Dr. Leopold-Lucas-Preis 2003 an Sir Martin Gilbert

Universität Tübingen zeichnet Historiker aus London aus

Am Dienstag, dem 13. Mai 2003, verleiht die Evangelisch-Theologische Fakultät im Namen der EBERHARD KARLS UNIVERSITÄT TÜBINGEN den mit 40.000 Euro dotierten Dr. Leopold-Lucas-Preis an den Londoner Historiker Sir Martin Gilbert.

Die Fakultät zeichnet Martin Gilbert aus, wie es in der Verleihungsurkunde heißt: „in Würdigung

  • seiner Verdienste als Chronist der wechselvollen Geschichte des jüdischen Volkes, seiner Leidenswege und seiner Widerstände, seiner Assimilation und Einmaligkeit sowie der versuchten Vernichtung und der gelingenden Erneuerung seiner Kultur
  • seiner umfassenden historiographischen Darstellung und unverwechselbaren, ebenso nüchternen wie einfühlsamen Dokumentation individueller und kollektiver Schicksale verfolgter Personen, Gruppen und Völker zur Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft
  • seiner Beiträge zur Sicherung und Erschließung von Zeitzeugnissen und authentischem Quellenmaterial zur Geschichte des gesamten „Jüdischen Jahrhunderts“ sowie seines Beitrags zur Verständigung zwischen dem Staat Israel und seinen Nachbarn.“

Der Festakt aus Anlass der Preisverleihung findet um 17.15 Uhr im Festsaal der Neuen Aula, Wilhelmstr. 7, statt. Die Laudatio auf den Preisträger hält der Dekan der Evangelisch-Theologischen Fakultät, Prof. Dr. Eilert Herms. Sir Martin Gilbert hält anschließend den Festvortrag zum Thema „The Christian clergy as rescuers: A Holocaust imperative“.

Um 10.30 Uhr findet in Raum 03, Alte Botanik, Wilhelmstr. 5 ein Pressegespräch mit Sir Martin Gilbert statt.

Der Dr. Leopold-Lucas-Preis würdigt alljährlich hervorragende Leistungen auf dem Gebiet der Theologie, der Geistesgeschichte, der Geschichtsforschung und der Philosophie. Er ehrt dabei insbesondere Persönlichkeiten, die zur Förderung der Beziehungen zwischen Menschen und Völkern wesentlich beigetragen und sich durch Veröffentlichungen um die Verbreitung des Toleranzgedankens verdient gemacht haben. Zu den bisherigen Preisträgern gehörten namhafte Wissenschaftler wie Karl Rahner, Paul Ricoeur, Raimund Popper oder Michael Walzer, aber auch hervorragende politische Repräsentanten des Geistes und der Kultur wie Richard von Weizsäcker, Léopold Sédor Senghor, der frühere senegalesische Staatspräsident, oder Tenzin Gyatso, der 14. Dalai Lama. Die Auszeichnung wurde 1972 von dem am 9. Juli 1998 verstorbenen Generalkonsul Franz D. Lucas, ehemals Ehrensenator der
Eberhard Karls Universität, zum 100. Geburtstag seines in Theresienstadt umgekommenen Vaters, des jüdischen Gelehrten und Rabbiners Dr. Leopold Lucas, gestiftet.

Martin Gilbert wurde 1936 in einer Londoner jüdischen Familie geboren. Nach Beendigung der Londoner Highgate School studierte er in Oxford zunächst am Magdalen College und danach am St. Antony’s College moderne Geschichte mit Schwerpunkt sowjetische Geschichte. Promoviert wurde er vom Merton College, Oxford. Seither lehrt er an zahlreichen in- und ausländischen Universitäten und ist Mitglied mehrerer wissenschaftlicher Gesellschaften und Institute, darunter des Merton College sowie des Claremont Institute for the Study of Statesmanship and Political Philosophy. Seit 1968 offizieller Biograph Sir Winston Churchills, zählt Sir Martin zu den angesehensten und bedeutendsten Historikern der Gegenwart.

Im Zentrum seiner wissenschaftlichen Arbeit steht die Geschichte des 19. und insbesondere des 20. Jahrhunderts. Hervorzuheben sind vor allem seine wegweisenden Arbeiten zur Geschichte des Holocausts. Seine historiographische Methode tritt am deutlichsten in den vom ihm zu verschiedenen Themen der Geschichte erarbeiteten neun Atlanten zutage, darunter zur Geschichte der Juden in Osteuropa und in der arabisch-islamischen Welt sowie zum Nahostkonflikt, die für die Wissenschaft unverzichtbar geworden sind. Hier wird Gilberts Interesse an der Sicherung der Datenbasis erkennbar, auf die alles geschichtliche Verstehen sich stützt und richtet. Wie seine Arbeiten zur Geschichte Jerusalems und des Nahostkonflikts darüber hinaus belegen, ist der Historiker Sir Martin hier zugleich Politiker, dessen historische Analysen politische Perspektiven eröffnen sollen, die wechselseitigem Verstehen und gegenseitiger Verständigung dienen wollen.

Dr. Leopold Lucas wurde am 18. September 1872 in Marburg geboren. Er entstammte einer seit Anfang des 17. Jahrhunderts in Marburg ansässigen jüdischen Familie. Lucas studierte in Berlin Geschichte und jüdische Wissenschaft sowie Philosophie und orientalische Sprachen. 1895 wurde er in Tübingen mit einer Dissertation über die „Geschichte der Stadt Tyrus zur Zeit der Kreuzzüge“ zum Doktor der Philosophie promoviert. Im Jahre 1899 wurde er als Rabbiner nach Glogau berufen. Er diente dieser traditionsreichen jüdischen Gemeinde vier Jahrzehnte lang als Lehrer, Prediger und Seelsorger. Unermüdlich war Leopold Lucas während seines ganzen Lebens wissenschaftlich tätig. Sein besonderes Arbeitsgebiet war die Geschichte der Juden in den ersten christlichen Jahrhunderten. Lucas war 1902 Initiator der „Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums“, deren Leitung er sich mit Martin Philippson teilte. Im Jahr 1940 folgte Lucas einem Ruf an die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin – zu einer Zeit also, in der die Vernichtung der Juden in Deutschland beschlossene Sache war und begonnen hatte. Am 17. Dezember 1942 wurde Leopold Lucas zusammen mit seiner Frau nach Theresienstadt deportiert. Auch hier wirkte er noch als Seelsorger seiner Leidensgenossen. Er erlag am 13. September 1943 den Strapazen des Konzentrationslagers. Frau Dorothea Lucas wurde im Oktober 1944 nach Auschwitz verschleppt und umgebracht.

Für Nachfragen:

Prof. Dr. Eilert Herms
Dekan der Evangelisch-Theologischen Fakultät
Liebermeisterstr. 12
72076 Tübingen
Tel.: 07071 – 2972538
Fax: – 295415

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