Meteoriteneinschlag erweist sich als Glücksfall für die Polarforschung

Forscher erwarten drei Millionen Jahre lückenloser Klimageschichte in den Ablagerungen eines sibirischen Kratersees


Mit 1,5 Millionen US Dollar fördert das Internationale Kontinentale Tiefbohrprogramm (ICDP) Forschungsbohrungen zur Rekonstruktion der Klimageschichte im Sibirischen Elgygytgyn-Krater. Voruntersuchungen durch das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung lieferten einen wesentlichen Beitrag für den jetzt erfolgreichen Antrag zur Finanzierung von Teilen der Bohrkosten. Eingereicht wurde der Antrag von den Projektleitern aus Deutschland, Russland, Amerika und Österreich bei der internationalen Förderkommission des ICDP. „Ohne die Daten des Alfred-Wegener-Instituts zur Mächtigkeit der Ablagerungen im Elgygytgyn-Krater wäre dieser Antrag sicher nicht bewilligt worden“ erklärt Prof. Martin Melles, der deutsche Projektleiter von der Universität Leipzig. Das ICDP wird durch Beiträge aus derzeit 13 Mitgliedsländern finanziert, um globale geowissenschaftliche Fragestellungen an den dafür am besten geeigneten Orten zu untersuchen.

Tiefbohrungen im Klima-Archiv

Vor 3,6 Millionen Jahren schlug in Nordost-Sibirien ein großer Meteorit auf die Erdoberfläche. Der dadurch entstandener Krater von 18 Kilometern Durchmesser beherbergt heute einen 180 Meter tiefen See, den Elgygytgyn. „Vermutlich ist im Elgygytgyn die arktische Klimageschichte der letzten 3,6 Millionen Jahren lückenlos gespeichert, da die Ablagerungen des Sees während keiner der vergangenen Eiszeiten durch Gletscher abgeschürft wurden“, erläutert Dr. Frank Niessen, Geologe am Alfred-Wegener-Institut. „Dass wäre ein unglaublicher Glücksfall für die Polarforschung“. Seit dem Beginn der Vereisung der Nordhemisphäre vor ungefähr 2,5 Millionen Jahren ist die Region des Elgygytgyn-Sees sozusagen tiefgefroren, der Permafrostboden um den See reicht bis zu 600 Meter tief. Insgesamt sind drei bis zu 800 Meter tiefe Bohrungen geplant, von denen zwei im See durchgeführt werden. Die dritte Bohrung erfolgt im dauerhaft gefrorenen Boden in der Umgebung des Sees. „Unsere Permafrost-Untersuchungen im Umfeld des Sees waren Grundlage für diese weitere Bohrung im Rahmen des ICDP-Projekts“, meint Dr. Georg Schwamborn von der Forschungsstelle Potsdam des Alfred-Wegener-Instituts.

Aller Anfang ist schwer

Zwei Mal besuchte Frank Niessen zusammen mit Conrad Kopsch, Ingenieur an der Forschungsstelle Potsdam des Alfred-Wegener-Instituts, bisher den Elgygytgyn-See, um mit seismischen Methoden die Dicke und die Strukturen der Seesedimente zu untersuchen. „Auf den Ozeanen führt das Alfred-Wegener-Institut seismische Untersuchungen des Meeresbodens mit dem Forschungseisbrecher Polarstern durch und setzt dabei meist tonnenschwere Luftkanonen und kilometerlange Hydrophonketten ein“, erklärt Niessen. „Aber auf einem See in der sibirischen Tundra fernab jeglicher Zivilisation gibt es kein Schiff, und schwere Geräte können nicht genutzt werden. Wissenschaftlich betreten wir völliges Neuland. Das war eine besondere Herausforderung für uns“.

Die Vorarbeiten gestalteten sich alles andere als einfach. „Alles musste klein und tragbar sein. Als Forschungsboot haben wir eine Aluminiumplattform mit aufblasbaren Schwimmkörpern mitgenommen und die kleinsten seismischen Geräte zum Einsatz gebracht, die es weltweit gab“, berichtet Kopsch. Trotz viel versprechender Messergebnisse reichten die Daten nicht als Entscheidungsgrundlage für eine Tiefbohrung, da Ablagerungen ’nur’ bis in 200 Meter Tiefe unter dem Seeboden identifiziert werden konnten. „Die Energie und Aufnahmequalität der benutzten Geräte waren für diese unerwarteten Tiefen nicht ausreichend“, so Niessen.

Mit Mitteln des Alfred-Wegener-Instituts und finanzieller Beteiligung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung entwickelten die Polarforscher aus Bremerhaven und Potsdam eigene Geräte. Eine zweite Expedition zum Elgygytgyn im Rahmen der wissenschaftlichen Kooperation zwischen Russland und Deutschland brachte im Sommer 2003 dann den gewünschten Erfolg. Die neuen Daten lassen sogar eine von Ablagerungen überdeckte Aufwölbung im Felsuntergrund in einer Tiefe von 600 Metern erkennen, wie sie nur durch den Einschlag eines gewaltigen Projektils entstehen kann. „Jetzt waren wir sicher, dass der See durch einen Meteoriten entstanden ist und tatsächlich 3,6 Millionen Jahre Klimageschichte in den Ablagerungen gespeichert sein können“, beschreibt Dr. Catalina Gebhardt vom Alfred-Wegener-Institut die Freude bei der Auswertung der Ergebnisse.

Die Ergebnisse der jetzt genehmigten Bohrungen sollen eine bessere Einschätzung der heutigen Klimaveränderungen ermöglichen und tragen zur Verfeinerung computergestützter Klimamodellierungen bei.

Hinweise für Redaktionen:
Ihre Ansprechpartner sind Dr. Frank Niessen (Tel. 0471 / 4831-1216; E-Mail: fniessen@awi-bremerhaven.de) sowie Dr. Andreas Wohltmann in der Presse- und Öffentlichkeitsabteilung des Alfred-Wegener-Institutes (Tel. 0471 / 4831-1680; E-Mail: medien@awi-bremerhaven.de).

Das Alfred-Wegener-Institut forscht in der Arktis, Antarktis und den Ozeanen der gemäßigten sowie hohen Breiten. Es koordiniert die Polarforschung in Deutschland und stellt wichtige Infrastruktur wie den Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen in der Arktis und Antarktis für die internationale Wissenschaft zur Verfügung. Das Alfred-Wegener-Institut ist eines der fünfzehn Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands.

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Margarete Pauls idw

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