Freiberger Wissenschaftler bei der Vermessung des schiefen Turms von Bad Frankenhausen

Turm der Oberkirche in Bad Frankenhausen (c) Prof. Tobias Scheffler

Dr. Thomas Martienßen von der TU Bergakademie Freiberg vermisst den Turm in Zusammenarbeit mit der Hochschule Magdeburg-Stendal seit 18 Jahren. Aktuell konnten die Wissenschaftler feststellen, dass der Turm weiter in Bewegung ist. Auch die Schäden im Gemäuer haben zugenommen.

Jedes Jahr neigt sich der 56 Meter hohe Turm der Oberkirche ein Stück mehr. Im Jahr 2011 entkam er nur knapp dem Abriss. Dr. Thomas Martienßen vom Institut für Markscheidewesen und Geodäsie der TU Bergakademie Freiberg führt zusammen mit seinem Kollegen Prof. Tobias Scheffler vom Fachbereich Bauwesen der Hochschule Magdeburg-Stendal regelmäßig Überwachungsmessungen am Turm durch. Sie stehen aufgrund der extremen Schieflage des Turms auch unter einem Sicherheitsaspekt. Seit 2008 wird das Gebäude zusätzlich durch ein Terrestrisches Laserscanning (TLS) überwacht. Dadurch werden nun auch Deformationen an der Kirchturmmauer selbst sichtbar.

Auch in diesem Jahr waren Dr. Thomas Martienßen und Prof. Tobias Scheffler wieder zu einer geodätischen Überwachungsmessung vor Ort. Die Ergebnisse zeigen: Der Turm ist weiter in Bewegung. Er weist aktuell an seiner Spitze eine Auslenkung von 4,54 Metern aus der Lotrechten auf. Die Bewegung der Kirchturmkugel hat sich in der letzten Messepoche aus nordöstlicher in nördliche Richtung verändert. In den vergangenen zwei Jahren hat sie sich um etwa 4,2 Zentimeter verschoben. Da drängt sich schnell die Frage auf: Ist der Turm der Oberkirche noch sicher? „Mittelfristig gesehen, also für die nächsten zwei bis drei Jahre, vielleicht. Eine sichere Prognose aus heutiger Sicht ist aufgrund der natürlichen Auslaugungsvorgänge im Untergrund kaum möglich“, resümiert Dr. Thomas Martienßen.

Zur Schiefstellung sind nun auch schwerwiegende Schäden im Gemäuer hinzugekommen. „Wir haben festgestellt, dass sich der Turm auch vom Gebäude her verändert. Das Mauerwerk ist zunehmend deformiert. Da brechen Steine heraus und es hat sich bereits eine Beule gebildet“, erklärt Dr. Thomas Martienßen. Diese Ausbeulung der Mauer ist an der Südseite des Kirchturms in mittlerer Höhe klar erkennbar. Die Beule hatte sich bereits im Zeitraum von 2008 bis 2012 um circa fünf bis sechs Zentimeter vergrößert. In diesem Jahr sind noch einmal drei Zentimeter hinzugekommen.

Die neuen Ausbeulungen konnten mithilfe der Terrestrischen Laserscannertechnik erfasst werden. Die Vorgabe eine Abtastrate sorgt für eine hinreichend dichte Erfassung der Oberflächen einzelner Gebäudeteile aus sicherer Entfernung zum Scanner. So lässt sich flächenhaft, berührungslos und schnell ein Bild der Oberfläche des Kirchturms zeichnen – mit all seinen Deformationen. Mit klassischen Überwachungsmethoden wären diese Schäden im Gemäuer so nicht quantifizierbar.

Die Schieflage des Turms ist durch den Untergrund bedingt, auf dem er steht. Denn tief im Untergrund löst Wasser das Gips- und Salzgestein langsam auf. Bodensenkungen sind die Folge. Das Problem ist schon lange bekannt, doch alle Unternehmungen, die Neigung des Turmes zu stoppen, hatten bislang nur wenig Erfolg. „Sie konnten den Prozess allenfalls verlangsamen“, meint Dr. Thomas Martienßen.

Dr. Thomas Martienßen ist Mitarbeiter am Institut für Markscheidewesen und Geodäsie. Der Diplom-Studiengang „Markscheidewesen und Angewandte Geodäsie“ ist als eigenständiger Studiengang einmalig in Deutschland. Das Markscheidewesen ist eine Ingenieurdisziplin.

Zu den Aufgaben des Markscheiders gehören die Erfassung, Auswertung, Modellierung und Darstellung von Objekten im Bereich des Bergbaus. Sie kommen heute etwa bei der Exploration neuer Lagerstätten oder bei der Schadensminimierung im Bergbau zum Einsatz. Geodäsie ist die Wissenschaft und Lehre von der Ausmessung und Abbildung der Erdoberfläche. Sie bildet die Basis jeder Koordinatenbestimmung auf und in der Erde sowie im erdnahen Raum.

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