Retten, was noch zu retten ist

Gegen den „Säurefraß in Büchern“: VolkswagenStiftung unterstützt derzeit mit 210.000 Euro die konzeptionellen Vorbereitungen für den Erhalt alter Buchbestände

Es war vor gut einem Jahr die Tragödie in Weimar, die aufrüttelte. Am 2. September brannte dort die Herzogin Anna Amalia-Bibliothek, Weltkulturerbe der UNESCO. Rund 50.000 Bücher wurden für immer vernichtet, 62.000 Bände durch Feuer und Löschwasser beschädigt. Am 2. September 2005 nun werden 70 Bibliotheken und Archive unter dem Patronat von Günter Grass mit der Aktion „Deutsche Tragödien“ auf die Verpflichtung hinweisen, das schriftliche Kulturerbe zu retten. Die VolkswagenStiftung ihrerseits hat vor gut einem Jahr der „Allianz zur Erhaltung des schriftlichen Kulturgutes“ 210.000 Euro zur „Erarbeitung einer nationalen operativen Strategie zur Bestandserhaltung des bedrohten schriftlichen Kulturguts“ bereitgestellt. Das Vorhaben steht unter der Leitung der Bayerischen Staatsbibliothek München, weitere elf große Bibliotheken und Archive in Deutschland sind zurzeit an diesem Initiativkreis beteiligt.

Es geht bei dem Projekt um eine Gesamtsicht auf die Probleme der Bestandserhaltung. Dabei sollen alle vor 1850 erschienenen Originale erhalten werden; bei Büchern und Dokumenten insbesondere der Zeit nach 1850 kann dies wirtschaftlich nur in einem abgestimmten kooperativen Konzept erfolgen. Warum gerade das Jahr 1850 als zeitliche Grenze? Damals begann die industrielle Herstellung von Papier. Diese brachte den Nachteil mit sich, dass bei der Produktion Substanzen von realem oder potenziellem Säurecharakter zurückbleiben – und das führt früher oder später zu einer Zersetzung des Papiers von innen her. Schätzungen zufolge sind davon allein in Deutschland 60 Millionen Bücher betroffen.

Da eine Erhaltung dieses Gesamtbestandes angesichts der dafür notwendigen Mittel unrealistisch erscheint, wird mit den Geldern der Stiftung derzeit ein Konzept erarbeitet, das Folgendes leistet: Zum einen gilt es die Frage zu beantworten, welche Prioritäten aus bibliotheks- und archivwissenschaftlicher Sicht zu setzen sind. Auch bedarf es einer „Best-practice-Analyse“ der zurzeit vorhandenen technischen Verfahren zur Entsäuerung, vor allem im Massenverfahren.

Die gedruckten Werke des deutschen Sprach- und Kulturraumes werden in Deutschland von fünf Bibliotheken, die sich mit einer Startförderung der VolkswagenStiftung von seinerzeit 25 Millionen Mark (knapp 13 Millionen Euro) bereits Ende der 1980er Jahre zur Arbeitsgemeinschaft Sammlung Deutscher Drucke zusammengeschlossen haben, arbeitsteilig gesammelt. Die Bestände Der Deutschen Bibliothek als zentraler Archivbibliothek beginnen erst mit ihrer Gründung 1913. „Daher müssen Strukturen der Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Bibliotheken und Archiven aufgebaut werden, damit in Zeiten knapper Kassen nicht an zwei Orten zugleich dasselbe Buch ’gerettet’ wird“, erläutert der Generalsekretär der VolkswagenStiftung Dr. Wilhelm Krull ein wesentliches Ziel der Förderung. Des Weiteren entwickelt eine Agentur für Kulturmarketing eine Strategie mit dem Ziel, die Öffentlichkeit für das Problem zu sensibilisieren – nicht zuletzt in dem Bewusstsein, dass für dieses langfristig angelegte Vorhaben möglichst umgehend weitere Finanzierungsquellen zu erschließen sind. „Es ist klar, dass bei einem Projekt dieses Ausmaßes die Mittel der öffentlichen Hand nicht ausreichend können“, sagt Krull. „Hier ist die Bürgergesellschaft gefordert, sich auch finanziell für die Bewahrung ihres kulturellen Erbes einzusetzen.“

Wie findet man nun jene Dokumente, die einer Rettung dringend bedürfen? Neben der Bedeutung des Inhalts und der Bedeutung für die Sammlung sollen sie bevorzugt nach der Häufigkeit ihrer Benutzung ausgewählt werden. Diese Priorisierung folgt der Erkenntnis, dass Schäden weniger auf das reine Alter eines Buches zurückzuführen sind als vielmehr auf das Ausmaß der Nutzung, also die mechanische Beanspruchung. So versucht man zu gewährleisten, dass zuerst die am meisten gefährdeten Originalbestände gesichert werden.

Als wesentliches Ziel des Vorhabens legt die VolkswagenStiftung Wert darauf, dass die entstehenden Sicherungsverfilmungen an alle öffentlichen wissenschaftlichen Bibliotheken und Archive in Deutschland zum gleichen Preis und möglichst kostengünstig abgegeben werden.

Zur VolkswagenStiftung:

Die VolkswagenStiftung ist eine gemeinnützige Stiftung privaten Rechts und fördert Wissenschaft und Technik in Forschung und Lehre; die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften ebenso wie die Natur- und Ingenieurwissenschaften und die Medizin. Sie ermöglicht Forschungsvorhaben in zukunftsträchtigen Gebieten und hilft wissenschaftlichen Institutionen bei der Verbesserung der strukturellen Voraussetzungen für ihre Arbeit. Besondere Aufmerksamkeit widmet sie dem wissenschaftlichen Nachwuchs sowie der Zusammenarbeit von Forschern über disziplinäre und staatliche Grenzen hinweg. Die Stiftung verfügt derzeit über ein Kapital von rund 2,3 Milliarden Euro, das sie so ertragreich und nachhaltig wie möglich anlegt. Sie ist wirtschaftlich autark und in ihren Entscheidungen autonom. In den 43 Jahren ihres Bestehens hat sie gut drei Milliarden Euro für rund 28.000 Projekte bewilligt; pro Jahr stellt sie bis zu 100 Millionen Euro für neue Vorhaben bereit. Das aktuelle Förderangebot und die in den einzelnen Förderinitiativen bewilligten Vorhaben sind zu finden im jetzt erschienenen Jahresbericht 2004 und unter www.volkswagenstiftung.de.

Die Stiftung hat wiederholt – wie eingangs beschrieben für die Sammlung Deutscher Drucke – Mittel für infrastrukturelle Vorhaben bereitgestellt, darunter auch 5,5 Millionen Euro für das Handbuch Historischer Buchbestände und knapp 17 Millionen Euro für die Initiative „Archive als Fundus der Forschung“.

Media Contact

Dr. Christian Jung idw

Weitere Informationen:

http://www.volkswagenstiftung.de/

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