Große Solarzellen müssen klein anfangen

Torsten Boeck vom IKZ vor der Anlage, in der dünne Siliziumschichten wachsen. Zu seiner Themengruppe gehören Andrea Kramer, Hans-Peter Schramm, Thomas Teubner und Peter-Michael Wilde. Unterstützt werden sie dabei von Wolfram Miller und Klaus Böttcher (numerische Simulation) und Uwe Jendritzki (Anlagentechnik). Foto: Zens / FVB

Mathematiker des Weierstraß-Instituts helfen Praktikern aus Industrie und Forschung bei der Lösung ihrer Probleme, beispielsweise bei der Entwicklung von kostengünstigeren Solarzellen.

Ein Labor wie aus dem Bilderbuch: Unter einem Gewirr von Kabeln und Leitungen glänzen silbern Edelstahlkammern, groß wie ein Kühlschrank, verschraubt mit Hunderten von Muttern. Piktogramme warnen vor Starkstrom, im Hintergrund blinken Ziffern auf Mess- und Regelgeräten. Ein Zischen und Rattern von Vakuumpumpen liegt in der Luft. In den Behältern wachsen winzige Siliziumkristalle heran, beaufsichtigt von Forschern des Instituts für Kristallzüchtung. Die Forschergruppe möchte es schaffen, hauchdünne Siliziumschichten auf Glas herzustellen, nur so dick wie ein Haar. Am Ende der Entwicklung sollen kostengünstige Solarzellen stehen, wie Themenleiter Torsten Boeck erläutert. „Unser Traum ist es, ein Verfahren zu entwickeln, um große Fassadenelemente, die mit Silizium beschichtet sind, industriell herstellen zu können.“

Heutige Silizium-Solarzellen werden meist aus Blöcken des kristallinen Materials geschnitten. Das hat mehrere Nachteile: Es entsteht Sägeabfall, und die Blöcke können nicht beliebig groß erzeugt werden. Dabei würde eine dünne Siliziumschicht eigentlich reichen, denn die entscheidenden photoelektrischen Prozesse passieren nur in oberflächennahen Bereichen. So gibt es seit langem die Überlegung, Silizium hauchfein auf ein kostengünstiges Trägermaterial, etwa Glas, aufzubringen. Das Problem: Glas hat keine Kristallstruktur. Siliziumatome zeigen deshalb wenig Neigung, sich darauf geordnet anzulagern. Doch Ordnung muss sein, um Strom erzeugen zu können. Gute Silizium-Solarzellen weisen eine Kristallstruktur auf. Die muss zwar nicht perfekt sein, wie bei einem Einkristall, aber für einen ausreichenden Wirkungsgrad und eine genügende Langzeitstabilität ist polykristallines Material eine Voraussetzung. Und je größer die Körner, desto besser ist die Stromausbeute.

Wie kann man nun den Kristallisationsprozess so steuern, dass möglichst große Kristalle wachsen – und das noch auf einer Unterlage, die völlig ungeordnet ist? Die Idee, die vom Betrachten von Wassertropfen auf einer Glasscheibe herrührte: Wie wäre es, wenn man Tröpfchen einer Trägerflüssigkeit hätte, in denen jeweils ein einzelner Kristallkeim heranwächst, an dem sich dann, in einem weiteren Schritt, Siliziumatome wohlgeordnet anlagern? Erste Versuche mit dem flüssigen Metall Indium (Schmelzpunkt: 156 Grad Celsius) verliefen Erfolg versprechend. Nur waren die Metalltröpfchen zu unterschiedlich groß und das Silizium bildete zunächst nicht nur einen, sondern viele ungeordnete Kristallkeime in jedem Tröpfchen.

Mit diesen Problemen wandte sich Boeck an Mathematiker aus dem Weierstraß-Institut. Dort fand kürzlich ein Workshop statt, um genau solche Fragen zu lösen. Die Mathematiker Barbara Wagner und Andreas Münch am WIAS hatten den Workshop mit der Unterstützung des MATHEON (DFG-Forschungszentrum Mathematik in den Schlüsseltechnologien), dem Mathematiker Volker Mehrmann und Ingenieuren an der TU Berlin organisiert.

Die Räume des Weierstraß-Instituts haben so gar nichts Laborhaftes an sich. Es sind normale Büros, nur dass an manchen Wänden weiße Tafeln hängen, die mit Formeln beschrieben sind. Barbara Wagner sitzt vor so einer Tafel und erläutert die Idee des Workshops: Praktiker aus der Industrie oder Forschung erzählen von ihren Problemen, Mathematiker setzen das in Formeln um und helfen, Prozesse zu optimieren. „Solche Workshops gibt es schon länger im angelsächsischen Raum“, berichtet die Mathematikerin, „aber in Deutschland ist das recht neu.“ In Berlin gab es so etwas bislang noch nie. „Daher sehen wir es als Teil unserer Aufgabe an, der Industrie in Deutschland zu zeigen, dass wir mit unseren mathematischen Methoden helfen können ihre Probleme zu lösen“, sagt Wagner.

