Tiefbohrungen im größten Meteoritenkrater der USA

Im Rahmen eines großen internationalen Forschungsprojekts führten amerikanische, deutsche und österreichische Wissenschafter Tiefbohrungen am Chesapeake Bay Krater an der Ostküste der Vereinigten Staaten durch. Der vor etwa 35 Millionen Jahren entstandene Einschlagskrater ist mit 85 Kilometer Durchmesser der größte der USA.

Christian Koeberl, Impactforscher der Universität Wien, und seine Kollegen haben in den letzten zwei Jahren intensiv an der Auswertung der Bohrkerne gearbeitet und publizieren nun erste Ergebnisse in der neuesten Ausgabe der Fachzeitschrift „Science“.

Der Chesapeake Bay Krater an der Ostküste der USA im Bundesstaat Virginia ist mit einem Durchmesser von 85 Kilometern der größte bisher bekannte Einschlagskrater in den Vereinigten Staaten. Der Krater entstand vor etwa 35 Millionen Jahren am Ende des Eozäns während eines gigantischen Impacts. An der Oberfläche ist der Krater nicht zu erkennen, denn er ist vollständig mit jüngeren Gesteinen verfüllt und verdeckt. Erste Strukturen des Kraters wurden durch geophysikalische Messungen und Bohrungen Anfang der 1990er Jahre entdeckt.

Kurz darauf begann Christian Koeberl vom Department für Lithosphärenforschung der Universität Wien seine Zusammenarbeit mit amerikanischen Kollegen. 1996 wiesen die Forscher nach, dass „geschockte“ Minerale vorhanden sind, und dass es sich daher tatsächlich um einen Einschlagskrater handelt. 2004 wurde ein großes internationales Projekt zu einer Tiefbohrung nahe des Zentrums des Chesapeake Bay Kraters durch das International Continental Scientific Drilling Program (ICDP) und die US Geological Survey mit einem Gesamtumfang von fast zwei Millionen Euro genehmigt. Projektleiter war Christian Koeberl zusammen mit drei Kollegen aus den USA bzw. Deutschland. Die Wissenschafter hatten bei den Bohrungen 2005/2006 Bohrkerne mit bis zu 1,8 km Gesamttiefe aus dem Krater geholt, die in der Folge analysiert wurden.

Rekonstruktion des Impacts liefert Details zur Kraterentstehung

Der Chesapeake Bay Krater ist für das Verständnis von Impactkratern und deren Entstehung aus mehreren Gründen von großer Bedeutung. Er entstand im flachen Kontinentalschelf bei nur wenigen hundert Metern Wassertiefe. Dadurch erhielt er eine sehr ungewöhnliche Form, die wie ein umgekehrter Sombrero aussieht. Solche Strukturen gibt es bei Einschlagskratern ganz selten. Innerhalb des Zentralbereichs des Kraters (etwa 35 bis 40 km im Durchmesser) finden sich Brekzien – eckige, zerrüttete Gesteine verschiedener Herkunft, die beim Impact chaotisch zusammengemischt wurden.

35 Millionen altes Salzwasser

In einer dieser Brekzie wurde Salzwasser gefunden, das seit 35 Millionen Jahren unverändert geblieben ist. Da in der Gegend des Kraters mehrere große Städte sind, in denen über zwei Millionen Menschen wohnen, ist diese Entdeckung für die Wasserversorgung der lokalen Bevölkerung von Interesse.

Ein Kilometer langer Granitblock durch die Luft gewirbelt

Eine weitere unterwartete Entdeckung war ein riesiger Granitblock mit mehreren hundert Metern Stärke und vermutlich über ein Kilometer Länge, der als Brocken zwischen den Impactgesteinen sitzt. Dieser Granitblock muss während des Einschlages innerhalb von Sekunden mindestens fünf Kilometer transportiert worden sein – ein Hinweis auf die enorme Energie, die bei solchen Einschlägen freiwerden.

Tsunami-artige Flutwellen spülen Gesteinsmassen vom Kraterrand in die Tiefe
Unterhalb der Impactbrekzien wurden Gesteine gefunden, die ebenfalls mehrere Kilometer sowohl vertikal als auch radial transportiert wurden. Unmittelbar nach dem Impact ist das Meer in Form gigantischer, Tsunami-artiger Flutwellen wieder in den Krater zurückgekehrt und hat dabei Material vom Kraterrand in die Kratertiefen gewaschen. Die Spuren dieses gewaltigen Prozesses haben die Forscher nun in den Bohrkernen entdeckt.

Nach dem Einschlag noch Leben in 1,8 km Tiefe

Die Untersuchung der im Laufe der 35 Millionen Jahre nach dem Einschlag im Krater abgelagerten Sedimentgesteine lassen auch Aussagen über die tektonische Entwicklung des Küstengebietes und sogar über die langfristigen Änderungen des Meeresspiegels zu. Letztlich haben biologische Untersuchungen an den Bohrkernen gezeigt, dass es nach dem Einschlag bestimmte Lebensformen sogar noch in den heißen Zonen des Kraters in 1,8 km Tiefe gab.

„Die jetzt veröffentlichten Ergebnisse sind nur der Anfang einer Reihe von detaillierten Untersuchungen, die uns noch viele Jahre beschäftigen werden. Aber bereits jetzt ist klar, dass die Tiefbohrung am Chesapeake Bay Krater, die auch durch den Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) unterstützt wurde, die Impactforschung einen großen Schritt voran gebracht hat“, ist sich Christian Koeberl sicher.

Weitere Information unter:
http://chesapeake.icdp-online.org/
http://www.icdp-online.org
http://www.univie.ac.at/geochemistry/koeberl/
http://lithosphere.univie.ac.at
Kontakt
Ao. Univ.-Prof. Dr. Christian Koeberl
Leiter des Departments für Lithosphärenforschung
Universität Wien
1090 Wien, Althanstraße 14 (UZA II)
T +43-1-4277-531 10
christian.koeberl@univie.ac.at
Rückfragehinweis
Mag. Veronika Schallhart
Öffentlichkeitsarbeit
Universität Wien
1010 Wien, Dr.-Karl-Lueger-Ring 1
T +43-1-4277-175 30
M +43-664-602 77-175 30
veronika.schallhart@univie.ac.at

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Weitere Informationen:

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