Innovationspreis 2004 für System zur patientenindividuellen Therapie von neurologischen Erkrankungen

Die Ilmenauer Wissenschaftlerin Dr.-Ing. Galina Ivanova hat für Verfahren und Vorrichtungen zur Therapie von Patienten mit neurologischen und neuropsychologischen Erkrankungen den mit 12.500 Euro dotierten Innovationspreis 2004 der Stiftung Familie Klee erhalten.

Der Preis gilt als eine der renommiertesten Auszeichnungen auf dem Gebiet der Medizintechnik. Er geht jährlich an hervorragende Nachwuchswissenschaftler, Ingenieure oder Mediziner, deren Arbeit sich durch eine neuartige Kombination von medizinisch-biologischen und technisch-physikalischen Erkenntnissen an der Schnittstelle von Medizin und Technik auszeichnet.

Patientenindividuelle Therapie von neurologischen Krankheiten

Das von Dr. Ivanova und ihrer Forschergruppe entwickelte äußerst komplexe System zur Analyse und Selbstregulation unterschiedlicher Anteile der Hirnaktivität wie z.B. der so genannten langsamen Hirnpotenziale erlaubt erstmals eine ganz speziell auf den jeweiligen Patienten zugeschnittene und damit hoch effektive Therapie von Erkrankungen wie Epilepsie, Hyperaktivität und Migräne. Das System zielt insbesondere auf die Therapie von nicht oder nicht ausreichend medikamentös behandelbaren Patienten sowie von Patienten ab, bei denen erhebliche medikamentöse Nebenwirkungen auftreten. Im klinischen Test zeigte sich, dass signifikante Lernerfolge, auch bei erheblichen Wahrnehmungs- und kognitiven Beeinträchtigungen, erzielt werden konnten.

Das Konzept des Systems und insbesondere seine Flexibilität und Adaptivität und damit die erreichbare Individualisierung der Neurotherapien stoßen in der Fachwelt auf sehr positive Resonanz. Die zugrunde liegenden Ideen wurden bereits im Jahr 2000 als Patent angemeldet. Beratend hatten den Thüringer Forschern führende Mediziner wie Professor Nils Birbaumer und Dr. Boris Kotchubey vom Institut für Medizinische Psychologie der Universität Tübingen zu Seite gestanden. Dieses Institut befasst sich seit den 70er Jahren mit neurologischen Erkrankungen und wendet seit vielen Jahren die Neurofeedback-Therapie an. Mit der Weiterentwicklung des Verfahrens durch die Wissenschaftler der TU Ilmenau wurde nach Einschätzung des Tübinger Professors ein Qualitätssprung in der Therapie verschiedener neurologischer Erkrankungen erreicht. „Das Gerätekonzept ist das erste auf dem Gebiet des Neurofeedbacks, das online die Darbietung verschiedener Komponenten des EEG-Signals einschließlich langsamer Potenziale, Signale im Zeit- und Frequenzbereich, Zusammenhänge zwischen Signalen einzelner kortikaler Areale usw. ermöglicht. Die Flexibilität der Einstellungen, die das Gerätesystem zulässt, gewährleistet eine höhere Effizienz im Vergleich mit vorhandenen Systemen.“

System klinisch erfolgreich getestet

Die zentrale Einheit des Systems wurde in Form eines Labormusters erstellt und im Rahmen eines Kooperationsvertrages mit der Rhönklinikum AG, Klinik für Neurologie der Zentralklinik Bad Berka, sowie mit der neurologischen Praxis Prof. Müller/Dr. Henkel, Ilmenau, an pharmakoresistenten Epilepsiepatienten (7 Patienten, Vorgeschichte länger als 20 Jahre) erfolgreich getestet. Während der Tests erwies sich die Flexibilität und Adaptivität des Systems als ein ausgezeichnetes Mittel, den Lernprozess an die infolge der Krankheit und der Medikamenteneinnahme entstandenen, zum Teil erheblichen Wahrnehmungs- und kognitiven Defizite anzupassen. Somit waren die Voraussetzungen für eine entsprechende patientenindividuelle Konditionierung geschaffen. 86 Prozent der Patienten waren nach einer kurzen Lernperiode von ca. zwei bis drei Wochen in der Lage, ohne Begleitung eines Psychologen die für die Entstehung eines Anfalls wichtige Positivierung und Negativierung des langsamen Potenzials zu differenzieren. Der Chefarzt der Zentralklinik Bad Berka GmbH, Doz. Dr. R. Both, schätzt ein: „Insgesamt kann festgestellt werden, dass die von der Arbeitsgruppe der TU Ilmenau entwickelte Technologie und die davon abgeleitete Applikation für die Selbstregulation mittels eines multimodalen Feedbacks klinisch erfolgreich eingesetzt werden kann und dadurch positive Therapieeffekte bei Patienten mit Epilepsien erzielt werden können.“

