) Stabilität. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass das unverheiratete Zusammenleben gewählt wird, weil es dem Paar leichter erscheint, im Zweifel die Verbindung zu lösen. Jedoch sinkt die Trennungsbereitschaft eines Paares,wenn es ein Kind hat (dies ist in allen Ländern der Fall).

Für die beiden Teile Deutschlands weisen die empirischen Befunde darauf hin, dass Trennungen von Paaren in Ostdeutschland bis Ende der 80er- Jahre etwa genauso häufig vorkamen wie in Westdeutschland. Diese Ähnlichkeit ist beachtenswert, da sich der allgemeine Kontext für das Familienleben in der DDR deutlich von dem in der Bundesrepublik unterschied. Zudem vermitteln andere Indikatoren für das Trennungsverhalten von Paaren, etwa die rohe Scheidungsziffer, den Eindruck, dass die Scheidungsraten in der DDR deutlich höher waren als die im Westen. Die neuen Berechnungen deuten darauf hin, dass rohe Kennziffern das Verhalten der Bevölkerung verzerrt darstellen. Dies liegt unter anderem daran, dass rohe Maßzahlen nicht die Zusammensetzung der Bevölkerung nach Alter und Familienstand berücksichtigen.

Insgesamt zeigen sich in Europa vielfältige Trennungsmuster. In Ländern, in denen nichteheliche Lebensgemeinschaften relativ häufig verbreitet sind, ist auch das Trennungsrisiko höher als in Ländern mit weniger nichtehelichen Gemeinschaften. Gründe für die Unterschiede zu finden ist Herausforderung für die Forschung. Gedacht sei an einen Wandel der Werte, der unter anderem aus einer geringen Rolle der religiösen Einflüsse resultiert. Gleichzeitig erhöht sich mit dem Streben nach Individualisierung und Selbstverwirklichung der Anspruch auf eine Partnerschaft von guter Qualität. Ist diese nicht gewährleistet, kann eine Trennung bzw. sogar ein Single-Dasein einer relativ unglücklichen Partnerschaft vorgezogen werden. Nicht zuletzt haben gesetzliche Rahmenbedingungen bzw. deren Änderungen Einfluss auf Trennungsmöglichkeiten und -verhalten von Ehepaaren.

Media Contact

Gunnar Andersson, Nadja Milewski Max-Planck-Gesellschaft

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