Computer (r)evolutioniert Baukunst

Neue Arten komplexer Tragwerke können nun erstmals mit einem einzigen Computerprogramm sowohl entworfen als auch berechnet werden. Das ermöglicht die neue Software „GENTs“, die im Rahmen eines Projekts des Wissenschaftsfonds FWF entwickelt wurde. Sie vereint erstmals evolutionäre Optimierungsmethoden mit computergestützten Berechnungswerkzeugen in einem intuitiven Tool für ArchitektInnen und IngenieurInnen.

Diese Kombination ermöglicht die Konzeption leichter, flexibler und ressourcenschonender Tragwerke aus irregulären Strukturen. Die innovativen Möglichkeiten der neuen Software überzeugten auch die Jury des österreichischen Bau-Preises, die ihr diese Auszeichnung in der Kategorie „Forschung und Entwicklung“ zuerkannte.

Stabtragwerke stützen architektonische Meisterleistungen. Ob Calatrava, Foster oder Coop Himmelb(l)au – wer in der Architekturwelt hoch hinaus will, konstruiert damit Dächer, Brücken oder Türme. Doch bisher musste die architektonische Kreativität dabei eingeschränkt werden. Denn es galt, je regelmäßiger das Tragwerk konstruiert wurde, desto stabiler wurde es. Damit ist nun Schluss: Mit der Software „GENTs“ können irreguläre Tragwerke entworfen werden, die sich durch hohe Stabilität und Effizienz auszeichnen. In einem FWF-Projekt wurde damit der Grundstein für neuartige Gestaltungsprozesse und -lösungen gelegt. Diese Aufbauleistung wurde mit dem österreichischen Bau-Preis 2011 offiziell gewürdigt.

DESIGN-(R)EVOLUTION
Durch seine innovative Kombination ermöglicht die Software „GENTs – Generic Exploration and Navigation Tool for Structures“ völlig neue Lösungsansätze im Tragwerksentwurf. „Damit können wir nun auch irreguläre Tragwerke berechnen und entwerfen, ohne an Tragwerkstypen und -schemata gebunden zu sein. Denn GENTs kombiniert einzelne Strukturelemente in zahlreichen Varianten, die wiederum selektiert, mutiert und rekombiniert werden, bis die effektivste Lösung gefunden ist. Dabei wird nur so viel Material eingerechnet, wie für eine stabile Realisierung nötig ist, und so können besonders leichte Tragwerke entstehen“, erklärt Projektleiter Prof. Klaus Bollinger vom Institut für Architektur an der Universität für Angewandte Kunst Wien. Wichtige Parameter, die das Programm bei seinen Berechnungen berücksichtigt, sind dabei Form, Position und Funktion jedes Elements der Tragwerk-Struktur.
KRÄFTE INTELLIGENT GENUTZT
Bisher wurde beim Entwurf von Stabtragwerken nur das Ableiten auftretender Kräfte durch Druck- und Zug berücksichtigt. Daraus ergab sich ein konventioneller Kanon verschiedener Fachwerktypologien, die allesamt auf Dreiecken als Grundeinheiten der Konstruktion basierten und denen damit eine hohe Regelmäßigkeit gemein war. Dank GENTs werden nun im Entwurfsprozess auch Biegemomente gemeinsam mit Druck- und Zugbelastungen berücksichtigt. Damit steht nicht mehr die vereinfachende Systematisierung am Anfang des Entwurfs, sondern die durchgehende Simulation der komplexen Zusammenwirkung der einzelnen Stabelemente erlaubt eine Erweiterung der zuvor auf dreieckige Grundeinheiten begrenzten Entwurfsmöglichkeiten. Die Funktionsweise dieser Strukturoptimierung wurde in umfangreichen Testreihen mit bis zu 2,5 Millionen verschiedenen berechneten Strukturen nachgewiesen. GENTs-generierte Tragwerke zeigten dabei die gleiche Tragkraft und Verformung wie traditionelle Tragwerke, obwohl sie mit bis zu 15 Prozent deutlich leichter als ihre altgediente „Konkurrenz“ waren.

Die Realisierung eines Entwurfs auf Basis dieser Optimierung lässt sich seit Kurzem bereits am Airail Center Frankfurt beobachten. Dort wird auf Grundlage eines GENTs-Entwurfs eine Brücke für eine Mini-Metro gebaut, bei der die rechnerischen Möglichkeiten zur Strukturoptimierung es erlaubten, das Aussehen und die Funktionsweise dynamisch zu gestalten. Die Anmutung des unregelmäßigen, wendigen Entwurfs unterstützt damit beim Durchfahren der Brücke die Bewegung der Bahn. „Dieser Entwurfsprozess“, betont Projektmitarbeiter DI Arne Hofmann, „war ohne die automatisierte Berechnung und Analyse, die GENTs bietet, nicht denkbar.“

Das im Rahmen eines FWF-Projekts entstandene Programm GENTs bedeutet insgesamt einen Brückenschlag zwischen der Arbeit von ArchitektInnen und TragwerksplanerInnen. Kein Wunder also, dass das Projektteam um Prof. Bollinger, DI Hofmann und DI Dr. Preisinger vor Kurzem mit dem österreichischen Bau-Preis für Forschung und Entwicklung ausgezeichnet wurde. Das Preisgeld von EUR 10.000 ist dabei vielleicht auch eine Anerkennung für die Bedeutung von Investitionen in Grundlagenforschung, die in diesem Fall durchaus dazu beitragen die Baukultur grundlegend zu verändern.

Wissenschaftlicher Kontakt:
DI Arne Hofmann
Universität für Angewandte Kunst Wien
Oskar Kokoschka-Platz 2
1010 Wien
T +43 / (0)1 / 955 54 54 14
E ahofmann@bollinger-grohmann-schneider.at
Der Wissenschaftsfonds FWF:
Mag. Stefan Bernhardt
Haus der Forschung
Sensengasse 1
1090 Wien
T +43 / (0)1 / 505 67 40 – 8111
E stefan.bernhardt@fwf.ac.at
W http://www.fwf.ac.at
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