Das Ökosystem im Meeresboden

In der kommenden Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature (21. August) präsentiert ein bremisch-japanisches Forscherteam neue Erkenntnisse zum mikrobiellen Leben in den Tiefen des Meeresbodens. Demnach existieren dort – umgerechnet in Kohlenstoff – etwa 90 Milliarden Tonnen lebende Materie; zumeist in Form von Archaeen.

Das entspricht etwa der Biomasse aller tropischer Regenwälder weltweit! Die bremisch-japanische Studie wird von einem längeren Kommentar der Harvard-Professorin Ann Pearson in der gleichen Nature-Ausgabe flankiert. Die Geochemikerin ordnet das ihrer Meinung nach „faszinierende neue Bild vom Leben im Meeresboden“ historisch ein und weist zugleich auf offene Fragen hin. Zum Beispiel erörtert sie, warum es so schwierig ist, mikrobielles Leben im tiefen Untergrund zu erfassen.

Seit der legendären Expedition des britischen Forschungsschiffs CHALLENGER vor gut 130 Jahren ist bekannt, dass Leben am Meeresboden existiert. Auf erste Anzeichen für mikrobielles Leben im Meeresboden stießen Wissenschaftler laut Prof. Pearson erst ab 1959. Danach dauerte es noch einmal 35 Jahre, ehe 1994 erstmals Mikroben in den Ablagerungen des pazifischen Ozeans beschrieben wurden. Damit war die Wissenschaft von der „tiefen Biosphäre“ geboren, die seitdem einen rasanten Aufschwung genommen hat.

Die in der aktuellen Nature-Studie untersuchten Sedimentproben aus mehreren Hundert Metern Tiefe stammen aus dem Atlantik, dem Pazifik und dem Schwarzen Meer. Sie wurden u.a. im Rahmen des Integrierten Ozeanbohr-Programms IODP erbohrt. In der bereits kürzlich vorab online von Nature publizierten Arbeit legt das Team um Dr. Julius Lipp und Prof. Kai-Uwe Hinrichs dar, dass, anders als bislang angenommen, nicht Bakterien sondern Archaeen das Leben das Ökosystem der tiefen Biosphäre dominieren. „Vermutlich, weil sie besser mit den extremen Bedingungen dort – hoher Druck, kein Sauerstoff, geringes Nährstoffangebot – zurecht kommen“, sagt Prof. Hinrichs.

Archaeen bilden neben Bakterien eine von drei Grundkategorien, in die Lebewesen eingeteilt werden. Unterschieden werden die drei Gruppen u.a. an Hand von fettartigen Zellwandbausteinen, den so genannten Lipiden, nach denen das Team in den Meeresablagerungen suchte.

Aktuelle Schätzungen, wie viel mikrobielle Biomasse weltweit im Meeresboden vorhanden ist, schwanken zwischen 60 und 300 Milliarden Tonnen Kohlenstoff. „Auf der Grundlage unserer auf unabhängigen Messungen resultierenden Abschätzungen kommen wir auf rund 90 Milliarden Tonnen Kohlenstoff; ein Betrag, der genau in diesem Bereich liegt“, sagt Prof. Kai-Uwe Hinrichs, Leiter der Arbeitsgruppe Organische Geochemie im Bremer Fachbereich Geowissenschaften und MARUM.

Harvard-Professorin Ann Pearson weist darauf hin, dass beinahe jeder Studie der noch jungen Wissenschaft von der tiefen Biosphäre unterschiedliche Methoden zugrunde liegen. Dies wirke sich auf die Befunde aus. So sei nicht immer klar definiert, welche Zellen als lebend oder nicht lebend gezählt werden sollten. Dies erkläre die höchst unterschiedlichen Mengenangaben von Archaeen und Bakterien wenigstens zum Teil.

Weil die Analysemethoden stark schwanken, hat Prof. Hinrichs ein internationales Ring-Experiment initiiert. Wissenschaftler in deutschen, europäischen, US-amerikanischen und japanischen Labors untersuchen derzeit einheitliches Probenmaterial aus dem Meeresboden mit unterschiedlichen Methoden. Zudem wollen sie herausfinden, ob gleiche Methoden in unterschiedlichen Labors möglicherweise zu abweichenden Ergebnissen führen. Ziel ist es, ein verlässlicheres Bild vom Leben in der tiefen Biosphäre zu gewinnen. Auf einem Workshop, der im kommenden September am Bremer MARUM stattfindet, werden die Befunde vorgestellt und diskutiert. „Damit bringen wir vermutlich ein bisschen mehr Licht in das Dunkel der tiefen Biosphäre“, hofft Prof. Kai-Uwe Hinrichs.

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MARUM-Öffentlichkeitsarbeit
Tel. 0421 – 218-65541
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Prof. Kai-Uwe Hinrichs
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insbesondere im Hinblick auf den globalen Wandel.

Es erfasst die Wechselwirkungen zwischen geologischen und biologischen Prozessen im Meer und liefert Beiträge für eine nachhaltige Nutzung der Ozeane.

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