Neuartige Behandlung verbessert Heilungschancen für Säuglinge und Kleinkinder mit Hirntumoren

Preis der Kind-Philipp-Stiftung geht an Mediziner aus Würzburg

Die Kind-Philipp-Stiftung für Leukämieforschung im Stifterverband verleiht ihren mit insgesamt 10.000 Euro dotierten Forschungspreis 2004 zu gleichen Teilen an Dr. med. Stefan Rutkowski und postum an Prof. Dr. med. Joachim Kühl, Klinik für Kinderheilkunde des Universitätsklinikums Würzburg. Stefan Rutkowski und seine Mitautoren konnten durch ein neuartiges chemotherapeutisches Behandlungskonzept die Heilungsaussichten für Kinder unter drei Jahren verbessern, die an einem Medulloblastom, dem häufigsten bösartigen Hirntumor des Kindes- und Jugendalters, erkrankt sind. Das erstmals erprobte Behandlungskonzept erlaubt den Verzicht auf eine Strahlentherapie. Hierdurch konnten bei Kindern dieser Altersgruppe Intelligenzdefizite und andere Spätfolgen der traditionellen Behandlungsmethode vermindert werden.

Joachim Kühl, der kürzlich verstarb, wird durch den Preis postum für seine hervorragenden Leistungen auf dem Gebiet der Erforschung der kindlichen Hirntumoren geehrt. Als Seniorautor betreute Kühl die Forschungsarbeit, für die Stefan Rutkowski als Erstautor mit dem Preis der Kind-Philipp-Stiftung ausgezeichnet wird.

Die Kind-Philipp-Stiftung für Leukämieforschung ist im Jahre 1972 von dem Textilmaschinenfabrikanten Dr.-Ing. Walter Reiners aus Mönchengladbach in Erinnerung an seinen an Leukämie verstorbenen Sohn errichtet worden. Der Zweck der Stiftung ist die Förderung der Leukämie- und Krebsforschung. Mit dem Kind-Philipp-Preis wird jährlich die beste Arbeit deutschsprachiger Autoren zur Erforschung von Leukämie und Krebs bei Kindern ausgezeichnet.

Die Preisverleihung findet am Freitag, dem 17. Juni 2005, um 16.45 Uhr im Kongresszentrum Liederhalle, Berliner Platz 1-3, Stuttgart, statt. Journalisten sind zur Teilnahme herzlich eingeladen.

Ergebnisse der Studie HIT-SKK’92:

Behandlung von Säuglingen und Kleinkindern mit Medulloblastom mittels alleiniger Chemotherapie
Dr. med. Stefan Rutkowski, Oberarzt der Universitäts-Kinderklinik Würzburg

Hintergrund: Das Medulloblastom ist der häufigste bösartige Hirntumor des Kindes- und Jugendalters. Bei älteren Kindern und Jugendlichen konnten die Behandlungsergebnisse durch Kombination bzw. Modifikation der Behandlungs-Elemente (Operation, Bestrahlung von Gehirn und Rückenmarkskanal, Chemotherapie) im Rahmen von Studien schritweise verbessert werden. So betragen die Überlebens- und Heilungsraten für Kinder im Alter von 3 – 18 Jahren nach Operation, Strahlentherapie (Gehirn und Rückenmark) und Chemotherapie derzeit 70 – 80 %. Für Kinder unter 3 Jahren waren die Heilungsaussichtungen mit 25 – 40 % deutlich ungünstiger, da sich Medulloblastome bei jüngeren Kindern aggressiver verhalten. Außerdem hatten die Pilotstudie HIT-SKK’87 und Studien in anderen Ländern gezeigt, dass sich eine Bestrahlung des noch unreifen Gehirns bei jungen Kindern ungünstig auf deren weitere Intelligenzentwicklung auswirkt und daher möglichst spät oder mit reduzierter Intensität erfolgen sollte. Ziel der Studie HIT-SKK’92 war es, Säuglinge und Kleinkinder mit einer effektiveren Chemotherapie zu behandeln und dadurch eine Bestrahlung ganz zu vermeiden. Neuartig war dabei die Einführung einer Chemotherapie, bei der ein Zellgift (Methotrexat) nicht nur über das Blut, sondern auch über eine spezielle Kapsel direkt in das Nervenwasser der Kinder verabreicht wurde (intraventrikuläre Chemotherapie). Die behandelten Kinder wurden durch altersangepasste neuropsychologische Untersuchungen auf ihre Intelligenzleistung und ihre motorischen und reaktiven Fähigkeiten hin untersucht, um Rückschlüsse auf die behandlungsbedingten Nebenwirkungen und Spätfolgen zu erhalten und mit anderen Behandlungsformen (vor allem mit Kindern, die in der Vorstudie HIT-SKK’87 bestrahlt wurden) zu vergleichen.

