Stromkennzeichnung ist zu wenig transparent

Öko-Institut kritisiert: Energiemix wird falsch berechnet / Irreführung der umweltbewussten Verbraucher

Atom, Gas, Kohle, erneuerbare Energien – aus welchen Quellen stammt der Strom, mit dem wir beliefert werden? Und welche Umweltbelastungen sind damit verbunden? Darüber wird die nächste Stromrechnung jetzt informieren: Ab 15. Dezember müssen Stromversorger in Deutschland ihren Energiemix kennzeichnen und auf Rechnungen sowie in Werbematerialien über die Herkunft des gelieferten Stroms informieren. Eine im Grundsatz gute Regelung, die jedoch in der Praxis aus Sicht des Öko-Instituts nicht funktionieren wird. Kritik übt der Energieexperte Christof Timpe vor allem an dem so genannten Leitfaden zur Stromkennzeichnung, den der Verband der Elektrizitätswirtschaft (VDEW) entwickelt hat. Falls die Versorger diesen Vorschläge der Stromwirtschaft folgen, werden die Anteile der verschiedenen Energieträger systematisch falsch berechnet.

Die Folge: Die Bilanz für erneuerbare Energien fällt zu positiv aus, Anteile aus Atom- und Kohlekraftwerken fallen unter den Tisch. „So wird der umweltbewusste Verbraucher in die Irre geführt“, warnt Öko-Instituts-Wissenschaftler Christof Timpe.

Weitere Kritik: Nirgendwo ist verbindlich festgelegt, wie die Stromversorger die Daten zur Stromherkunft und deren Umweltbelastungen eigentlich darstellen sollen. Von Grafiken über Diagramme bis hin zum einfachen Fließtext – geht es nach den Empfehlungen der Stromwirtschaft, ist fast jede Darstellung möglich. Da wird ein Vergleich zwischen unterschiedlichen Stromanbietern unnötig schwer. „Ein Versorger, der aus Sicht seiner Kunden ungünstige Informationen offen legen muss, darf diese im Kleingedruckten der Stromrechnung verstecken“, kritisiert Timpe. Nach seiner Meinung sollten die Daten stattdessen kundenfreundlich in einem einheitlichen und leicht verständlichen Format präsentiert werden.

Der Grund für die falschen Berechnungen des Energiemixes liegt darin, dass die Stromwirtschaft zwei Bilanzierungsverfahren kombinieren will. Um zu berechnen, wie viel Prozent die verschiedenen Energiequellen am Gesamtmix ausmachen, können Stromversorger Daten aus zwei verschiedenen Quellen nutzen. Entweder lassen sie sich direkt von ihren Lieferanten bescheinigen, aus welchen Kraftwerken der Strom stammt und wie viel Strom diese jeweils liefern. Oder aber sie verwenden statistische Durchschnittswerte der gesamten Stromerzeugung, zum Beispiel für an der Strombörse EEX gehandelten Strom. Nutzen die Stromversorger Daten aus beiden Quellen, muss die Rechnung korrigiert werden, damit die Bilanz am Ende stimmt.

Denn die bereits direkt bescheinigten Strommengen sind gleichzeitig auch in der Statistik enthalten. Werden diese direkt bescheinigten Anteile nicht wieder aus den statistischen Durchschnittswerten herausgerechnet, werden sie also doppelt gezählt. Diese Korrektur ist bisher aber nicht vorgesehen. Die Stromversorger werden sich vor allem Strom aus erneuerbaren Energien direkt bescheinigen lassen. Deshalb ist zu erwarten, dass nach dem Vorschlag der Stromwirtschaft vor allem umweltfreundliche Stromquellen doppelt gezählt und damit überbewertet werden. Außerdem soll anstelle der nationalen Statistik ein europäischer Durchschnittswert verwendet werden, der einen deutlich höheren Anteil erneuerbarer Energien aufweist als die deutsche Statistik.

„Die Stromwirtschaft muss hier unbedingt nachbessern“, fordert Timpe. „Möglicherweise muss sogar das Energiewirtschaftsgesetz geändert werden.“ Bis zu einem Drittel der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien im europäischen Verbundnetz könnte doppelt gezählt werden, ist die Einschätzung des Öko-Instituts. Deren Energieexperten arbeiten zur Zeit an einem Verfahren, mit dem diese Fehler deutlich reduziert werden können.

Umweltbewussten Stromkunden, die auf Nummer sicher gehen wollen, empfiehlt das Öko-Institut Stromangebote, die mit dem Gütesiegel „ok-power“ (www.ok-power.de) oder dem „Grüner Strom Label in Gold“ (www.gruenerstromlabel.de) ausgezeichnet sind. Eine Übersicht über empfehlenswerte Angebote bietet die Verbraucherkampagne EcoTopTen: www.ecotopten.de/produktfeld_strom.php. Dort gibt es auch Tipps zum Stromsparen. Denn alle sinnvollen Einsparpotentiale zu nutzen, ist genauso wichtig, wie auf eine umweltfreundliche Stromproduktion zu setzen.

Ansprechpartner:

Christof Timpe
Koordinator im Forschungsbereich „Energie & Klimaschutz“, Öko-Institut
Telefon 0761/452 95-33
E-Mail: c.timpe@oeko.de

Veit Bürger
wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsbereich „Energie & Klimaschutz“, Öko-Institut
Telefon 0761/452 95-59
E-Mail: v.buerger@oeko.de

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