Fressen und gefressen werden in einem urzeitlichen See – einmalige Einblicke in eine 290 Millionen Jahre alte Nahrungskette

In der Gesteinsplatte aus dem Perm von Lebach (Saarland) ist das Skelett des kleinen Hais eingeprägt, der zwei Amphibienlarven als Nahrungsreste in seinem Magen konserviert hat. Eines dieser Amphibien fraß vor seinem Tod noch einen Knochenfisch. Dieses Fossil stellt den ersten und ältesten direkten Nachweis einer drei Ebenen umfassenden Nahrungskette dar und dass Haie überhaupt Amphibien gefressen haben. Damit ist jenes Ökosystem bis zur heutigen Zeit das einzige der Erdgeschichte, aus dem diese Beutepräferenz bekannt ist.

Dieses konservierte lebhafte Räuber-Beute-Szenario spielte sich in dem so genannten „Humberg-See“ des Saar-Nahe-Beckens ab. Die Stachelhaie gelten als die ältesten Haie, die sich bereits vor etwa 300 Millionen Jahren an ausschließliche Süßwasserbedingungen angepasst hatten. Am Ende der Trias, vor etwa 200 Millionen Jahren verschwanden diese altertümlichen Haie und wurden durch die 'modernen' Haie ersetzt.

Heutige Seen stellen mehr oder weniger geschlossene Systeme dar, in die Haie nur sporadisch eindringen, sich dort aber nicht permanent aufhalten und vor allem nicht fortpflanzen können. Die einzige Ausnahme bilden einige Rochen, z.B. Stechrochen im Amazonas, die sich erst vor etwa 50 Millionen Jahren an ein Leben in Flüssen und Seen anpassten. Alle Lebewesen in einem Ökosystem stehen in Verbindung zueinander. Diese Abhängigkeiten können anhand von Nahrungsnetzen verdeutlicht werden. An der Basis einer solchen Nahrungskette stehen immer Produzenten, die sich selbst nicht von anderen Lebewesen ernähren, aber anderen Organismen, den Konsumenten, als Nahrung dienen. Im Allgemeinen sind in Seen vier so genannte 'trophische' Ebenen verwirklicht, wobei die erste die der Produzenten ist. Hierauf bauen sich hierarchisch drei Konsumentenebenen auf. Am Ende der Nahrungskette stehen in modernen Seen Krokodile oder räuberisch lebende Knochenfische, wie Hechte oder Forellenbarsche.

Der fossile Stachelhai aus dem Perm mit den fossilisierten Nahrungsresten ermöglicht erstmals einen direkten Einblick in die bisher älteste bekannte Nahrungskette, die Beziehungen von Wirbeltieren zu einer Zeit widerspiegelt, als weder moderne Knochenfische noch Krokodile existierten, aber Süßwasserhaie und große Amphibien aquatische Ökosysteme beherrschten.

Jürgen Kriwet und seine Co-Autoren verglichen die aus diesen Fossilien ableitbaren Informationen mit jenen über Nahrungsnetze und -ketten aus geologisch jüngeren Zeitabschnitten. Sie stellten fest, dass das Nahrungsnetz im letzten Entwicklungsstadium des „Humberg-Sees“ sehr komplex war und somit spätestens im unteren Perm stabile ökologische Bedingungen etabliert waren. Diese fossile Dreierkette verdeutlicht auch, dass sich die Räuber-Beute-Beziehungen in kontinentalen aquatischen Ökosystemen im Laufe der Zeit stark veränderten und dass makroevolutionäre Mechanismen eine wesentliche Rolle bei diesen Veränderungen spielten. Während im Paläozoikum Stachelhaie und Amphibien am Ende der Nahrungskette standen, verschwanden die Haie nach dem Aussterbeereignis an der Perm/Trias-Grenze weitestgehend und spielten in kontinentalen Ökosystemen keine Rolle mehr. Die entstandene ökologische Lücke wurde für weitere 50 Millionen Jahre von paläozoischen Amphibien ausgefüllt, bis auch diese am Ende des Mesozoikums von den aufkommenden Krokodilen verdrängt wurden. Die Nische der Stachelhaie wurde sukzessiv von den im Mesozoikum erstmals auftretenden modernen Knochenfischen (Teleosteer) besetzt. Die Ereignisse am Ende der Trias, die zum größten Aussterbeereignis in der Erdgeschichte führten, beeinflussten und veränderten somit auch die kontinentalen Ökosysteme nachhaltig.

Veröffentlicht in:
Jürgen Kriwet, Florian Witzmann, Stefanie Klug & Ulrich H.J. Heidtke
First direct evidence of a vertebrate three-level trophic chain in the fossil record
Proceedings of the Royal Society B: Biological Science
Online seit Dienstag, 30. Oktober 2007 (0.1098/rspb.2007.1170)
Kontakt:
Museum für Naturkunde der Humboldt-Universität zu Berlin,
Invalidenstrasse 43, 10115 Berlin
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Tel. +49 (0)30 – 2093 8820 Fax: +49 (0)30 – 2093 8868,
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