Neuronale Netzwerke mit Verstärker

Alle Vorgänge im Gehirn sind darauf angewiesen, dass die Nervenzellen Signale hinreichend verlässlich verarbeiten und weiterleiten. Das gilt auch für die Hirnregionen, in denen die Neuronen weniger eng mit einander vernetzt sind.

Dr. Raoul-Martin Memmesheimer vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen hat nun erstmals eine Theorie entwickelt, die diese Fähigkeit erklärt. Seine Modelle berücksichtigen, dass Neuronen mit einer Art Signalverstärker ausgerüstet sind. Für seine Forschungsergebnisse hat die Max-Planck-Gesellschaft Dr. Raoul-Martin Memmesheimer jetzt mit der Otto-Hahn-Medaille ausgezeichnet.

Die Neuronen im Gehirn kommunizieren mit Hilfe elektrischer Impulse, die sie entlang ihrer Fortsätze an ihre Nachbarn weiterleiten. Diese können dann ihrerseits einen elektrischen Impuls abfeuern, so dass sich ein Signal durch das gesamte neuronale Netzwerk fortpflanzen kann. Allerdings gibt es eine Hürde: Nur wenn die Wirkung empfangener Impulse eine gewisse Schwelle überschreitet, sendet das Neuron auch tatsächlich selbst einen solchen Impuls. Auf diese Weise setzen sich besonders solche Signale durch, bei denen ein Neuron Impulse von mehreren seiner Nachbar-Gehirnzellen gleichzeitig empfängt.

Trotz dieses gemeinsamen Prinzips ist das neuronale Netzwerk nicht überall gleich aufgebaut: In manchen Regionen sind die Neuronen dichter miteinander verwoben als in anderen. Besonders die Übertragung starker Signale in schwach vernetzten Regionen des Gehirns wie etwa in Teilen des Hippocampus war Wissenschaftlern bisher ein Rätsel. Denn die Forscher gingen davon aus, dass nur sehr dicht verwobene Netzwerke Signale mit ausreichender Verlässlichkeit übermitteln können. Nach dem Prinzip „doppelt hält besser“ sind in solchen Systemen sehr viele Neuronen mit denselben Nachbarn verknüpft. Fällt ein Neuron aus, treten andere deshalb mühelos an seine Stelle und leiten das Signal dennoch weiter.

Memmesheimer bietet nun eine andere Erklärung. Er berücksichtigte, dass Neuronen einen aktiven Verstärkungsmechanismus besitzen. Kommen etwa die Impulse zweier Zellen nahezu gleichzeitig am Neuron an, wird deren Wirkung unter bestimmten Bedingungen nicht nur summiert, sondern weiter verstärkt. „Dieser Mechanismus ist in den vergangenen Jahren durch zahlreiche Experimente belegt worden“, erklärt Memmesheimer.

Welche Folgen der neuronale Verstärker für die Prozesse im Gehirn hat, konnte der Wissenschaftler aus Göttingen nun mit Hilfe theoretischer Berechnungen untersuchen. Der Verstärker führt dazu, dass ein Signal leicht die Eingangsschwelle des Neurons überwinden und sich durch das Netzwerk fortpflanzen kann – auch wenn nur vergleichsweise wenige benachbarte Neuronen einen elektrischen Impuls ausgesandt haben.

„Es entstehen Muster, die tatsächlichen Hirnmustern exakt entsprechen“, so Memmesheimer. Besonders ein typisches Aktivitätsmuster, das im Hippocampus während bestimmter Schlafphasen auftritt, geben die Berechnungen genau wieder. Da im Hippocampus Gedächtnisinhalte kurzzeitig gespeichert und während der Schlafphasen wiederholt, übertragen und verfestigt werden, könnten diese Ergebnisse grundlegende Bedeutung für unser Verständnis des Erinnerns haben.

Dr. Raoul-Martin Memmesheimer (29) hat an den Universitäten in Kaiserslautern, München und Jena theoretische Physik studiert. Seit 2004 forscht er am Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation, wo er 2007 promovierte. Mit der Otto-Hahn-Medaille würdigt die Max-Planck-Gesellschaft jährlich junge Wissenschaftler für herausragende Leistungen.

Media Contact

Dr. Birgit Krummheuer idw

Weitere Informationen:

http://www.ds.mpg.de/

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