Ergebnisse: 43 Kinder unter 3 Jahren mit Medulloblastom wurden nach dem Studienprotokoll durch die Kombination von intravenöser und intraventrikulärer Chemotherapie behandelt. Bei 78 % der Kinder ohne Tumoraussaat (Metastasen) und ohne Resttumor nach der Operation ist auch 7 Jahre nach Ende der Behandlung kein Tumor nachweisbar. Von den Kindern mit sichtbarem Tumorrest nach der Operation sind 50 % ohne Tumornachweis rückfallsfrei geblieben. Dagegen ist es bei zwei Dritteln der Kinder, die schon zu Beginn der Erkrankung Metastasen hatten, zu einem Rückfall der Erkrankung gekommen. Von den Kindern, die nach der Chemotherapie einen Rückfall ihrer Erkrankung erlitten, konnten die Hälfte durch erneute Chemotherapie und/oder Bestrahlung erfolgreich behandelt werden. Zusätzlich konnte durch die feingewebliche Referenzbeurteilung aller Tumorpräparate eine als desmoplastisches Medulloblastom bezeichnete histologische Unterform als Faktor für ein vermindertes Rückfallrisiko identifiziert werden. Die neuropsychologischen Nachuntersuchungen erfolgten durchschnittlich 4 Jahre nach Ende der Behandlung. Intelligenz und Aufmerksamkeit waren im Vergleich zu gesunden Kindern vermindert. Diese Beeinträchtigungen waren aber deutlich geringer ausgeprägt als bei Kindern, die im Rahmen der Vorstudie auch eine Bestrahlung erhalten hatten. Bei allen untersuchten Kindern der Studie HIT-SKK’92 waren die geistigen Fähigkeiten für eine Regelschule ausreichend. Wenige Kinder besuchen aufgrund von nicht durch die Chemotherapie verursachten körperlichen Einschränkungen eine Körperbehindertenschule.

Schlussfolgerungen: Durch das neuartige chemotherapeutische Behandlungskonzept konnten die Heilungsaussichten für Kinder unter 3 Jahren mit Medulloblastom ohne Metastasierung auch im internationalen Vergleich verbessert werden. Die erfolgreiche Vermeidung einer Strahlentherapie führte bei Kindern in dieser Altersgruppe zu einer Verminderung von Intelligenzdefiziten und Spätfolgen und trug zu einer besseren Lebensqualität der überlebenden Kinder bei. Neu identifizierte Risikofaktoren können eine weitere Verbesserung der Ergebnisse in künftigen Studien ermöglichen.

Die Arbeit wurde im März 2005 in der renommierten Fachzeitschrift New England Journal of Medicine veröffentlicht.

1. Rutkowski S, Bode U, Deinlein F, et al. Treatment of early childhood medulloblastoma by postoperative chemotherapy alone. N Engl J Med 2005;352(10):978-86.

Media Contact

Michael Sonnabend idw

Weitere Informationen:

http://www.stifterverband.de/

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