Lebensgestaltung junger Frauen in Deutschland

Woran orientieren sich junge Frauen im Alter zwischen 18 und 35? Unterscheiden sich ihre Lebensauffassungen in Ost- und Westdeutschland? Wie leben sie Parternschaften? Diesen und anderen Fragen geht die Soziologin Dr. Barbara Keddi in ihrer an der Freien Universität Berlin entstandenen Dissertation „Projekt Liebe. Lebensthemen und biografisches Handeln junger Frauen in Paarbeziehungen“ nach. In der Studie kommt Keddi zu dem Schluss, dass biografische Aspekte wie Familiengründung, Karriere oder Orientierungslosigkeit nicht nur den roten Faden im Leben der jungen Frauen und ihrer befragten Partner bilden, sondern auch Teil des „sozialen Kitts“ in Partnerschaften sind. Diese Lebensthemen bestimmen den Verlauf von Beziehungen und nehmen Einfluss auf Familiengründungen.

Frauen haben die klassische Geschlechterordnung erheblich durcheinander gebracht. „Wenn junge Frauen ihr Leben selbst zu gestalten beginnen, sind für sie vor allem die Lebensthemen von Bedeutung“, resümiert Barbara Keddi. Das Lebensthema, zum Beispiel „Familie“, „eigener Weg“, „Karriere“ oder „Suche nach Orientierung“ ist der rote Faden, um den herum einzelne Projekte konstruiert werden. „Diese sind anpassungsfähig, flexibel und oft modifikationsbedürftig“, so die Soziologin. Beim Lebensthema „eigener Weg“ steht die Entwicklung des Selbst im Vordergrund; vielfältige Projekte bestehen unter diesem grundlegenden Rahmen neben- und nacheinander. Junge Frauen mit dem Lebensthema „Suche nach Orientierung“ dagegen sind ständig damit beschäftigt, ihr Leben und die Anforderungen zu bewältigen. Aufgrund fehlender Ressourcen und Handlungskompetenzen können sie Projekte häufig nicht zum Abschluss bringen, und sind in der Gefahr, ein von außen dominiertes Leben zu führen. Ein überraschendes Ergebnis ist, dass junge Frauen in Westdeutschland und in Ostdeutschland die gleichen Lebensthemen haben. Unterschiede bestehen lediglich in der konkreten Umsetzung und Ausgestaltung. Unabhängig vom Lebensthema ist für junge ostdeutsche Frauen Berufstätigkeit sehr viel selbstverständlicher und bedeutsamer als für junge westdeutsche Frauen.

Partnerschaftliche Beziehungen sind für junge Frauen von zentraler Bedeutung – neben dem Aufbau eines eigenen Lebens und einer beruflichen Existenz. „Auf die Frage, wie sie am liebsten leben wollen, nannten fast alle das langfristige Zusammenleben in einer Beziehung als gewünschte Lebensform“, sagt Keddi und fährt fort: „Das war unabhängig davon, ob sie gegenwärtig einen Partner hatten oder nicht, unabhängig von der regionalen Herkunft, unabhängig davon, ob sie in Bayern oder Sachsen lebten und unabhängig von deren Bildungsniveau.“ Unverzichtbar sind Vertrauen, Akzeptanz und Offenheit sowie Verständnis und Treue. Lebensentwürfe sind in hohem Maße davon abhängig, in welchem Teil Deutschlands die jungen Frauen aufgewachsen sind.

Wie eine Partnerschaft gestaltet wird, hängt mit den Lebensthemen zusammen. Stimmen die Themen beider Partner überein, besitzt die Beziehung eine tragfähige Basis. „Der überwiegende Teil der Paare, die in dem Untersuchungszeitraum von sieben Jahren zusammen geblieben sind, hatte das gleiche Lebensthema“, so Keddi und folgert: „Es spricht einiges dafür, dass die individuellen Lebensthemen bereits vor der Partnerschaft bestanden und sich auch durch die Beziehung nicht veränderten.“ Auf der Basis der individuellen Lebensthemen wird die Beziehung konstruiert und über die Umsetzung einzelner Projekte verhandelt.

