Ein besonderes Archiv der Erdgeschichte – DFG-Schwerpunktprogramm fördert Erforschung passiver Kontinentalränder

Was vor 150 Millionen Jahren begann, stellt die Geowissenschaften heute vor viele offene Fragen. In dem neuen Schwerpunktprogramm SAMPLE, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit sechs Millionen Euro für fünf Jahre gefördert wird, werden ab April 2008 rund 100 Forscher unter der Leitung des Instituts für Geophysik der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München jene ehemaligen Aufbruchzonen erkunden, die heute als passive Kontinentalränder bezeichnet werden. Mit ihren Untersuchungen wollen die Wissenschaftler besser verstehen, welche geodynamischen Prozesse über die Jahrmillionen das heutige Erscheinungsbild der passiven Kontinentalränder geprägt haben.

Passive Kontinentalränder liegen meist zwischen 150 und 200 Kilometer vor der Küste. Abgegrenzt werden sie durch Steilhänge, die in die Tiefen der Ozeane abtauchen. Während an den aktiven Kontinentalrändern die Erdplatten aufeinander stoßen und starker Vulkanismus und Erdbeben auftreten, geht es an den passiven Kontinentalrändern weitgehend ruhig zu. Hier gibt es keine Vulkane mehr, Erdbeben treten nur selten und in großen zeitlichen Abständen auf. Mit dem DFG-Schwerpunktprogramm SAMPLE (South Atlantic Margin Processes and Links with onshore Evolution) werden sich die Geowissenschaftler mit diesen passiven Kontinentalrändern der Erde beschäftigen. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf Südafrika.

„Passive Kontinentalränder sind ein hervorragendes Langzeitarchiv der Erdgeschichte“, erklärt Professor Hans-Peter Bunge. Er ist Leiter des Lehrstuhls für Geophysik der LMU und Sprecher des neuen Schwerpunktprogramms. Er beschäftigt sich vor allem mit der theoretischen Betrachtung von Konvektionsströmungen im Inneren der Erde. „Passive Kontinentalränder geben uns Auskunft darüber, wie die Kontinente vor rund 150 Millionen Jahren aufbrachen, welche Prozesse im Inneren der Erde dafür entscheidend waren und wie sich anschließend die neu entstandenen Becken und Hohlräume mit Sedimenten füllten“, erklärt Hans-Peter Bunge. „Zudem verraten uns diese Kontinentalränder, wie sich die Meeresströmungen über die Jahrmillionen veränderten und wie sich dadurch das globale Klima veränderte.“

Den Geowissenschaftlern kommt es vor allem auf die ganzheitliche Betrachtung der Entstehung und anschließenden Entwicklung der Kontinentalränder an. Die Forscher wollen Zusammenhänge herstellen zwischen dem Klima, den Hebungsraten der Kontinente, dem Sedimenteintrag in die Becken und der Rohstoffbildung. „Wir erkunden, wie die Prozesse im Erdmantel und die Dynamik an der Oberfläche zusammengewirkt haben, bis schließlich das heutige Erscheinungsbild zustande gekommen ist“, erklärt Hans-Peter Bunge. Dazu werden die Forscher vor allem die passiven Kontinentalränder im südlichen Atlantik unter die Lupe nehmen. „Hier gibt es nur eine ungewöhnlich kleine Übergangszone zwischen Kontinent und Tiefsee, also nur einen schmalen Schelfbereich“, erläutert er. Und noch eine Frage beschäftigt die Geowissenschaftler brennend: Heute ist das gesamte Südafrika ein Hochplateau, das rund einen Kilometer über dem Meeresspiegel liegt. „Wir wissen bis heute nicht, ob die Hebung schon vor 100 Millionen Jahren stattfand oder erst vor 20 Millionen Jahren“, sagt Hans-Peter Bunge. „Das wollen wir nun herausfinden.“

Ein weiteres Phänomen ist im südöstlichen Afrika bis heute nicht restlos aufgeklärt. Hier gibt es die auffälligste globale Anomalie beim Durchlauf von Erdbebenwellen. Durch diese Region laufen die seismischen Wellen deutlich langsamer als durch die Umgebung. „Die Erscheinung ist wahrscheinlich zurückzuführen auf eine schnelle Konvektion im Erdinneren und dadurch erhöhte Temperaturen im Mantel“, vermutet er. Auch dieser Anomalie wollen die Geowissenschaftler näher auf den Grund gehen. Neben den Fragen der geodynamischen Zusammenhänge nimmt das neue Schwerpunktprogramm einen wichtigen Stellenwert im Hinblick auf die zukünftige Exploration von Rohstoffen ein. Denn an den passiven Kontinentalrändern haben sich über die Jahrmillionen große Lagerstätten für Öl, Diamanten und Erze gebildet. „Wir wollen auch erkunden, unter welchen Bedingungen diese Vorkommen entstanden sind“, sagt Hans-Peter Bunge. Damit könnten die Wissenschaftler Parallelen aufzeigen, wo auf der Erde ähnliche Lagerstätten liegen.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Hans-Peter Bunge
Institut für Geophysik der LMU München
Tel.: 089 / 2180 – 4227
E-Mail: bunge@lmu.de

Media Contact

Luise Dirscherl idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-muenchen.de/

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