Elektromobilität: Ultraleichtes Kraftpaket für das elektrische Fliegen

Siemens-Forscher haben einen neuartigen Elektromotor entwickelt, der bei einem Gewicht von nur 50 Kilogramm rund 260 Kilowatt elektrische Dauerleistung liefert – fünfmal so viel wie vergleichbare Antriebe.

Manchmal lässt sich eine technische Revolution ganz knapp in einer einzigen Zahl zusammenfassen. In diesem Fall lautet sie: fünf Kilowatt pro Kilogramm – das ist das „Leistungsgewicht“ eines neuen Elektromotors der Electric-Aircraft-Abteilung von Siemens Corporate Technology.

„Er liefert bei einem Gewicht von 50 Kilogramm rund 260 Kilowatt mechanische Dauerleistung“, erklärt Dr. Frank Anton, Leiter des Aircraft-Teams. „Das ist in dieser Leistungsklasse absoluter Weltrekord: In der Industrie liegt das Leistungsgewicht solch starker Elektromotoren im Allgemeinen unter einem Kilowatt pro Kilogramm, und die Automobilindustrie erreicht bestenfalls gut 2 Kilowatt pro Kilogramm.“

Für die Anwendungen, um die sich das Siemens-Team kümmert, sind Spitzenwerte beim Leistungsgewicht unabdingbar – denn es geht darum, die Luftfahrt auf lange Sicht zu revolutionieren. Schon 2011 sorgten die Forscher um Frank Anton gemeinsam mit Airbus Group und Diamond Aircraft für eine Weltpremiere, als sie das erste Flugzeug mit einem hybriden Elektroantrieb in die Luft brachten.

Im Jahr 2013 flog dieses Flugzeug dann mit einem verbesserten Antriebsstrang. Damals erreichte der Elektromotor zwar schon ein ebenfalls bis dato unerreichtes Leistungsgewicht von knapp 5 Kilowatt pro Kilogramm, lieferte aber nur relativ bescheidene 60 Kilowatt Dauerleistung – das ist allenfalls genug Leistung für einmotorige Sportflugzeuge.

Daher hat sich Anton zum Ziel gesetzt, noch stärkere Motoren mit minimalem Gewicht zu entwickeln. Denn genau das ist die Voraussetzung dafür, um in Zukunft Verbrennungsmotoren oder Turbinentriebwerke in Flugzeugen oder Helikoptern ganz zu ersetzen oder mit einem elektrischen Antrieb zu einem Hybridsystem zu kombinieren.

Weltrekord dank virtueller Optimierung

Um ihren Weltrekord-Motor zu realisieren, haben Experten aus dem Geschäftsgebiet Large Drives und von Corporate Technology alle Komponenten der bisherigen Motoren auf den Prüfstand gestellt und bis ans technische Limit optimiert. So ist es ihnen beispielsweise gelungen, das Gewicht des sogenannten Lagerschildes mehr als zu halbieren: von 10,5 Kilogramm auf nur noch 4,9 Kilogramm. Diese Aluminium-Komponente vereint die Lagerung von Elektromotor und Propeller, der ohne zwischengeschaltetes Getriebe direkt mit dem Motor verbunden ist. „Das ist ein absolut sicherheitskritisches Bauteil, auf das beim Nicken der Flugzeugnase nach oben oder unten sehr große Kreiselkräfte wirken“, erklärt Anton. “Darum war es bisher immer recht massiv gebaut und entsprechend schwer.“

Für die Schlankheitskur des Lagerschildes haben die Leichtbau-Experten zusammen mit ihren Product Lifecycle-Kollegen einen eigenen Optimierungsalgorithmus entwickelt und in das CAE-Programm NX Nastran von Siemens integriert. Er zerlegt die Komponente in mehr als 100.000 Einzelelemente und simuliert die Kräfte auf jede dieser Zellen. Im Verlauf vieler Optimierungsschleifen identifiziert die Software dann diejenigen Elemente, die kaum belastet und darum entbehrlich sind. „So ähnlich baut auch die Natur unsere Knochen“, sagt Anton. „Ihre Struktur folgt den Belastungslinien durch die äußeren Kräfte. Durch diesen iterativen Prozess gelangt man zu technischen Lösungen, die ein Ingenieur niemals theoretisch am Schreibtisch hätte erfinden können.“

Das Ergebnis der Optimierung ist eine filigrane, strebenartige Struktur, die dennoch allen Sicherheitsanforderungen an Biegesteifigkeit und Festigkeit genügt. Aber selbst damit haben sich die Entwickler noch nicht zufrieden gegeben – mittlerweile existiert schon der Prototyp eines Lagerschildes aus kohlefaserverstärkten Kunststoffen, der gerade mal 2,3 Kilogramm auf die Waage bringt und damit weniger als ein Viertel der klassischen Lösung wiegt.