Setzen beide Partner dieselben Prioritäten und stimmen ihre Vorstellungen und Pläne grob überein, fällt es ihnen leichter, sich aufeinander einzulassen. Bei Partnerschaften mit unterschiedlichen Lebensthemen sind Konflikte vorprogrammiert. Die Diskrepanz in den Lebensthemen scheint unüberbrückbar. Nach der Trennung bleiben die Paare „fremde Fremde“, während es Paaren mit gleichem Lebensthema gelingen kann, „vertraute Fremde“ zu werden. Keddi glaubt, dass Streitgespräche und Aushandlungsprozesse nicht notwendigerweise eine Partnerschaft stabilisieren. „Gespräche sind vor allem dann fruchtbar, wenn eine Basis aus übereinstimmenden oder sich ergänzenden individuellen Lebensthemen besteht.“

Kommuniziert werde weniger, um ein gemeinsames Lebensthema zu konstruieren, sondern vor allem, um die individuellen Lebensthemen gegenseitig zu verstehen, sich ihrer zu vergewissern und auftretende Probleme und Alltagssituationen zu bewältigen. „Das bedeutet aber nicht“, so Keddi, „dass die Gespräche immer harmonisch ablaufen. Im Gegenteil, es zeigt sich, dass für eine lebendige Partnerschaft das offene Austragen von Konflikten wichtig ist.“ Bei den Paaren mit trennenden Lebensthemen treten häufig Scheinkonflikte auf, bei denen es um das Darstellen und Vergewissern der eigenen Position geht. Paare mit trennenden Lebensthemen kann es nicht gelingen, trotz intensiver Gespräche auf einen Nenner zu kommen.

Unterstützung erhalten junge Frauen von ihren Partnern vor allem, wenn das gleiche Lebensthema vorliegt oder sie ein ergänzendes Lebensthema, wie den „gemeinsamen Weg“, verfolgen. Die Form der Unterstützung variiert stark und hängt von den jeweiligen Themen ab. Doch auch wenn sich die Lebensthemen der jungen Frauen von denen ihrer Partner unterscheiden, können sie auf die aktive Unterstützung bei der Durchsetzung eigener und vom Leben des Partners unabhängiger Vorstellungen bauen. Das trifft vor allem auf Frauen mit dem Lebensthema „eigener Weg“, „Beruf“ oder „Doppelorientierung Familie und Beruf“ zu.

„Das Handeln junger Frauen innerhalb einer Beziehung und bei der Familiengründung lässt sich nicht in Formeln pressen wie Geschlecht, Herkunft, Region, soziale Rahmen, Bildung oder Lebensform“, sagt Keddi. Junge Frauen schlagen unter ähnlichen Bedingungen verschiedene Lebenswege ein und handeln biografisch in unterschiedlicher Weise. Die biografischen Gemeinsamkeiten zwischen Frauen mit einem Lebensthema sind größer als zwischen Frauen mit ähnlichen soziokulturellen Merkmalen. Eine Frau mit dem Lebensthema „Beruf“ muss kein Abitur haben und eine Frau mit dem Lebensthema „eigener Weg“ kann auf dem Land aufgewachsen sein. Nur das Lebensthema „Familie“ konzentriert sich in Bayern vor allem auf den ländlichen und kleinstädtischen Raum. Umgekehrt lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass „Familie“ das vorrangige Lebensthema aller Frauen auf dem Land ist, denn Frauen aus ländlichen Regionen sind bei allen Lebensthemen-Typen vertreten. Ebenso wenig stimmt, dass sächsische Frauen stringent einen doppelten Lebensentwurf verfolgen, der dem Leitbild der erwerbstätigen Mutter folgt, oder dass sie berufsorientiert sind.

Die einzelne Frau ist zwar Akteurin und Umsetzerin ihrer Projekte, in ihrer individuellen Lebensführung spiegeln sich aber Strukturen wider: die Geschlechterverhältnisse, das Angebot am Arbeitsmarkt, der Zugang zum Bildungswesen, die Verfügbarkeit von Kinderbetreuungsplätzen, die Möglichkeit, sich durch die Erwerbstätigkeit zu ernähren, die Wohnsituation, der Freundeskreis und vieles mehr. „Betrachtet man die Lebensgestaltung der jungen Frauen, zeigt sich, dass beispielsweise die sächsischen Frauen die Verbindung von Mutterschaft und Berufstätigkeit nach wie vor mit größerer Selbstverständlichkeit als bayerische Frauen leben“, sagt Keddi. Allerdings ließe sich die Berufstätigkeit mit Kind im Osten Deutschlands aufgrund der Infrastruktur (noch) leichter realisieren als in Bayern, und vielfach ließen die Erfordernisse des Arbeitsmarktes auch nur wenig Handlungsspielräume offen; ein Ausstieg auch auf Zeit sei häufig nicht realisierbar.

Literatur:
Barbara Keddi, Projekt Liebe. Lebensthemen und biografisches Handeln junger Frauen in Paarbeziehungen, DJI-Reihe „Gender“, Bd. 15, Opladen: Leske + Budrich, 2003, ISBN 3-8100-3548-3

Weitere Informationen erteilt: Dr. Barbara Keddi, Tel.: 089 – 62306-281, E-Mail: keddi@dji.de

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Weitere Informationen:

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