Wissenschaftlicher Werdegang der Preisträgerin

Die 38-jährige Preisträgerin stammt aus Varna/Bulgarien und absolvierte von 1985 bis 1990 in Ilmenau ein Studium in der Fachrichtung Technische Kybernetik und Automatisierungstechnik/Vertiefungsrichtung Biomedizinische Technik und Bionik.

1994 promovierte Galina Ivanova am Institut für Biomedizinische Technik und Informatik der Technischen Universität Ilmenau mit einem Thema zur Vorverarbeitung und Detektion visuell evozierter Potenziale. Seit 1994 arbeitet die Wissenschaftlerin in zahlreichen von der Europäischen Union, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Bund und dem Freistaat Thüringen geförderten Forschungsprojekten, insbesondere auf den Gebieten der Biosignalanalyse und Hirnforschung. Die von ihr gegründete und geleitete Forschergruppe „The NeuroCybernetics Research Group“ widmet sich der Entwicklung adaptiver Gehirn-Computer-Schnittstellen und deren therapeutischen Applikationen.

Aus den Forschungsarbeiten ging im Jahre 2000 die Patentanmeldung hervor. Der Erfinderanteil von Dr.-Ing. Galina Ivanova beträgt 60 Prozent, zu je zehn Prozent waren die Professoren Gert Grießbach ( ) und Günter Henning sowie die wissenschaftlichen Mitarbeiter Mehmet Eylem Kirlangic und Svitlana Kudryavtseva beteiligt.

Für ihren maßgeblichen Anteil an den Ergebnissen wählte die Gutachterkommission der Stiftung Familie Klee Dr. Galina Ivanova als Preisträgerin des Innovationspreises 2004 aus. In der Urkunde heißt es: „Die Preisträgerin hat durch eine neuartige Kombination von technisch-physikalischen mit medizinisch-biologischen Kenntnissen einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Heilung menschlicher Krankheiten geleistet. Dem Zweck der Stiftung wurde damit vorbildlich gedient.“
Dr. Galina Ivanova ist verheiratet und Mutter einer fünfjährigen Tochter sowie eines 14-jährigen Sohnes.

Die Stiftung Familie Klee wurde von Gerhard Klee, Ingenieur, Erfinder und langjähriges Vorstandsmitglied der Firma Samson AG, Frankfurt, gegründet mit dem Ziel, Forschung und Entwicklung im interdisziplinären Bereich Medizin-Technik-Naturwissenschaften zu fördern.

Weitere Informationen:

Technische Universität Ilmenau
Institut für Biomedizinische Technik und Informatik
Dr. Galina Ivanova
Tel.: 03677 69-1312, Fax: -1311
e-mail: galina.ivanova@tu-ilmenau.de

Media Contact

Wilfried Nax M.A. idw

Weitere Informationen:

http://www-bmti.tu-ilmenau.de/ncrg

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Förderungen Preise

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Merkmale des Untergrunds unter dem Thwaites-Gletscher enthüllt

Ein Forschungsteam hat felsige Berge und glattes Terrain unter dem Thwaites-Gletscher in der Westantarktis entdeckt – dem breiteste Gletscher der Erde, der halb so groß wie Deutschland und über 1000…

Wasserabweisende Fasern ohne PFAS

Endlich umweltfreundlich… Regenjacken, Badehosen oder Polsterstoffe: Textilien mit wasserabweisenden Eigenschaften benötigen eine chemische Imprägnierung. Fluor-haltige PFAS-Chemikalien sind zwar wirkungsvoll, schaden aber der Gesundheit und reichern sich in der Umwelt an….

Das massereichste stellare schwarze Loch unserer Galaxie entdeckt

Astronominnen und Astronomen haben das massereichste stellare schwarze Loch identifiziert, das bisher in der Milchstraßengalaxie entdeckt wurde. Entdeckt wurde das schwarze Loch in den Daten der Gaia-Mission der Europäischen Weltraumorganisation,…

Partner & Förderer