Auch beim elektromagnetischen Design haben die Entwickler tief in die Trickkiste gegriffen, um das Gewicht maximal zu verringern. Kobalt-Eisen im Stator sorgt für eine hohe Magnetisierbarkeit über den gesamten Aussteuerbereich, und die permanenterregten Magnete des Rotors weisen eine sogenannte Halbach-Anordnung auf: Sie sind in vier verschiedenen Orientierungen pro Magnetpol nebeneinander angeordnet, so dass sich der magnetische Fluss mit geringem Materialeinsatz bestmöglich führen lässt und dadurch die Grundwelle der Luftspaltinduktion im Vergleich zu herkömmlichen Magnetanordungen vergrößert wird. Die Kühlung leistet ebenfalls einen signifikanten Beitrag zur Gewichtsreduktion.

„Wegen der hohen Stromdichte war ein intelligentes Abwärmekonzept besonders wichtig“, erklärt Anton. „Wir setzen auf eine Direktleiterkühlung und führen damit die dominanten Kupferverluste direkt an eine elektrisch nicht leitende Kühlflüssigkeit ab, für das beispielsweise Silikon-Öl oder Galden infrage kommen.“

Für all diese Optimierungsschritte ist das Wissen der Experten um die Abläufe in Elektromotoren entscheidend. „Es gibt nur wenige Unternehmen, die ein detailliertes Verständnis von Umrichtern und Motoren mit jahrzehntelanger Erfahrung in ganz unterschiedlichen und teils sehr rauen Umgebungen kombinieren können. Zudem sind wir bei Siemens überzeugt von der elektrischen Luftfahrt und haben einen ausreichend langen Atem für die Entwicklung der neuen Antriebe“, so Anton. Natürlich haben mittlerweile auch andere Unternehmen dieses Zukunftsthema entdeckt – Anton schätzt den Siemens-Vorsprung aber auf mindestens drei Jahre.

Das Ziel der Forscher: Regionalflugzeuge mit Hybridantrieb

Der neue Siemens-Motor ist jedenfalls ein wahres Kraftpaket geworden, das selbst für einen Viersitzer eine sportliche Motorisierung darstellt und nicht mehr allzu weit von den Anforderungen entfernt ist, die Regionalflugzeuge an ihren Antrieb stellen: 500 Kilowatt bis zwei Megawatt würden ausreichen, um eine Handvoll Geschäftsreisende quer durch Deutschland zu transportieren.

Solche neuen Antriebe könnten sich für die Umwelt und die Anwohner von Flughäfen als wahrer Segen erweisen – denn neben dem Fluglärm würden auch die CO2-Emissionen des Luftverkehrs deutlich sinken. Und die Airlines würden von großen Kosteneinsparungen profitieren: „Mehr als 50 Prozent der Lebenszykluskosten eines Flugzeugs machen die Ausgaben für das Kerosin aus“, rechnet Anton vor. „Durch den Einsatz von hybriden Elektroantrieben ließe sich der Kraftstoffverbrauch um etwa 25 Prozent verringern, so dass die Gesamtkosten des Flugzeugs um ungefähr 12 Prozent sinken würden.“

Denn durch hybride Antriebe, also die intelligente Kombination von E-Motor und Verbrennungsmotor, ließen sich in Zukunft die Turbinen wesentlich kleiner dimensionieren und während des Fluges immer mit optimalem Wirkungsgrad betreiben – heute sind sie für die maximale Leistung ausgelegt, die aber nur beim Start und beim Steigflug gefragt ist. Danach reichen 60 Prozent völlig aus.

„Bei einem kerosin-elektrischen Hybridantrieb würde die Turbine ständig mit optimaler Leistung laufen und über einen Generator den E-Motor für den Propeller mit Energie versorgen“, erklärt Anton. „Während der Startphase käme dann zusätzliche Energie aus einer Batterie hinzu.“

Gemeinsam mit Airbus arbeitet Siemens daran, die Vision vom elektrischen Fliegen wahr werden zu lassen. Seit 2013 gibt es eine Kooperationsvereinbarung zwischen den Unternehmen: Siemens beschäftigt sich dabei vor allem mit neuen elektrischen Antriebssträngen, während Airbus neue Luftfahrtzeugkonzepte entwickelt. Und schon 2035 könnte es die ersten 60- bis 100-sitzigen Flugzeuge mit hybridem Elektroantrieb geben – wenn es den Ingenieuren gelingt, noch leistungsstärkeren Elektromotoren mit möglichst geringem Gewicht zu entwickeln.

Christian Buck

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