Das ist nicht der einzige Vorteil des Workshops. Wagners Kollege Andreas Münch berichtet, dass auch zahlreiche Doktoranden aktiv mitgemacht haben. Es sei äußerst motivierend, „einmal live mitzubekommen, wie neue Theorien entwickelt werden und was die Probleme der Industrie sind“. Zumal die Nachwuchsforscher schnell gemerkt hätten, dass sie im Kreis der arrivierten Wissenschaftler nützliche Beiträge liefern könnten: „Im Unterschied zu Vorlesungen kennen die ,Alten’ hier die Lösung auch noch nicht“, sagt Münch. Hinzu kommt, dass aus solchen Workshops auch neue wissenschaftliche Fragestellungen erwachsen. Aus diesem Grund ist er Praxiskontakt Programm am WIAS. Das bekräftigt der Direktor Jürgen Sprekels: „Wir bearbeiten komplexe Prozesse in Wirtschaft, Wissenschaft und Industrie ganzheitlich mit mathematischen Methoden.“ Das habe auch das Gutachtergremium honoriert, das dem Institut im vergangenen Jahr ein hervorragendes Zeugnis ausstellte. In der Stellungnahme hieß es unter anderem: „Das WIAS verfügt über einen hohen Grad an Offenheit und ein großes Potenzial für neue Probleme und Anwendungen. Es greift aktuelle Themen, zum Beispiel im Bereich Brennstoffzellen und Halbleiterelektronik, auf und verfügt hier über hohe Kompetenz.“

Nur: Was genau machen die Mathematiker, was Industrievertreter oder Forscher wie Boeck nicht können? „Normalerweise fehlt unseren Kooperationspartnern die Zeit, sich mit der Theorie hinter ihren Versuchen und Prozessen auseinanderzusetzen“, sagt Barbara Wagner. Außerdem waren bei dem Workshop Experten aus ganz unterschiedlichen Richtungen da: Mathematiker aus den USA und Großbritannien, Verfahrenstechniker der TU oder Physiker aus Frankreich. „So einen Beraterstab kann sich keine Firma und kein Institut leisten“, betont die WIAS-Mathematikerin. „Die Mathematiker verfügen über Methoden, die komplexe Probleme auf das Wesentliche reduzieren.“ Die Experten zerlegen Probleme wie das der Adlershofer Kristallzüchter in kleine Happen: „Es gab eine Reihe von Effekten, die eine Rolle spielen“, berichtet Barbara Wagner. Zum Beispiel: Wie muss der Wärmefluss sein, um Metallschmelze und Tröpfchenbildung zu optimieren? Wie hoch muss die Konzentration des gelösten Siliziums im Metall sein? „Wir müssen dann abschätzen, welche dieser Effekte in dem Modell berücksichtigt werden müssen“, erläutert Wagner. In der Literatur gibt es mathematische Gleichungen, die Wärme- und Stofftransport beschreiben. Reichen diese „Stellschrauben“ für das Modell aus oder braucht man weitere Größen – beispielsweise die Konzentration von gasförmigem Silizium in der Umgebung? Wagner: „Da ist der Kontakt mit den Praktikern sehr wichtig. Denn die haben Daten aus ihren Experimenten und können uns sagen, ob wir mit unseren Gleichungen auf dem richtigen Weg sind.“

Von den Industrievertretern sei diese Initiative am WIAS sehr gelobt worden. „Wir haben viel gelernt!“ hatten die Gäste gesagt, berichtet Barbara Wagner. Das sind wichtige Voraussetzungen, um später Aufträge einwerben zu können. Denn auch das war ein Ziel des Workshops: Vertrauen bei der Industrie schaffen und zeigen, über welche Problemlösungskompetenz die Mathematik verfügt. Nach allem, was Barbara Wagner und Andreas Münch hörten, ist dem MATHEON-Workshop am WIAS das gelungen. Torsten Boeck bestätigt: „Ich war neugierig, auch ein wenig skeptisch, ob das überhaupt in einer Woche zu lösen sei, aber das Ergebnis hat mich überzeugt.“ Er hat bereits erste Lösungsansätze erhalten. Damit ist er zurück in sein Labor gegangen, wo schon die nächsten Kristalle wachsen.

Ansprechpartner:

Dr. Torsten Boeck, IKZ
Tel.: 030 / 6392-3051
Mail: boeck@ikz-berlin.de

Dr. Barbara Wagner, WIAS
Tel.: 030 / 2 03 72-444
Mail: wagnerb@wias-berlin.de

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Josef Zens idw

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