Riss das letzte Erdbeben den Meeresboden auf?

Riss im Meeresboden in 700 Metern Wassertiefe.<br>Foto: ROV-Team, IFM-GEOMAR<br>

Unter der Leitung von Dr. Peter Linke, Meeresbiologe am Leibniz-Institut für Meereswissenschaften (IFM-GEOMAR), untersuchten sie mit dem deutschen Forschungsschiff SONNE den chilenischen Kontinentalrand im Ostpazifik.

Möglicherweise entdeckten die Forscher auf der Fahrt, die im Rahmen des Kieler Sonderforschungsbereichs 574 „Fluide und Volatile in Subduktionszonen“ stattfand, auch Spuren des Erdbebens im Februar 2010.

Mit zwölf Containern voller technischer Ausrüstung sind die 27 Expeditions-Teilnehmer Ende September in Valparaiso (Chile) an Bord des deutschen Forschungsschiffes SONNE gegangen – mit umfangreichem Probenmaterial kehren sie jetzt aus der tektonisch überaus aktiven Region zurück. „Unsere Funde und Analysen helfen, das Subduktionssystem vor der chilenischen Küste genauer zu verstehen, wo die ozeanische Platte unter die kontinentale taucht und dabei zusammengeschoben und aufgeschmolzen wird“, erläutert Fahrtleiter Dr. Peter Linke. „Wir möchten die hier ablaufenden Prozesse und damit verbundene Gefahren in diesem Gebiet besser abschätzen. Damit sind wir jetzt einen ganzen Schritt weiter und können unsere Ergebnisse auch in einen globalen Kontext stellen.“

Mehr als 100 Kilo schwere Karbonatblöcke, gehoben mit einem videogesteuerten Großgreifer, dienen den Wissenschaftlern als geochemische Archive: Sie werden demnächst in den Kieler Laboren mit hochspezialisierten Massenspektrometern und Lasergeräten untersucht. Dabei erfahren die Geologen, wie aktiv die Mikroben im Boden waren und welche Mengen an Fluiden ausgetreten sind – etwa des gelösten Klimagases Methan oder des giftigen Schwefelwasserstoffs. „So können wir die Entwicklung über verschiedene geologische Zeiträume rekonstruieren“, erklärt Linke. „Diese Auswertungen werden allerdings von allen am längsten dauern.“

Sind diese Funde erst analysiert, ergibt sich ein wichtiger Vergleich zu den aktuellen Beobachtungen am Meeresboden. „Auf einem Tauchgang mit dem ROV Kiel 6000 haben wir in knapp eintausend Metern Tiefe eine geradezu beispielhafte Oase rund um eine Methan-Quelle genau angeschaut und gezielt Proben genommen“, so Linke. Er und seine Kollegen entdeckten Karbonate, die aus der Oxidation von Methan im Meeresboden entstehen, sowie Bakterienmatten, große und kleine Muscheln und Röhrenwürmer. Diese Organismen können sich in diesen extremen Lebensräumen behaupten, weil sie sich direkt oder indirekt von dem gelösten Methan oder Schwefelwasserstoff ernähren.

Besonderes Interesse galt auch einem Walskelett, das nach Schätzungen der Biologen bereits mindestens 60 Jahre in der Tiefe schlummert. „Rund um die fettreichen Knochen leben ähnliche Organismen wie an den Fluidaustritten“, erklärt Linke. „Die Wissenschaft fragt sich seit längerem, wie diese spezialisierten Lebewesen von einer Austrittsstelle zur anderen gelangen. Solche Skelette könnten ihre Brücke sein.“

Ein ROV-Tauchgang nordwestlich von Concepción illustrierte, wie schnell sich die Existenzgrundlage dieser Lebensgemeinschaften ändern kann: In 700 Metern Tiefe entdeckten die Forscher ausgedehnte Felder aus toten Muscheln, lange Risse, tellerförmige Senken und Abbruchkanten. Das Wasser enthielt dort weitaus mehr Methan und Schwefelwasserstoff als in anderen Regionen – und mehr, als die Muscheln verarbeiten konnten. „Seit wann es an dieser Stelle schon so aussieht und was genau passiert ist, werden unsere Auswertungen zeigen“, stellt Linke klar. „Aber mit einigen Kollegen diskutieren wir bereits, ob es sich hierbei um sehr junge Veränderungen handelt, die mit dem Erdbeben im Februar diesen Jahres in Verbindung stehen. Sicher sind wir zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht.“

Meerwasseranalysen zeigten, dass die Methanmengen, die aus den Rissen und Senken aufsteigen, ausreichen, um in die Atmosphäre zu gelangen. Linke: „Dieser Fund war zwar einer der wenigen Punkte, an denen wir selbst so hohe Konzentrationen dieses Treibhausgases gemessen haben. Wir wissen aber von unseren chilenischen Kollegen, dass es viele solcher Quellen gibt – sogar in nächster Nähe zum Land.“ Methan, das in großen Mengen gasförmig aus dem Meeresgrund entweicht, wird nicht von den biologischen Lebensgemeinschaften aufgenommen. So steigt es zur Wasseroberfläche und von dort in die Atmosphäre auf und kann das Klima beeinflussen.

Einen weiteren Beleg für den Stoffkreislauf am chilenischen Kontinentalrand liefern die sechs und zwölf Meter langen Sedimentkerne, die die Wissenschaftler aus dem Meeresboden ziehen konnten. Die Kerne enthalten deutlich sichtbare Asche-Ablagerungen von Vulkanausbrüchen. „Es muss sich dabei um sehr massive Eruptionen gehandelt haben“, folgert Linke. „Denn normalerweise wird die Asche mit den vorherrschenden Westwinden Richtung Osten aufs Festland getragen. Nur eine große Explosion kann Asche Richtung Westen aufs Meer transportieren.“ Wie häufig solche gigantischen Ausbrüche bisher vorkamen, wann sie stattgefunden haben, welcher Vulkan die Quelle war und welche Rolle vulkanische Aschen im Stoffkreislauf der Subduktionszone haben, werden ebenfalls die Laboranalysen zeigen. „Derartige Aschelagen können auch als Rutschbahnen für Sedimente am Kontinentalhang dienen. Rutschungen und Tsunamis könnten die Folge sein“, berichtet Linke. „Ob aktuell Gefahr besteht, diskutieren die Geologen derzeit mit Kollegen aus Chile und anderen Ländern.“

Neben umfangreichen neuen Erkenntnissen und zahlreichen Proben nehmen die Forscher auch einen echten Rekord mit nach Hause: Der Tauchroboter ROV Kiel 6000 erreichte bei einem Test erstmals seine maximal zulässige Tiefe von 6000 Metern. „Das war ein großer technischer Erfolg und ein Zeichen, wie hervorragend das Team inzwischen mit dem Gerät agieren kann“, lobt Linke.

Hintergrundinformationen:
Der Sonderforschungsbereich 574 „Fluide und Volatile in Subduktionszonen: Klima-Rückkopplungen und Auslösemechanismen von Naturkatastrophen“, der im Jahr 2001 an der Christian-Albrechts Universität zu Kiel und dem IFM-GEOMAR eingerichtet wurde, hat zum Ziel, die Prozesse beim Abtauchen von Erdplatten besser zu verstehen und zu quantifizieren, um auf dieser Basis bessere Risikoabschätzungen für die damit verbundenen Naturgefahren sowie den Einfluss auf unser Klima zu ermöglichen. Der SFB wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert und ist in seiner dritten Phase bis 2012 bewilligt.

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Dr. Andreas Villwock idw

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