Prähistorische Erdbeben im Mittelland

Starke Erdbeben hinterlassen in der Natur gewöhnlich kaum nennenswerte Spuren. Eine Ausnahme bilden Seesedimente. Ereignet sich in der Nähe eines Sees ein starkes Erdbeben, können sich am Grund der Seen Sedimente lösen. Untersucht man diese Rutschungen heute im Detail, kann man vorgeschichtliche Erdbeben zeitlich genau einordnen.

Eine Gruppe von Wissenschaftlern des Geologischen Instituts und des Schweizerischen Erdbebendienstes der ETH Zürich hat nun im Zürichsee solche Sedimentablagerungen ausfindig gemacht. Wie die Forscher in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift „Geology“ schreiben, gelang es ihnen, mit Hilfe von seismischen Messungen und Radio-Karbon-Datierungen die Spuren von drei Ereignissen präzis zu lokalisieren und zu datieren. Demnach erschütterten vor 2200, 11'500 und 13'800 Jahren schwere Erdbeben die Region Zürichsee.

Zeitliche Übereinstimmung

In einer früheren Arbeit haben die Wissenschaftler auch im Vierwaldstättersee Seesedimente analysiert. Dabei konnten die Wissenschaftler Spuren von fünf schweren Erdbeben in der Innerschweiz nachweisen. Bemerkenswert ist nun, dass drei dieser Ereignisse zeitlich mit den Rutschungen im Zürichsee übereinstimmen. Da schwere Erdbeben in der Schweiz nur selten vorkommen, handelt es sich wohl um dieselben Ereignisse.

Auf der Basis historisch bekannter Erdbeben haben die Forscher die Stärke dieser drei prähistorischen Ereignisse rekonstruiert. Werden in einem See durch ein Erdbeben Rutschungen ausgelöst, dann erreicht das Beben ungefähr eine makroseismische Intensität der Stufe VII. Bei einem solchen Ereignis treten an Gebäuden deutlich sichtbare Schäden auf. Es muss sich also um ein vergleichbares Ereignisse wie das schwere Erdbeben, das im Jahre 1356 die Stadt Basel heimsuchte handeln. Dass nicht nur die Innerschweiz, sondern auch das Mittelland von so starken Erschütterungen heimgesucht wird, war bis anhin unbekannt.

Epizentrum noch unklar

Wo genau die drei prähistorischen Erdbeben ausgelöst wurden, ist noch nicht restlos geklärt. Geologisch gesehen ist es eher unwahrscheinlich, dass die Beben tatsächlich zwischen den beiden Seen verursacht wurden. Die Forscher gehen vielmehr davon aus, dass die Erschütterungen von einem Herd östlich des Vierwaldstättersees ausgingen. Das bedeutet allerdings, dass die Magnitude einen Wert von deutlich über 6,5 erreicht haben muss, da sonst im Zürichsee keine Rutschungen ausgelöst worden wären.

Mögliche Gefahr für die Region Zürichsee

Diese neuen Erkenntnisse sind wichtig für die Beurteilung der Erdbebengefährdung des Schweizer Mittellandes. Versicherungen stützen sich bei ihren Berechnungen auf Ereignisse mit einer Wiederkehrrate von höchstens 500 Jahren. Ereignisse mit einer grösseren Wiederkehrperiode – und dazu gehören die drei nun entdeckten Erdbeben – gelten als Restrisiko. Die neue Studie zeigt, dass für die Region Zürichsee dieses Restrisiko eine reale Grösse ist, die auch bei der Planung von kritischen Infrastrukturen beachtet werden muss.

Weitere Informationen
Michael Strasser Domenico Giardini
Geologisches Institut Swiss Seismological Service
Telefon+41 44 632 69 75Telefon +41 44 633 26 05
strasser@erdw.ethz.ch giardini@sed.ethz.ch
Literaturhinweis:
Strasser, M., et.al.: Magnitudes and source areas of large prehistoric northern Alpine earthquakes revealed by slope failures in lakes. Geology, Vol. 34, No 10, S. 1005-1008 (December 2006).

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Anke Poiger idw

Weitere Informationen:

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